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Berliner Modell: Eine schrittweise Eingewöhnung in die Kita

UrsprungGrundsätzeEingewöhnungszeitSchritteRolle der ElternVor- und NachteileZürcher Modell

Die meisten Krippen arbeiten mit dem Berliner Modell, um dem Kind eine sanfte Eingewöhnung in die Betreuung zu ermöglichen. Wie der Eingewöhnungsprozess heute in der Schweiz abläuft und was Eltern für einen gelungenen Kitastart tun können.

Kinder spielen in der Kita
Während der Krippen-Eingewöhnung muss sich das Kind ganz neu orientieren. Bild: Fatcamera - E+

Euer Kind kommt bald in die Krippe. Und ihr fragt euch: «Wird sich unser Kind von uns trennen können?» «Wird es sich in der Krippe wohl fühlen?» «Werden wir auch loslassen können?» Mit diesen Fragen dürft und solltet ihr euch sogar unbedingt vor dem ersten Tag an die Erzieherinnen wenden. Denn eine enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Eltern und Erziehern ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit die Kita-Eingewöhnung gut gelingt. 

Die meisten Schweizer Kinderkrippen gestalten den Übergang von der häuslichen in die Fremd-Betreuung nach dem sogenannten «Berliner Modell», einem der ältesten, aber auch erprobtesten Eingewöhnungsmodelle.

So entstand das Berliner Modell

Das «Berliner Eingewöhnungsmodell» ist ein Leitfaden zur sanften Schritt-für-Schritt-Eingewöhnung in die Kita. Entwickelt wurde es in den 1980er Jahren am Berliner INFANS Institut für angewandte Sozialisationsforschung/Frühe Kindheit e.V.  von Hans-Joachim Laewen, Beate Andres und Éva Hédervari-Heller. Die Pädagogen hatten im Rahmen eines Forschungsprojekts herausgefunden, dass Kinder, die sich ohne Elternbegleitung eingewöhnen mussten, in den ersten Monaten sieben Mal länger krank waren, mehr Ängste hatten und weniger von Möglichkeiten der Kita profitierten. Sie konnten so die Vorteile einer begleiteten Eingewöhnungsphase belegen.

Die zwei Grundsätze des Berliner Eingewöhnungsmodells

Die sanfte Eingewöhnung ruht auf zwei Säulen: Bezugspersonen und Behutsamkeit. 
Das Kind wird zur Eingewöhnung immer von einer seiner wichtigsten Bezugspersonen begleitet, in der Regel also Mutter oder Vater. Im Beisein der vertrauten Personen fällt es ihm leichter, sich in der Kita einzuleben und tragfähige Beziehungen zu den Erziehern und den anderen Kindern aufzubauen.
Zudem findet die Eingewöhnung langsam statt. Das Kind wird nicht überfordert oder unter Druck gesetzt. Dadurch fühlt es sich auch langfristig wohler in der Gruppe und kann sich besser entwickeln und besser lernen. 

Wie lange die Eingewöhnung dauert, hängt vom Kind ab

Das Berliner Eingewöhnungsmodell sieht in der Regel ein bis ca. drei Wochen für die Eingewöhnung eines Kindes vor. Das Tempo bestimmt am Ende aber das Kind: «Die Eingewöhnungszeit sollte individuell angepasst sein, aber niemals drei Tage unterschreiten. (...) Je nach Temperament, bisherigen Bindungserfahrungen und individuellem kindlichem Verhalten dauert eine Eingewöhnung unterschiedlich lang», schreiben die Pädagoginnen Katja Braukhane und Janina Knobeloch in der Fachbroschüre für Erzieherinnen. 

Ablauf des Berliner Modells: Die Schritte der Eingewöhnung

Schritt 1: Information der Eltern

Der erste Teil der Eingewöhnung richtet sich an die Eltern. Sie werden vom Fachpersonal der Kita über den Ablauf der Eingewöhnung informiert – in einem Gespräch, aber auch schriftlich. Aber auch die Erzieher benötigen Informationen. Zum Beispiel: Womit spielt das Kind oft, was isst es gern, was mag es nicht? Welche Worte und Gesten benutzt es, um sich verständlich zu machen?

 

Schritt 2: Grundphase

In den ersten drei Tagen der Eingewöhnung besucht das Kind die Kita nur mit einem Elternteil zusammen und nur für kurze Zeit. In der Regel startet man mit ein bis zwei Stunden. Die Erzieher laden das Kind bereits ein, an Aktivitäten teilzunehmen und versuchen vorsichtig, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Die Eltern verhalten sich eher passiv, abwartend und schauen zu, übernehmen aber noch das Wickeln und Füttern. Fachleute nennen diese Phase «Grundphase».

Schritt 3: Erster Trennungsversuch

Das Berliner Modell sieht erst für den vierten oder fünften Tag einen ersten Trennungsversuch vor. Dieser ist wichtig, um einzuschätzen, wie viel Zeit für die weitere Eingewöhnung eingeplant werden muss. Dabei verabschiedet sich die Mutter oder der Vater im Raum vom Kind. Die Reaktion eures Kindes entscheidet über den weiteren Verlauf der Eingewöhnung.
Spielt es weiter? Weint es gar nicht oder nur kurz? Das spricht für eine weitere Eingewöhnungszeit von ca. einer Woche. Lässt sich das Kind aber nicht von den Erziehern beruhigen, kehrt die Mutter oder der Vater schnell wieder in den Raum zurück. Nun ist davon auszugehen, dass die Eingewöhnung zwei bis drei Wochen dauern wird.

Schritt 4: Stabilisierungsphase

In der nächsten Phase, der sogenannten Stabilisierungsphase, steht der Aufbau einer guten Beziehung zwischen Erziehern und Kind im Vordergrund. Die Erzieher übernehmen mehr und mehr die Pflege und binden das Kind ins Spiel mit ein, während sich Mutter oder Vater langsam zurückziehen. Bei Kindern, die leicht mit der Situation umgehen, werden die Trennungen von Mutter oder Vater – ausgehend von einer halben Stunde – weiter verlängert. Sie können bereits am fünften Tag in der Kita schlafen. Bei den anderen Kindern gibt es erst in der zweiten Woche einen neuen Trennungsversuch.

Schritt 5: Schlussphase

In dieser Phase ist das Kind bereits ohne Mutter oder Vater einige Stunden in der Kita, wo es immer besser die Abläufe und Regeln kennenlernt. Ein Elternteil muss aber immer erreichbar sein. Noch muss das Kind seinen festen Platz in der Gruppe finden – die Erzieher helfen dabei.

Schritt 6: Eingewöhnt!

Die Eingewöhnung ist jetzt abgeschlossen. Das Kind kommt nun gern in die Kita und lässt sich – falls notwendig – zuverlässig von den Erziehern trösten. 

Das können Eltern tun, um ihrem Kind die Eingewöhnung zu erleichtern

Die meisten Eltern wünschen sich, dass sich ihr Kind schnell in die Kita einlebt, weil sie es als besonders selbstständig und selbstsicher erleben wollen. Gut zu wissen ist in dieser Situation, dass gerade Kinder, die mehr Zeit für die Eingewöhnung benötigten, sich oft besonders sicher in der Beziehung zu den Eltern fühlen. Sie sind – so die Fachsprache - «sicher gebunden». Das bedeutet, dass sie offen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Diese Sicherheit wirkt sich positiv auf ihr weiteres Leben aus. Wichtig ist deshalb, dass Eltern ausreichend Zeit für die Eingewöhnung einplanen und der Alltag möglichst stabil für das Kind verläuft.


Darüber hinaus helfen Eltern bei der Kita-Eingewöhnung am meisten, wenn sie einen klaren Standpunkt, Optimismus und Zuversicht ausstrahlen. 
Wenn ihr zweifelt und euch fürchtet, wird es euer Kind auch tun. Wenn ihr eure Zweifel nicht zerstreuen könnt, solltet ihr unbedingt mit den Erziehern sprechen. Erst wenn ihr ihnen vertrauen, könnt ihr dem Kind die Trennung zumuten.

Die Vorteile und die Nachteile des Berliner Modells

Der Berliner Eingewöhnungsprozess sorgt für Übersicht. Wenn Eltern wissen, in welchen Schritten die Eingewöhnung voran geht, fühlen sie sich sicherer – eine Sicherheit, die sie dem Kind weiter geben können. Da das Berliner Modell zu den ältesten Eingewöhnungsmodellen gehört, gilt es als gut erprobtes und verlässliches Konzept.

Aber es gibt auch Kritik. Das Berliner Modell richtet sich vor allem an Kinder, die drei und mehr Tage in der Woche in die Krippe gehen. «Wenn eine Kita vorwiegend Kinder betreut, die zwei Tage pro Woche die Kita besuchen, müssen bedeutend mehr Eingewöhnungen gemacht werden. Dadurch dauert die Eingewöhnungszeit bedeutend länger …», gibt die Stadt Zürich zu bedenken.

Zürich hat ein eigenes Modell für die Krippeneingewöhnung

Das bewährte Berliner Modell geht auf die Teilzeitthematik kaum ein. Deshalb wurde das «Stadtzürcher Eingewöhnungsmodell» entwickelt.
Dieses besteht aus einzelnen Modulen, die Kitas je nach Bedarf zusammenstellen können. Während einige Module immer vorkommen müssen, lassen sich andere optional anwenden. Zum Beispiel ist in der Vorbereitung auf den Kitastart des Kindes immer ein Eintrittsgespräch vorgesehen. 

von Sigrid Schulze

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