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Antiautoritäre Erziehung: So viel Freiheit wie möglich

Wäre es nicht schön, wenn Kinder so frei wie ein Baum aufwachsen könnten, der Platz genug hat, sich nach allen Seiten zu strecken? Wenn sie sich unbehindert von Regeln und Vorschriften entfalten könnten? Experten warnen zur Vorsicht. Auch eine antiautoritäre Erziehung hat ihre Nachteile.

Kind auf Schaukel symbolisiert die Freiheit der antiautoritären Erziehung
Weit und breit keine Grenzen in Sicht. Doch Antiautoritäre Erziehung wird nicht nur hochgejubelt.  Bild: Choreograph, iStock, Thinkstock

«Tu dies, tu das, tu jenes» – noch immer erachten manche Eltern diese Art von Führung als sinnvoll. Erziehungsexperten aber lehnen längst den autoritären Erziehungsstil mit seinen Nachteilen ab, der Kinder zu reinen Befehlsempfängern degradiert. Sie plädieren stattdessen für eine «anti-autoritäre» Erziehung, einen Stil, der sich gegen die Machtausübung Kindern gegenüber wendet. Schon der Pädagoge Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) befürwortete diese Haltung. Er glaubte fest daran, dass Kinder weitgehend ohne Regeln zu glücklichen Menschen heranwachsen können.

Antiautoritäre Erziehung: Experimente in den 60er Jahren

Während der deutschen Studentenbewegung der 60er Jahre wurde die «anti-autoritäre Erziehung» heftig diskutiert. In einer Zeit, in der in vielen Familien der Satz «Solange du die Füsse unter meinen Tisch stellst  …» immer wieder zu hören war, begannen immer mehr junge Menschen, gegen ihre Eltern zu rebellieren. Sie träumten von einer anderen, freieren Gesellschaftsform, in der sich unter anderem auch Kinder ungehindert entfalten dürfen. Alternative Kindergärten schossen wie Pilze aus dem Boden; «Kinderläden» wurden sie genannt. Mit der besonders grossen Entscheidungsfreiheit nach dem Prinzip «Mach, was du willst», die Kindern hier gewährt wurde, kamen aber weder die Kinder noch die Betreuer zurecht. Heute gilt die Erziehungskonzeption der «Nicht-Erziehung» wegen ihrer Nachteile als gescheitert.

Antiautoritäre Erziehung: Nachteile

Ein Kind antiautoritär zu erziehen, also ein Gegner autoritärer Erziehung zu sein, ist sinnvoll, da sind sich heute Erziehungsexperten einig. Doch zu viel Freiraum hat negative Folgen und gravierende Nachteile für das Kind. «Zieh an, was du möchtest!», «Was möchtest du zum Frühstück essen?», «Du kannst den Nachmittag verbringen, wie du willst!» All das sind Sätze, die Kinder leicht überfordern. Ohne Vorgaben, Regeln und Rituale fühlen sie sich verloren und orientierungslos in der für sie unüberschaubar grossen Welt.

Antiautoritäre Erziehung heute: Kinder brauchen Regeln und Freiraum

Eltern sollten sich weder für einen autoritären, noch für einen antiautoritären Führungsstil entscheiden, fordern deshalb Erziehungsexperten. Antiautoritäre Erziehung heute, sieht so aus: Kinder benötigen sowohl Regeln als auch Freiraum.

«Sinnvoll ist ein Führungsstil, der ein Gleichgewicht zwischen Freiräumen und Grenzen, zwischen Rechten und Verantwortlichkeiten erstrebt», heisst es im «Elternbuch STEP-Elterntraining», wissenschaftlich begleitet und evaluiert durch ein Team der Universität Bielefeld unter der Ägide von Professor Klaus Hurrelmann. «Demokratisch» nennt sich dieser Führungsstil. «So viele Regeln wie nötig, so viel Freiraum wie möglich», heisst es hierzulande oft.

Vor allem kleine Kinder sind mit zu viel Freiraum einfach überfordert. «Wenn Kinder klein sind, gebt ihnen Wurzeln. Wenn Kinder gross sind, gebt ihnen Flügel», besagt deshalb ein indischer Spruch, der viel Weisheit in sich birgt. Verständliche Regeln und verlässliche Rituale helfen, Halt und Orientierung zu finden. Im Idealfall leben Eltern diese vor, während die Kinder sie übernehmen. Der Umgang miteinander geschieht auf Augenhöhe. Das bedeutet nicht, dass Kinder genauso viel zu sagen haben wie Eltern, sondern dass sie als Menschen genauso ernst und wichtig genommen werden. «Kinder brauchen Orientierung, keine Bestimmer», erklärt der Erziehungsexperte Jan-Uwe Rogge in seinem Buch «Wie Erziehung garantiert misslingt». «Kinder wollen wissen, woran sie bei ihren Eltern sind!»

Weg von der Qual der Wahl

Sinnvoll ist es, ein Kind zwar mitentscheiden zu lassen, dabei aber Wahlmöglichkeiten vorzugeben. Die Frage «Wo möchtest du am liebsten Ferien machen?» bietet zu viele für das Kind unüberschaubare Möglichkeiten. Lässt antiautoritäre Erziehung zu viel Freiraum, wird die Wahl zur Qual. Konkreter ist die Frage «Möchtest du in den Ferien lieber viel im Wasser planschen oder reiten lernen?» Hier muss das Kind nur zwei Alternativen abwägen, erfährt aber gleichzeitig, dass seine Meinung seinen Eltern wichtig ist. Das macht stolz und mit den Jahren verantwortungsbewusst. Wer mit Kindern heute derart auf Augenhöhe umgeht, vermittelt ihnen langfristig Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit.

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