Das Teilzeit-Dilemma der Väter
Männer wollen gute Väter sein. Sie wollen Zeit für die Familie haben und für ihr Kind da sein. Warum aber arbeiten Väter trotzdem zu 88 Prozent Vollzeit? Festgefahrene Rollenbilder und die Angst vor negativen Auswirkungen auf die Karriere machen es den Männern schwer Teilzeit zu arbeiten.
Wer heute Vater sein will, hat es nicht leicht. An ihn werden hohe Anforderungen gestellt. Er soll nicht mehr nur das Geld nach Hause bringen, sondern vor allem für die Kinder da sein und sich auf sie einlassen. Auf die Frage, was einen guten Vater ausmacht, antwortete Markus Theunert, Präsident des Dachverbandes der Männer- und Väterorganisationen «männer.ch» gegenüber der «NZZ», dass ein Vater «eine vertrauensvolle Bezugsperson ist, die für das Kind spürbar in der Lage ist, seine Bedürfnisse wahrzunehmen».
Entwicklungspsychologin Lieselotte Ahnert betonte in einem «Spiegel»-Interview, wie wichtig Väter seien, wenn es darum gehe, beim Kleinkind das Explorationsverhalten zu wecken, die Eroberung der Welt durch Neugier und Spielen. Eine Längsschnittstudie des deutschen Forscherehepaars Grossmann konnte zeigen, dass Väter, die mit ihren Kindern feinfühlig spielten und sie dabei vorsichtig herausforderten, die Autonomie ihrer Kinder innerhalb von Beziehungen im späteren Leben förderten.
Auch Väter haben ein Vereinbarkeitsproblem
Doch die modernen Väter müssten «Supermänner sein, um all die Forderungen zu erfüllen, die an sie gestellt werden», gibt der Buchautor Heinz Walter der «Zeit» zu. In der Realität sind die Ansprüche an Väter meist nur Wunschvorstellungen. Denn auch Väter haben ein Vereinbarkeitsproblem.
Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2010 sprechen für sich: Während 57 Prozent der Mütter mit dem jüngsten Kind unter sieben Jahren Teilzeit arbeiten, sind es bei den Vätern nur acht Prozent. Das am häufigsten gewählte Erwerbsmodell entspricht der traditionellen Rollenverteilung. In 81 Prozent der Familien mit mindestens einem Kind unter sieben Jahren arbeitet der Mann Vollzeit und die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder oder arbeitet nur Teilzeit. Bei nur vier Prozent der Familien sind beide Elternteile teilzeitbeschäftigt. Väter mit kleinen Kindern verwenden denn auch nur 29 Stunden für Haus- und Familienarbeit in der Woche auf, bei den Frauen sind es 56 Stunden.
Der männcher.ch-Präsident Markus Theunert, der auch Männerbeauftragter des Kantons Zürich ist, spricht angesichts dieser Tatsachen von einem «Mangel an Väterlichkeit oder an Vätern». Die Kinder hätten tagsüber nach wie vor wenig vom Vater, sagte er der «NZZ». Alltägliche Erlebnisse wie Einkaufen oder Kochen erlebten sie kaum mit ihm.
Acht Prozent der Männer mit kleinen Kindern arbeiten in Teilzeit
Ein genauer Blick auf die Statistiken zeigt aber auch, dass sich Väter bemühen mehr für ihre Kinder da zu sein. Noch vor zehn Jahren waren gerade einmal vier Prozent der Männer mit kleinen Kindern teilzeiterwerbstätig, heute sind es doppelt so viele. Auch der Anteil an der Haus- und Familienarbeit ist gestiegen: von rund 27 Stunden auf 29 Stunden.
Dass der Wille nach mehr Väterlichkeit da ist, zeigt auch eine andere Statistik. Die Dachorganisation der Familienverbände «Pro Familia» fand 2011 in einer Befragung von über 1000 Mitarbeitern von Klein- und Mittelunternehmen im Kanton St.Gallen heraus, dass sich Väter mehr Zeit mit den Kindern wünschen. «Männer wünschen sich, von ihren Kindern nicht nur als Wochenendväter wahrgenommen zu werden», heisst es in der Medienmitteilung zur Studie. Daniel Huber, Geschäftsführer der schweizerischen «Fachstelle UND Familien- und Erwerbsarbeit für Männer und Frauen» weiss, dass viele Männer zu Hause gerne präsenter wären. Und sie «haben ein schlechtes Gewissen, wenn sie es nicht schaffen», sagte er im Interview mit unserer Plattform. (siehe Interview Familie und Beruf vereinbaren: so geht es leichter)
90 Prozent der befragten Männer aus der Pro Familia Studie wünschen sich, ihre Arbeitszeit zu reduzieren und viele wären sogar bereit dafür Lohneinbussen in Kauf zu nehmen. Allerdings befürchte mehr als die Hälfte der Männer bei einer Arbeitszeitreduktion negative Auswirkungen auf die Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten, so Pro Familia. Sie beklagten die diesbezüglich immer noch festgefahrenen Rollenbilder.
Teilzeit für Männer ist noch Neuland
Hier steckt das Problem. Männer, die Beruf und Familie vereinbaren wollen, betreten Neuland, schreibt die Fachstelle «UND» in einem Beitrag für unsere Plattform (siehe Beitrag Teilzeitjobs für Väter gesucht). Sie stünden im Konflikt mit traditionellen Rollenerwartungen, die allein in der Erwerbstätigkeit Sinn und Ziel männlicher Identität sehen. «Viele Männer fragen sich, ob sie mit einem Teilzeitpensum noch als ganzer Mann, beziehungsweise als leistungsfähig und –willig angesehen werden.» In vielen Unternehmen herrsche nach wie vor die «Verfügbarkeitsideologie», wie Theunert sagt. Ein Teilzeit-Mitarbeiter stosse vielerorts noch immer an eine gläserne Decke, wenn er Aufstiegsambitionen hegt. Das hat auch das Väternetzwerk Avanti Papi festgestellt: «Es gibt zwar tatsächlich Firmen, welche Teilzeitstellen zur Verfügung stellen, aber meist folgen den schönen Worten nur selten Taten.»
Das sagen unsere Facebook-Fans zur Frage: Warum gibt es so wenige Teilzeit-Männer?
- Ursula Dürrenberger: Weil viele Firmen dies nicht wollen oder nicht anbieten.
- Nicole Tanja Capraro: weil oft die Männer mehr verdienen, als die Frauen.
- Oliver Kutzner: Weil es viele Frauen gibt, die nicht dazu bereit wären, die volle finanzielle Verantwortung für die gesamte Familie zu übernehmen? Und ich rede in diesem Zusammenhang nicht von alleinerziehenden Müttern, deren Leistung ich grösstenteils anerkenne und schätze. Also bitte keine «Frauenhasser- und frustrierter Mann-Parolen» - dem ist nicht so - ganz im Gegenteil. Soll nur als kleiner Denkanstoss gelten :-)
- Céline Fuhrer-Grünig: Ich würde in meinem absoluten Frauenberuf (gibt wohl keinen typischeren Frauenberuf als meinen - ausser das «älteste Gewerbe der Welt») nicht ansatzweise soviel verdienen wie mein Mann in seinem Beruf (er ist ein «Normalverdiener» in einem eher schlecht bezahlten typischen Männerberuf) - deshalb verdient mein Mann das Geld und ich bin zu Hause. Ich würde Teilzeit arbeiten gehen, wenn ich einen Teilzeitjob finden würde (damit mein Mann ev. einen oder zwei Tag/e zu Hause bleiben könnte) - leider auch hier: Fehlanzeige! Entweder, ich arbeite 80-100% - oder ich finde keine Stelle in meinem erlernten Beruf! So ist das... Nur mal so als Gedankenanstoss...
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Hinzu kommt, dass auch der Staat an traditionellen Rollenbildern festhält. Männerpräsident Theunert bemängelt im Interview mit der «NZZ», dass die Rahmenbedingungen die, wie er es nennt, «Ernährerfalle» fördern. Was er damit meint? Nach der Geburt erhalten Frauen während 14 Wochen eine Mutterschaftsentschädigung. Für Männer gibt es keinen gesetzlich geregelten Vaterschaftsurlaub. Was folgt ist: Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit und Männer arbeiten teilweise noch mehr als vorher, um die Einkommensverluste auszugleichen. Mit jedem Jahr mache es für die Familie ökonomisch weniger Sinn, wenn der Mann zugunsten der Familie die Erwerbsarbeit reduziert, so Theunert. Da aber die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz oftmals als individuelle Herausforderung jedes einzelnen Paares angesehen wird, empfinden Väter das «Anstossen an den eigenen Ansprüchen als Scheitern und nicht als Ungerechtigkeit», erklärt er.
Elternzeit für Väter und Mütter
Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen (EKFF) hat deshalb schon im Oktober 2010 die Einführung einer gesetzlich geregelten Elternzeit von 24 Wochen gefordert, die sowohl von Vätern als auch von Müttern in Anspruch genommen werden könnte. Die EKFF hofft, dass die «Elternzeit auch bei geringem Männeranteil ein allmähliches Umdenken begünstigen und längerfristig zu einer egalitären Rollenverteilung beitragen (kann). Sie stärkt die Verhandlungsposition der Väter als Arbeitnehmende mit familiären Verpflichtungen.»
Solche Vorschläge für die Einführung eines Eltern- oder Vaterschaftsurlaubs haben in der Schweiz aber einen schweren Stand. Der Arbeitgeberverband kritisierte die hohen Kosten des Modells. Auch die parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion für die Einführung eines Elternurlaubs nach dem Modell der EKFF wurde jetzt abgelehnt. Etwas anders sieht es beim eigenverantwortlichen Modell von «männer.ch» aus. Es sieht vor, dass Männer und Frauen ähnlich wie bei der Altersvorsorge mit einem frei wählbaren Prozentsatz ihres Lohnes oder jährlichen Zahlungen ein Elternzeitguthaben ansparen, das steuerlich begünstigt wird. Kommt ein Baby zur Welt, können sie das Guthaben nutzen, um die Arbeitszeit zu reduzieren oder Ferien zu nehmen.
Ruth Derrer Balladore vom Arbeitgeberverband bestätigte kürzlich der «NZZ», dass dem Verband das eigenverantwortliche Modell deutlich besser behage. «Gegen eine private Versicherung habe ich nichts einzuwenden», sagte sie. Auch politisch könnte das Modell besser ankommen. Der Ständerat unterstützt den Vorschlag und hat im Herbst 2011 ein entsprechendes Postulat an den Bundesrat überwiesen. Dieser will nun das «vorgeschlagene Modell einer vertieften Analyse zu unterziehen, da es gewisse neue und interessante Ansätze enthält», heisst es in der Stellungnahme Bundesrates.
Gute Erfahrungen werden derzeit auch mit Väterforen gemacht. Die Fachstelle «UND» gibt Männern eine Plattform, um sich untereinander und mit Führungskräften zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie auszutauschen. Männer erfahren mehr über väterfreundliche Arbeitszeitmodelle und wie sie mehr Zeit für die Betreuung ihrer Kinder, für die Hausarbeit und für sich selber gewinnen können. Derzeit bieten Unternehmen wie die Swisscom oder die Stadtverwaltung Winterthur solche Väterforen an.
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