Eltern nerven, aber das Handy manchmal auch
Die Erziehung von Jugendlichen ist oft mit Konflikten verbunden, nicht zuletzt wenn es ums Handy geht. Ständiger Streit rund um den Medienkonsum ermüdet, vor allem wenn er den Familienalltag dominiert. Aber was sagen die Jugendlichen selber dazu? Wir haben sie gefragt – und überraschende Einblicke erhalten.
Das Wichtigste in Kürze:
- Die Jugendlichen Sara und Yannik gestehen sich ein, dass sie im Alltag häufig vom Handy und den verschiedenen Apps abgelenkt werden.
- Meistens unterdrücken Jugendliche ihre Langeweile mit Social Media oder Netflix.
- Über 12 Tage würde es dauern, wenn man die gesamten Simpsons-Staffeln am Stück schauen würde.
- Die Jugendlichen haben selber Tipps aufgelistet, welche bessere Konzentration und weniger Handy-Ablekung beim Lernen versprechen. Hier geht es direkt zu den Tipps!
Im Gespräch mit den beiden Jugendlichen Sara und Yannick erzählen sie, warum sie das Handy ablenkt und wie sie der ständigen Versuchung, ans Handy zu gehen, selber widerstehen können.
Was sind Saras und Yannicks Handy-Stolpersteine?
Sara und Yannick gehen auf die 1. Oberstufe einer Sekundarschule in Zürich und sind 13 Jahre alt. Im Rahmen meiner Tätigkeit als Medienpädagogin für den Verein zischtig.ch erzählen sie mir von ihren grössten Herausforderungen im Umgang mit dem Handy beim Lernen:
- Sara (13) nervt es, dass sie in den Gruppenchats so oft nur unnötige Nachrichten zugeschickt bekommt. Hunderte von Whatsapp-Stickern und irgendwelche Memes, die den aktuellen Verfassungszustand beim Lernen ausdrücken sollen.
- Yannick (14) geht es ähnlich. Er ergänzt Sara, dass Instagram und Snapchat aber auch willkommene Abwechslung bieten zum lernen der Französisch-Vokabeln.
Handy hat beim Lernen nichts auf dem Pult zu suchen – schon klar?!
Ich frage die beiden, wie man sich denn vor Ablenkung schützen kann? Natürlich können sie mir etliche Strategien runterleiern, wie man sich nicht ablenken lässt: Flugmodus, Handy ausschalten oder in einen anderen Raum legen, abends nur mit aktiviertem Blaulichtfilter (Nightshift) am Handy und natürlich über Nacht das Handy nicht im Zimmer – schliesslich würde das den gesunden erholsamen Schlaf stören.
Ich schmunzle, denke an die Eltern: Eltern macht einen viel besseren Job als sie glauben! Die Pubertierenden können sich vielleicht nur nicht so direkt zugestehen, dass die Regeln der Eltern eigentlich schon Sinn ergeben.
Mal ehrlich.
Aber so einfach gebe ich mich nicht zufrieden. Mit einem Augenzwinkern und einem «Mal ehrlich» frage ich nach, wieviel Zeit sie denn so am Handy und auf den einzelnen Apps verbringen und ob sie sich eher als Vielnutzer*in einschätzen würden oder nicht. Yannick hat keinen Plan, aber er kann das ja nachschauen auf dem Handy. Im Durchschnitt hat er 4h48min täglich am Handy verbracht – aber er hatte auch keine Prüfung und Netflix zählt ja eigentlich auch nicht. Sarah ist 2h58min im Schnitt am Handy gewesen und findet das schon eher viel.
Sie kommen zum Schluss: Nur wenn eine grössere Prüfung ansteht, klappt das (meistens) mit dem Handyweglegen. Bei den täglichen Hausaufgaben ist das Handy oft ein verlockender Konzentrationsstörer.
Die Apps durchschauen
Nun habe ich Sara und Yannick an dem Punkt, wo wir uns vertieft mit dem Thema auseinandersetzen können. Wir sammeln gemeinsam, wie die Apps versuchen, uns möglichst oft und lange auf den Apps zu halten:
- Snapchat: SnapDays (Streaks), Filter, Minigames, Storys, Snapmap
- Netflix: Keine Werbung, Skip Intro, Mitreden bei Serien
- Instagram: Likes, Follower, Kommentare, Vorschläge für Accounts, Highlights, Freunde
- Whatsapp: Gruppenchats, Stickers, Telefonieren, Lesebestätigung, Sprachnachrichten
- Youtube: Gameplays, Serien, Musik, Vorschläge für weitere Videos, Livestreams
- Fortnite: Freunde, neue Seasons, Skins, Tänze, schneller Erfolg, berühmte Gamer
Schon hier fallen die ersten Bemerkungen wie «Die SnapDays (Streaks, Flämmchen) sind voll unnötig, aber ja irgendwie will ich die Zahl auch nicht verlieren.»
Bisschen Hirnkunde gefällig?
Ich leite dann über auf das Thema Gehirn mit der Frage ein: «Bei wem nerven manchmal zuhause die Eltern? Bei wem motzen die Eltern, dass ihr zu viel am Handy seid?» Beide stimmen mit einem intensiven Nicken zu. Dann tauchen wir in den Reifungsprozess des Hirns ein. Ich entlaste die Jugendlichen, indem ich ihnen aufzeige, dass sich der Frontalkortex im Wachstum befindet, gerade ein massiver Umbauprozess im Hirn stattfindet. Die Hirnzellen für die Selbstkontrolle und Selbstdisziplin erst noch heranwachsen. Als ich das Gehirn schemenhaft auf einem Papier skizziere, wird es still – ich habe ihre volle Aufmerksamkeit.
Was will ich wirklich?
Gut, die Eltern nerven, mein Hirn ist noch nicht ganz parat. Und nun? Was sind eure Ziele? Partnerschaft? Ausbildung? Freundschaften? Gemeinsam erarbeiten wir die nächsten Ziele der Jugendlichen. Yannick will einfach die Schule irgendwie rumkriegen. Danach kommt das Spannende. Der eigentliche Beruf, endlich erwachsen sein. Sara merkt, dass es früher Dinge gab, die völlig in den Hintergrund geraten sind. Sport, Basteln, Musizieren, allgemeines kreatives Tun. Meist wird die Langeweile mit Serienschauen und Socialmedia überbrückt. Ich nutze die Gelegenheit und schaue mit ihnen auf tiii.me, wieviel Lebenszeit sie mit dem Schauen ihrer Lieblingsserien verbraucht haben. Riverdale alleine mit den inzwischen vier Staffeln nötigt 1 Tag, 20 Stunden und 15 Minuten. Würden wir noch die ganzen Simpsonsstaffeln dazunehmen, wären wir bereits bei 12 Tagen und 27 Minuten.
Ok, ich brauche echte Strategien gegen die Handyablenkung
Und so kommen wir zum Punkt, wo wir gemeinsam wirkliche Strategien erarbeiten, die gegen Handyablenkung funktionieren. Ich lege ihnen Stolperfallen in den Weg. «Ihr seid konzentriert am Lernen, dann drückt aber die Blase, nehmt ihr das Handy mit auf Klo? Was, wenn ihr was im Text nicht versteht? Wie schafft ihr es dann, auf dem Handy was zu recherchieren, ohne die Snapchatnachrichten zu lesen?»
Jetzt geht’s ans Eingemachte
Gut, wir halten fest: Eltern nerven mit ihrem ständigen Stress rund um die Handynutzungszeit. Gleichzeitig wissen wir aus der Hirnforschung, dass euer Hirn noch im Umbauprozess ist und es doch Strategien braucht, um euch selber zu regulieren. Wie könntet ihr das schaffen?
Und hier die wichtigsten Schritte für eine bessere Konzentration – von den Jugendlichen selbst genannt
1 Bewusstsein schaffen
Haben wir bereits erledigt, wir haben unsere Bildschirmzeiten analysiert und auch festgestellt, zu welchen Zeiten wir auf welchen Plattformen unterwegs sind und was davon reiner Zeitvertreib war.
2 Was will ich wirklich
Auch diesen Punkt ist erledigt. Wir haben unsere Ziele herauskristallisiert und gemerkt, dass das Handy ein Hinderungsgrund sein kann, diese Ziele zu erreichen. Konkret: Wofür lohnt es sich, aufs Handy zu verzichten?
3 Benachrichtigungen entfernen
Der absolut schwierigste Punkt für Sara und Yannick. Sie haben Angst, was Wichtiges zu verpassen. So einigen wir uns darauf, dass wir es mal in der kommenden Woche nur mit der am häufigsten genutzten App (meist Snapchat oder Whatsapp) durchziehen – also hier die Benachrichtigungen deaktivieren. Sara findet das viel zu schwierig. So probiert sie es erstmal nur für Instagram aus, weil sie das Gefühl hat, dass sie da ja nicht sofort reagieren muss.
4 Apps löschen, die Suchtpotenzial haben
Dann geht’s ums Ausmisten von Apps. Welche sind die Apps, die Sara und Yannick oft stundenlang ans Handy fesseln können, aber keinen effektiven Nutzen haben? Beide haben auf dem Handy Spieleapps: Brawl Stars und Roblox entfernen sie, obwohl beide diese noch ab und an spielen, aber eben nur aus Langeweile. Und für TikTok fühlen sich beide auch schon zu alt, wir schauen auch gleich, wie man das eigene Profil ganz löschen kann.
5 Auf medienfreie Zeiten setzen
Schliesslich geht es darum, sich zu überlegen, zu welchen Zeiten ich eigentlich gar nicht am Handy sein möchte. Wann sind meine Schlafenszeiten, wann treibe ich Sport, wann möchte ich Zeit ohne Handy mit meiner Familie verbringen (Filmabend, Essen usw.) und von wann bis wann möchte ich versuchen, ohne Handy meine Hausaugaben zu machen. Beide schreiben sich Zeitfenster auf und direkt am Handy aktivieren wir für diese Zeiten den automatischen Wechsel auf den «Nicht-stören-Modus».
6 Plan B (statt 5)
Auch wenn Yannick und Sara gerade sehr motiviert wirken, möchte ich, dass sie auch einen Plan B haben, wenn sie nach 2 Tagen merken, dass sie völlig nicht damit klarkommen. Für diesen Fall sollen sie Plan B fahren: Zeiten definieren, wann das «Handysuchti-Fenster» sein soll. Wann ist mein konkretes Zeitfenster (1 bis 2 Stunden), in dem ich mich auf allen Apps und Plattformen rumtummeln möchte. Einen Plan B im Sack zu haben, gibt ihnen das gute Gefühl, nicht hilflos sein zu müssen, wenn sie scheitern.
Die Jugendlichen motivieren, dran zu bleiben
Ja, Handyauszeiten sind wichtig, aber nicht immer leicht einzuhalten. Das gebe auch ich zu. Und es funktioniert auch nicht von heute auf Morgen. «Nicht gleich aufgeben» ist leichter gesagt als getan. Aber es braucht eben seine Zeit. Unterstützen Sie Ihre Jugendlichen mit Lob und Anerkennung für Verbesserung.
Wer anfangs grosse Probleme hat, sollte mit einer App wie «Forest» arbeiten. Diese ermöglicht, die ersten Erfolge direkt zu sehen. Je länger man das Handy nicht nutzt, während man Hausaufgaben macht oder für eine Prüfung lernt, desto grösser wächst ein Wald auf dem Appdisplay.
So und nun Handy weglegen und Pause machen!
Medienkompetenz mit dem Verein zischtig.ch
Der Verein zischtig.ch setzt sich dafür ein, Kinder und Jugendliche auf ansprechende, verständliche, berührende und wirksame Weise vor Onlinesucht, Cybermobbing, Cybergrooming und anderen Gefahren zu schützen. Im Vordergrund stehen ein begeisternder Vermittlungsstil und die Befähigung zu einer gewinnbringenden, kreativen und sicheren Mediennutzung. Auf Familienleben.ch schreibt Sharmila Egger vom Verein regelmässig über Themen rund um Medienkompetenz.