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Klare Regeln, viel Freiraum: Das Modell der anleitenden Erziehung

Kindererziehung ist eine herausfordernde Aufgabe. Als Eltern wissen Sie: Oft ist der Grat zwischen zu grosser Einschränkung und zu viel Freiraum schmal. Und genau darum geht es bei der anleitenden Erziehung – die Kinder in ihrer Entwicklung nicht zu sehr einzuschränken und ihnen gleichzeitig klare Werte mitzugeben. Wie der Erziehungsstil Kinder stärkt und warum auch Eltern daran wachsen.

Mama und Kind
Anleiten statt anweisen – darauf kommt es beim Modell der anleitenden Erziehung an. Bild: evgenyatamanenko, Getty Images

Das Wichtigste in Kürze:

  • Anleitende Erziehung bedeutet, einem Kind klare Regeln, Werte und Normen zu vermitteln, ihm aber auch viel Freiraum zu geben, damit es eigene Erfahrungen machen kann. Mehr erfahren.
  • Anleitende Erziehung ist gewaltfrei und verzichtet auf Vorwürfe und Strafen.
  • Das Modell der anleitenden Erziehung grenzt sich stark von anderen Erziehungsstilen wie etwa der autoritären Erziehung ab. Mehr lesen.
  • Der Erziehungsstil fördert Studien zufolge die Selbstentwicklung von Kindern.
  • Kinder lernen von ihren Eltern, konstruktiv mit Konflikten umzugehen. Mehr erfahren.

Was bedeutet «anleitende Erziehung»?

Die Bedeutung des anleitenden Erziehungsstils steckt bereits im Begriff selbst. «Bei der anleitenden Erziehung geht es um das Anleiten und Begleiten des Kindes», erklärt Danica Zurbriggen, Leiterin der Programmstelle «Starke Eltern – Starke Kinder» bei Kinderschutz Schweiz, im Interview. Sie sei mehr als ein Erziehungsstil. «Sie ist vor allem eine Haltung, dem Kind als gleichwertigen Menschen mit Neugier zu begegnen und bewusst und verantwortlich die Rolle als Eltern wahrzunehmen.» Eltern vermitteln dabei klare Regeln, Werte und Normen. Sie leiten das Kind respektvoll an, verzichten dabei auf Vorwürfe und Strafen und nehmen Rücksicht auf seine Bedürfnisse.

Was macht den Erziehungsstil aus?

Der Erziehungsstil zeichnet sich vor allem durch vier Grundlagen aus:

1 Ein erster Schritt zur Anleitenden Erziehung ist es, sich über die Werte Gedanken zu machen, die man als Eltern seinem Kind mitgeben möchte. «Eltern sollten sich früh, zum Beispiel schon in der Schwangerschaft, über ihre Erziehungsvorstellungen austauschen», rät Danica Zurbriggen. Im späteren Erziehungsalltag sei es dann sinnvoll, sich auf die drei wichtigsten Werte und Vorstellungen von Kindererziehung zu konzentrieren. Dies führe auch zu Gelassenheit im Familienalltag: Die Eltern wissen, was ihnen weniger wichtig ist und worauf sie ihre Energie gerade nicht fokussieren wollen.

2 Zu diesem Erziehungsstil gehört auch, sich mit der eigenen Identität zu beschäftigen. Dabei geht es um die Frage: Kenne ich mich selbst? Dazu gehört unter anderem das Erforschen der eigenen Gefühlswelt: Wie gehe ich mit starken Gefühlen bei mir selber und anderen Familienmitgliedern um? Kenne ich meine Wutknöpfe? Und wohin gehe ich mit meiner Wut, damit ich sie nicht am anderen, zum Beispiel am Kind, auslasse?

3 Ein weiterer wichtiger Baustein der anleitenden Erziehung ist, das eigene Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu stärken. Denn Mütter und Väter, die sich stark fühlen und zuversichtlich sind, können das eigene Kind besser unterstützen und ermutigen. Dann fällt es auch leichter, es so anzuerkennen, wie es ist.

4 Zuhören und eigene Bedürfnisse und Wünsche so formulieren, dass sie klar sind und das Kind nicht verletzen – auf diese Weise kommunizieren die Eltern im Rahmen dieses Erziehungsstils. Denn nur ein Kind, dem wirklich zugehört wird, kann sich voll verstanden und angenommen fühlen. Eltern, die mit ihrem Kind wertschätzend und klar kommunizieren, beugen damit einem grossen Teil von Problemen und Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung vor.

Kurz gesagt: Erziehungsziele und Werte reflektieren, sich mit der eigenen Identität auseinandersetzen, das eigene Selbstvertrauen als Eltern stärken und die Bedürfnisse des Kindes wahr- und ernstnehmen – so lässt sich der Erziehungsstil zusammenfassen.

Inwiefern grenzt er sich von den anderen Stilen ab?

Anleitende Erziehung grenzt sich damit nicht nur von autoritärer Kindererziehung und antiautoritärer Erziehung ab, sondern auch von dem Begriff der demokratischen Erziehung.

So unterscheiden sich die Erziehungsstile:

👨‍👩‍👦 Bei der anleitenden Erziehung übernehmen die Eltern die Verantwortung. Sie beziehen das Kind altersgerecht in Entscheidungen ein und treffen diejenigen Entscheidungen, die es auf Grund seiner Entwicklung überfordern würden. Sie behandeln es gleichwürdig. Es hat zwar nicht dieselbe Entscheidungsmacht wie die Erwachsenen, wird aber gehört und seine Bedürfnisse werden berücksichtigt.

👨‍👩‍👦 Der Begriff der demokratischen Erziehung dagegen sieht vor, dass jedes Familienmitglied eine gleichwertige Stimme hat. Bei dieser Erziehung haben Eltern also nicht die Verantwortung, denn sie könnten von den Kindern überstimmt werden. Das ist bei der anleitenden Erziehung nur dann möglich, wenn die Eltern einer Abstimmung zustimmen.

👨‍👩‍👦 Bei der autoritären Erziehung arbeiten Eltern nicht mit Anleitungen, sondern mit An- und Zurechtweisungen, Verboten und Strafen. Sie setzen enge Grenzen und viele Regeln, erziehen mit viel Disziplin und wenig Wärme. Kinder haben bei dieser Erziehung also viel weniger Möglichkeiten, sich selbst zu erproben und eigene Erfahrungen zu machen, als bei der anleitenden Erziehung. Heute weiss man, dass es autoritär erzogenen Kindern schwer fällt, ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl aufzubauen und sich als selbstwirksam zu erleben.

👨‍👩‍👦 Antiautoritäre Erziehung ist das Gegenteil vom autoritären Erziehungsstil. In den 60er und 70er Jahren wurde sie vor allem als «Nicht-Erziehung» verstanden. Doch weder Kinder noch Eltern und Erziehende kamen mit der besonders grossen Entscheidungsfreiheit nach dem Prinzip «Mach, was du willst», zurecht. Heute gilt die Konzeption der «Nicht-Erziehung» als gescheitert.

Wie fördern Eltern das Selbstbewusstsein des Kindes?

Anleitende Erziehung fördert das Grundvertrauen des Kindes in sich und die Welt. Das Kind muss hierfür die Erfahrung machen, dass seine wichtigen Bedürfnisse ernst genommen werden. Gleichzeitig kann es eigene Erfahrungen machen, die sein Selbstbewusstsein fördern. «So lernt es, dass es gut so ist, wie es ist. Und dass es Herausforderungen meistern kann», erklärt Danica Zurbriggen. «Anleitende Erziehung vermittelt daher Lebenskompetenz und Selbstwirksamkeit.» Eine Studie zu diesem Erziehungsstil zeigten, dass er auch dazu beiträgt, sich als Eltern in der Erziehung als selbstwirksamer zu erleben.

Welche Rolle spielt die Vorbildfunktion der Eltern?

Das Vorbild der Eltern spielt in der anleitenden Erziehung eine sehr grosse Rolle. «Vorbild dringt mehr ein als viele Worte», sagt Danica Zurbriggen. Von Müttern und Vätern, die zuhören, aber auch für sich selbst einstehen, lernen Kinder, eigene und andere Bedürfnisse ernst zu nehmen. Ein Kind, das anleitend erzogen wird, muss darauf vertrauen können, Probleme ansprechen zu dürfen. Es erlebt bei dieser Erziehung auch, dass sich Konflikte auf friedliche Weise lösen lassen.

Wo Sie anleitende Erziehung lernen können

Kinderschutz Schweiz bietet unter dem Titel «Starke Eltern – Starke Kinder« Präsenzangebote und kostenlose Onlinekurse für alle Altersstufen und für Grosseltern an. Der Kurs unterstützt Erziehende dabei, Konflikte in der Familiekonstruktiv und gewaltfrei zu lösen.

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