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«Mama hat’s erlaubt!» Wenn Eltern unterschiedliche Erziehungsstile haben

Die Mutter findet, Kinder dürfen auch mal Schoggipops zum Frühstück essen. Der Vater sagt, so ungesundes Zeug kommt ihm nicht auf den Tisch. Geht das zusammen? Warum unterschiedliche Erziehungsstile den Kindern nicht schaden müssen.

Verschiedene Erziehungsstile schaden Kindern nicht, aber viel Streit darüber.
Schoggi ja, Schoggi nein. Einigt euch doch mal! Bild: iStock


Das Familienleben hatten sie sich harmonischer vorgestellt. Seit das Kind auf der Welt ist, lauert der Streit hinter jeder Ecke. Beim Essen, auf dem Spielplatz, zu Besuch bei den Grosseltern, beim Zähneputzen, beim Schlafen gehen.

Beide Eltern möchten nur das Beste für das Kind. Doch: Was ist das Beste? Soll das Baby möglichst häufig am Körper getragen werden? Oder im Kinderwagen lernen sich auch ohne Körperkontakt sicher zu fühlen? Darf ein 1-jähriges Kind schon Süssigkeiten essen? Oder muss es erst alles Gemüse probieren, auch wenn es nicht will?

Auf viele Erziehungsfragen lässt sich nicht immer eine gemeinsame Antwort finden. Denn was wir in der Erziehung gut und richtig finden, ist abhängig davon welche Erfahrungen, Haltungen und Persönlichkeiten die Eltern haben und welcher Erziehungsstil sich daraus entwickelt hat.

Unterschiedliche Erziehungsstile müssen dem Kind nicht schaden

Während ein Elternteil eher streng ist und auf die Einhaltung von Regeln besteht, möchte der andere dem Kind möglichst viel Freiraum gewähren. «Lass das Kind doch! Die Kindheit ist doch kurz genug», sagt  sie. «Du verwöhnst das Kind viel zu sehr. So wird es später nicht durchs Leben kommen»,sagt er.

Doch müssen Eltern immer einer Meinung sein? Und müssen sie denselben Erziehungsstil haben? «Nein», sagen viele Erziehungs-Experten. «Normalerweise kommen Kinder gut damit zurecht, dass unterschiedliche Bezugspersonen sie unterschiedlich behandeln», erklärt der Fribourger Psychologe Fabian Grolimund. «Sie wissen, was sie jeweils bei der Mutter und dem Vater, den Grosseltern oder der Lehrerin dürfen, und was nicht.»

Ähnlich sieht das auch der dänische Familientherapeut Jesper Juul. «Dass Kinder Eltern brauchen, die sich in allem einig sind, ist veraltet», sagt er im Interview mit dem «Standard». Schliesslich sei es eine Tatsache, dass Menschen verschieden sind. Auch Eltern hätten unterschiedliche Geschichten, eigene Persönlichkeiten und in den meisten Fällen ein unterschiedliches Geschlecht. «Sie können sich grundsätzlich einig sein. Doch im täglichen Umgang miteinander zeigen sich ihre Eigenheiten. Das sollte auch so sein.»

Eltern müssen also nicht grundsätzlich am selben Zügel ziehen. Sie sind unterschiedlich und deshalb dürfen sie auch einen unterschiedliche Erziehungsstile pflegen. Es ist in Ordnung, wenn der Vater das Baby am Körper trägt, die Mutter es aber lieber im Wagen schiebt. Es ist kein Problem, wenn das Kind beim Vater mehr Süssigkeiten bekommt als vonder Mutter. Aber wenn der Vatermeint, das Kind muss den Spinat probieren, muss er das Problem mit dem Kind ausfechten – die Mutter nicht. Für Kinder ist es gut zu sehen, dass nicht jeder gleich reagiert. So lernen sie, wie das Leben in Gemeinschaft funktioniert.

Verschiedene Erziehungsstile schaden, wenn sich daraus ein Machtkampf entwickelt

Schwierig wird es, wenn ein Elternteil dem anderen Elternteil seinen Erziehungsstil überstülpen möchte – mit einer vorwurfsvollen Sprache und mit Druck. Denn Druck erzeugt immer Gegendruck. Im schlimmsten Fall entwickelt sich daraus ein Machtkampf, der das Wohl der Kinder völlig aus den Augen verliert. Die Mutter will dann mit noch mehr Freiheiten für die Kind die Strenge des Vaters ausgleichen. Der Vater dagegen wird immer strenger, um das Kind vor dem laissez-fairen Erziehungsstil der Mutter zu retten. Der Streit verselbstständigt sich, die Fronten verhärten sich.

Jedes Elternteil entwickelt eine Theorie über den anderen: «Du erlaubst ja alles! Bei dir können die Kinder alles machen, was sie wollen!», findet er. Und sie: «Du erlaubst den Kindern ja nichts. Du interessierst dich gar nicht für sie und willst nur deine Ruhe haben.». Die grössten Gefahren bestehen darin, dass sich ein Elternteil ganz aus der Erziehung zurückzieht oder sich die Eltern gegenseitig in den Rücken fallen. Dabei wäre das gar nicht nötig. Der Psychologe Fabian Grolimund sagt:«In der Regel kann das Kind besser mit den unterschiedlichen Erziehungsstilen umgehen als mit dem Streit der Eltern.»

Kinder beobachten genau, wie Eltern mit ihren Konflikten umgehen. Streit mit lauten Worten und Vorwürfen ängstigt Kinder. Jesper Juul rät deshalb dazu, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: «Bei Gesprächen über Erziehungsfragen sollte es nicht darum gehen, wer letztlich gewinnt, sondern welche Bedingungen die besten für die Kinder sind.» Kinder profitierten davon, eine Mutter und einen Vater zu haben, die sich gegenseitig – und ihre Unterschiede – wertschätzen. Eltern, die sich konstruktiv an den Konflikt über Erziehungsstile heranwagen, sind dem Kind ein grossartiges Vorbild.

Denn Konflikte sind normal. Es gibt kein Leben ohne Konflikte. Ein Konflikt ist immer eine Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen. «Sinnvoll kann es auch sein, den Partner zu fragen, wie er sich in seiner Rolle fühlt», erklärt Fabian Grolimund. «Vielleicht möchte er gar nicht immer nur auf Regeln bestehen, sondern auch mal Spass mit dem Kind haben – vorausgesetzt er weiss, dass der andere Elternteil auch auf die Einhaltung bestimmter Regeln achtet.»

Richtig streiten lässt sich lernen

Dabei geht es vor allem darum, sich vorwurfsfrei zu begegnen und die Perspektive des Partners einzunehmen. «Mir ist wichtig zu verstehen, wie du die Sache siehst.» So kann sich eine Einladung fürs Gespräch über die unterschiedlichen Vorstellungen von Erziehungsstilen anhören.

  • Dann ist es hilfreich, sich erst einmal zurückzulehnen und dem anderen wirklich interessiert und aufgeschlossen zuzuhören:
  • Was erfahre ich Neues?
  • Welche positiven Aspekte kann ich dieser Sichtweise abgewinnen?
  • Und warum glaube ich, dass meine Sichtweise gut ist? Hat meine Sichtweise auch Nachteile?
  • Können wir uns annähern?
  • Oder können wir immerhin unsere unterschiedlichen Sichtweisen akzeptieren?

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