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Zum Schutz Minderjähriger: «Es braucht klinische Studien bei Kindern»

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Auf Medikamente reagieren sie oft anders als ein voll entwickelter Körper. Trotzdem werden ihnen noch immer Arzneimittel verabreicht, die nur an Erwachsenen getestet wurden, auch «off-label-use» genannt. Um Heranwachsende vor gefährlichen Nebenwirkungen zu schützen, setzt sich ein Netzwerk aus Kinderspitälern für mehr klinische Studien mit Kindern in der Schweiz ein.

Klinische Studien mit Kindern sollen in der Schweiz vermehrt durchgeführt werden
Oft werden Kindern Medikamente verabreicht, die nur durch klinische Studien mit Erwachsenen getestet wurden. Foto: djedzura, iStock, Thinkstock

Wenn Kinder krank werden, bleibt Ärzten manchmal nichts anderes übrig, als ihnen Medikamente zu verabreichen, die bisher nur an Erwachsenen getestet und zugelassen wurden. Wie sie auf Kinder wirken, ist unklar. Viele Therapien werden bis heute nicht durch klinische Studien an Kindern getestet. Ein Grund ist, dass ethische Bedenken zu äusserst restriktiven Rahmenbedingungen im Arzneimittelgesetz geführt haben. Seit einigen Jahren ändert sich allerdings die Einstellung, wie Experten an einer Presseveranstaltung des Pharmakonzerns Bayer im Februar in Zürich erklärten.

Besonderheiten bei klinischen Studien mit Kindern

Klinische Forschungen, die Kinder betreffen, sind gegenüber jener in der Erwachsenenmedizin aus verschiedenen Gründen benachteiligt: Es gibt weniger Krankheitsfälle und somit weniger potentielle Patienten, man findet zahlreiche seltene angeborene Erkrankungen und Krankheiten wirken sich je nach Alter des Kindes unterschiedlich aus. Zusätzlich existieren ethische, gesetzliche, psychologische und soziale Schwierigkeiten. «Kinder gehören zu den vulnerablen Gruppen. Bei ihnen soll das Risiko-Nutzen-Verhältnis besonders kritisch beurteilt werden», erklärt Prof. Dr. med. André Perruchoud, Präsident der Ethikkommission Nordwest- und Zentralschweiz. Vom Frühgeborenen bis zum Teenager sind die Patienten unterschiedlich aufnahmefähig. Damit Studienteilnehmer entscheiden können, ob sie an einer klinischen Studie teilnehmen möchten, müssen sie die Studie aber wirklich «verstehen». Zusätzlich zu Broschüren sollte es eine mündliche Information geben. Dabei ist vor allem wichtig, welche Sprache ein Arzt benutzt und wie lang die Information ist. «Man muss sich gut überlegen, wen man an die Front schickt», so Perruchoud. Hinzu kommt, dass die Ärzte bei Kindern auch deren Eltern einbeziehen müssen. «Es ist schwieriger mit Eltern Minderjähriger zu reden, als mit einem 25-Jährigen, der für sich selbst entscheiden kann.»

Warum braucht es klinische Studien mit Kindern?

Trotz aller Schwierigkeiten ist man in der Schweiz bemüht, mehr klinische Studien mit Kindern durchzuführen. Von der Geburt bis zur Pubertät verändert sich der Körper eines Kindes sehr stark und sehr unterschiedlich. «Das betrifft nicht nur die Körpergrösse und das Gewicht, sondern auch die Funktionen, das heisst die Arbeitsqualität und Arbeitsleistung der einzelnen Organe wie Gehirn, Abwehrsystem, Leber und Nieren», erklärt Prof. Dr. med David Nadal, Kinderarzt und Direktor des Forschungszentrums am Uni-Kinderspital Zürich. Daher können Medikamente, die von Erwachsenen gut vertragen werden, bei Kindern giftig wirken. Oder Medikamente, die bei Erwachsenen heilend wirken, schlagen bei Kindern nicht an, weil sie diese anders verarbeiten. Ein Beispiel ist Ritalin: «Während Ritalin bei Erwachsenen zu einer Hyperaktivität führt, wird es Kindern gegen ADS verabreicht, um sie zu dämpfen», sagt Nadal. Der Kinderarzt warnt deshalb davor, Ergebnisse von Studien mit Medikamenten bei Erwachsenen einfach auf Kinder herunterzubrechen. «Es braucht klinische Studien bei Kindern, die deren Eigenschaften restlos berücksichtigen. Nur so werden die Kinder beim Einsatz von Medikamenten genügend geschützt», plädiert er.

Medikamente für Kinder im «Off-label-use»

Viele Ärzte sehen sich in dem Dilemma, Kindern eine bestmögliche Behandlung bieten zu wollen, aber keine für Kinder zugelassenen Medikamente zu haben. So verschreiben sie im Rahmen der Therapiefreiheit Pharmazeutika, die zwar zugelassen sind, aber nur an Erwachsenen getestet wurden. Sie werden «off-label», also ausserhalb der vorgesehenen Anwendung verabreicht. Laut dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz (interpharma.ch) ist der «off-label-use» bei Neugeborenen fast immer der Fall, bei Kindern in mehr als der Hälfte der Fälle. Ärzte verlassen sich dabei aber auf ihre langjährige Erfahrung. Hat sich ein Medikament jahrzehntelang bei der Behandlung von Kindern bewährt, ist es auch nicht wünschenswert, dies noch mit Kindern in Studien zu testen. Anders ist es mit neu zugelassenen Medikamenten, bei denen man noch wenig Erfahrungswerte hat. «Stellt ein Arzt bei einem Kind Nebenwirkungen fest, die sich auf das für Kinder unzulässige Medikament zurückführen lassen, ist er verpflichtet, es der Swissmedic zu melden. Das hilft ja auch anderen Patienten», betont André Perruchoud, Präsident der Ethikkommission. Die Swissmedic, die schweizerische Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Heilmittel sorgt dafür, dass zugelassene Medizin wirksam und sicher ist.

Schweizer Netzwerk «SwissPedNet»: Forschung bei Kindern verbessern

Weil Krankheiten bei Kindern in der Regel seltener sind als bei Erwachsenen und es somit weniger mögliche Studienteilnehmer gibt, haben sich die Schweizer Kinderspitäler Basel, Bern, Genf, Lausanne, Zürich, Aarau, Luzern und St. Gallen 2012 zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Das «SwissPedNet» setzt sich dafür ein, die pädiatrische Forschung zu intensivieren. Durch den Zusammenschluss hat das Netzwerk zum einen mehr potentielle Patienten und zum anderen Anlaufstellen in allen grossen Städten, sodass Familien nicht weit anreisen müssen. «Man hat heute selten Vorbehalte, klinische Studien mit Kindern zu machen, aber wir halten uns an Richtlinien», meint Perruchoud. «Wir haben eher Vorbehalte wie eine Studie durchgeführt wird und versuchen, die Risiken zu minimieren. Dafür schauen wir genau, welche Behandlungsschritte wirklich notwendig sind und welche man weglassen kann.» Wichtigste Grundregel zum Schutz Minderjähriger sei ausserdem nichts an Kindern zu testen, das man auch bei Studien mit Erwachsenen herausfinden könnte.

Ethisches Grundprinzip «Gerechtigkeit»

Eine der wichtigsten ethischen Prinzipien ist «Gerechtigkeit». In Bezug auf klinische Studien bedeutet das für Ethikkommissionen, Lasten und Nutzen der Forschung für den Patienten gerecht zu verteilen und es zu vermeiden, sozial Schwächere auszubeuten. «Es ist beispielsweise unethisch, Medikamente an Kindern in Afrika zu testen, die nur in der Schweiz gebraucht werden. Es gibt die Mindestanforderung, dass dort, wo man etwas testet, das Medikament auch hauptsächlich eingesetzt wird», meint Perruchoud. «Wenn aber eine Behandlung gegen Aids oder Ebola gefunden werden soll, ist es durchaus sinnvoll, klinische Studien in Afrika durchzuführen.»

Weitere Informationen über klinische Studien mit Kindern:

 

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