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Kinder kommunizieren nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Ihr Verhalten teilt uns ganz viel über ihr Befinden und ihre Bedürfnisse mit. Erziehungsberaterin Maya Risch verrät, wie Sie diese versteckten Botschaften erkennen und verstehen. 

Kinder kommunizieren nicht nur mit Worten Versteckte Botschaften verstehen
Was will mir mein Kind sagen mit seinem Verhalten? Versteckte Botschaften sind nicht immer einfach zu verstehen. Bild: GettyImages Plus, Orbon Alija

In der Beratung erzählte mir kürzlich ein Vater, was er auf einer Wanderung erlebt hatte: «Als wir im Bergrestaurant waren, kletterte mein dreijähriger Sohn auf einmal auf den Holztisch und begann, darauf hin- und herzulaufen.» Das machte mich neugierig. Warum stieg dieser Junge auf den Tisch und ging darauf spazieren? Wollte er zeigen, wie gross er schon ist? Wollte er erkunden, wie die Welt von oben aussieht? Oder wollte er einfach seine Eltern provozieren und machte etwas, wovon er wusste, dass er es nicht durfte?

Kinder reagieren auf ihre Umwelt

Kinder haben fast immer einen guten Grund für ihr Verhalten. Sie reagieren damit auf ihre Umwelt. Für uns ist dieses Verhalten zwar manchmal ein Rätsel, es nervt uns oder wir fühlen uns dadurch provoziert. Oder wir finden, wir hätten keine Zeit für diesen «Blödsinn» und wollen, dass das Kind Ruhe gibt und sich anständig benimmt.

Der Vater berichtete weiter, dass er damals gerade einen guten Tag gehabt habe und nicht gleich losschmipfte, sondern fragte: «Was machst du denn da oben? Ich will nicht, dass du mit Schuhen auf dem Tisch herumgehst. Komm runter!» Der dreijährige Knirps antwortete: «Ihr habt mir nicht zugehört!» Aha! Der Kleine wollte mit seiner Aktion also ausdrücken, dass er bereits mehrmals versucht hatte, etwas zu fragen oder zu erzählen, was gerade wichtig für ihn war, die Eltern ihn nicht gehört hatten. Mit seinem Verhalten erhielt er die gewünschte Aufmerksamkeit natürlich schnell.

Der Vater reagierte ruhig: «Ja, das ist wahr, wir haben gerade gar nicht gemerkt, dass du uns etwas sagen wolltest. Danke, dass du uns darauf aufmerksam gemacht hast. Komm runter und ich höre dir zu». Hätte der Vater einen «schlechten» Tag gehabt, wäre er sauer geworden und hätte das Kind vielleicht angeschrien und gemassregelt. So hätte er eine Chance verpasst, die Beziehung zu seinem Sohn zu stärken und wertzuschätzen, dass sein Junge sich schon so klar ausdrücken konnte.

Interesse zeigen und hinterfragen

Für uns Eltern ist es meist schwierig, die versteckten Botschaften unserer Kinder zu verstehen. Insbesondere dann, wenn sich Kinder nicht konform verhalten, Widerstand leisten, Regeln überschreiten oder wir uns sonst irgendwie provoziert fühlen. Aggressives Verhalten von Kindern wird immer durch etwas ausgelöst. Das Kind hat seinen guten Grund, wenn es aggressiv wird, Widerstand leistet oder sich zurückzieht. Mit seinem Verhalten will es uns etwas sagen, was ihm jedoch selber meistens nicht bewusst ist.

Gelingt es uns, das Verhalten des Kindes als Einladung zu sehen, uns dafür zu interessieren, was das Kind bewegt, können wir, wie der Vater im Beispiel, manchmal verstehen, was uns das Kind mitteilen will.

So erkennen Sie versteckte Botschaften

Ihr Kind verhält sich anders als Sie es erwarten? Vielleicht will es Ihnen etwas mitteilen. Diese Botschaften könnten hinter der Aktion stehen:

«Mir geht es gerade nicht so gut, ich weiss mir nicht mehr selber zu helfen. Kann bitte jemand sehen, was mit mir los ist?"

«Ich kann nicht mehr ruhig spielen, ich brauche Bewegung.»

«Ich habe Hunger, Durst, bin müde. Ich brauche essen, trinken, schlafen.»

«Mir fehlt die Nähe zu euch, ich fühle mich alleingelassen und unverstanden. Ihr habt so viel zu tun mit dem Baby, der Arbeit, dem kranken Opa, ...»

«Ich habe zu wenig Selbstbestimmung, kann nicht mitbestimmen. Nichts darf ich. Immer sagt ihr Nein.»

«Ihr kommt mir zu nahe. So fühle ich mich nicht wohl.»

«Ihr vertraut mir nicht. Nichts darf ich selber machen. Ich brauche mehr Vertrauen.»

«Ihr sagt nie Nein, ich fühle mich orientierungslos.»

Lange Zeit dachte ich, dass Kinder sagen können, was ihnen nicht passt und was sie brauchen, so wie der kleine Junge im Beispiel am Anfang. Dass dies eine Ausnahme ist, lernte ich von meinem Sohn, als er etwa 10 Jahr alt war. 

Auch ältere Kinder senden Botschaften

Eine Zeit lang entstand bei uns zu Hause an praktisch jedem Abend beim Zähne putzen und ins Bett bringen schlechte Stimmung und Streit. Mein älterer Sohn war gereizt und ärgerte seinen Bruder. Es begann mit einem Necken, dann folgte ein Abwerten, Schubsen - und so ging es weiter. Der Jüngere liess sich das nicht gefallen und wehrte sich, wurde laut und grob. Ich hielt den Lärm und die Spannung nicht aus und wurde auch laut. Nach einigen Tagen kam mir in den Sinn, dass mir mein älterer Sohn vielleicht etwas mitteilen wollte. Aber ich kam einfach nicht drauf, was dies sein könnte.

Einige Abende später reagierte ich etwas genervt aus dem Bauch heraus: «Ich verstehe einfach nicht, was los ist am Abend. Jeder Abend endet im Streit. Willst du vielleicht, dass ich dich, meinen älteren Sohn, wieder einmal zuerst ins Bett begleite?» Zu meiner grossen Überraschung antwortete er mit einem einfachen «Ja». Einen Moment lang war ich sprachlos über diese unerwartet klare Antwort, dann sagte ich: «Aha, dann sag mir das doch, das mache ich gern. Es wäre so viel einfacher für mich und uns alle, wenn du uns sagen würdest, was dich stresst.» Darauf erwiderte er: «Wenn ich das gekonnt hätte, hätte ich es ja gemacht.»

An diesem Abend wurde mir klar, dass ich die Fähigkeit von Kindern, ihre Bedürfnisse zu äussern, überschätzte. Ich realisierte, dass dies auch für ältere Kinder gilt, die sich sonst sprachlich sehr gut ausdrücken können.

Ist es nicht so, dass auch wir Erwachsenen nicht immer wissen, warum wir genervt, traurig oder aggressiv sind und was wir brauchen, damit es uns besser geht? Oft fehlen doch auch uns die passenden Worte oder wir wagen nicht, sie auszusprechen. Ist es da erstaunlich, dass dies Kindern noch viel schwerer fällt?

Beratung für Sie

  • Einzel- oder Paarberatung über Zoom oder Telefon kostet noch bis zum Ende der Coronakrise 60min/Fr. 100.- (statt Fr. 120.-), Beratung in der Praxis 120.- mit 90min Erstgespräch.
Erziehungsberaterin Maya Risch.

Praxis für Beziehungskompetenz

Die Familienberaterin, Familylab Seminarleiterin und Waldkindergärtnerin Maya Risch lebt mit ihren zwei Söhnen und ihrem Mann in Zürich-Oerlikon. In einer individuellen Eltern- bzw. Familienberatung oder in Gruppentreffen bietet sie Eltern die Möglichkeit, zu erfahren, wie sie mit Unsicherheiten, Wut und Konflikten umgehen können und zeigt neue Perspektiven im Umgang mit Stolpersteinen im Familienalltag auf. 

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