Kunst-Erziehung fördert die gesunde Entwicklung
Der Kunst- und Ausdruckstherapeut Leo Lalkaka weiss, wie wichtig kreative Förderung für die gesunde Entwicklung von Kindern ist. Mit familienleben.ch spricht der Leiter der Kinderkrippe «Müsliburg» jetzt über die Einbeziehung künstlerischer Erziehung in sein Betreuungskonzept.
Guten Tag Herr Lalkaka. Sie haben jahrelange Erfahrung als pädagogischer Leiter und Kindergartenlehrkraft und führen derzeit die Kinderkrippe «Müsliburg» in Affoltern am Albis. In der Krippe legen Sie viel Wert auf das ganzheitliche Lernen der Kinder. Welche Rolle spielt die künstlerische Erziehung dabei?
Die künstlerische Erziehung ist ein sehr bedeutender Teil des Betreuungskonzepts in der «Müsliburg». Kinder lernen über ihre Sinne, durch Anfassen und Fühlen. Genau das beinhalten künstlerische Prozesse. Die Kinder sind dabei in direkten Kontakt mit den verwendeten Materialien. Daher ist Kunst eine fantastische Möglichkeit, die Sinne der Kinder zu schulen.
Welchen Stellenwert hat Kunst im Leben der Kinder und inwiefern kann sie ihre Entwicklung fördern?
Kunst ist sehr wichtig für Kinder. Dadurch können sie sich sehr gut ausdrücken. Das liegt daran, dass viele Kunstformen sehr nah an dem natürlichen Spiel der Kinder sind. Zum Beispiel werden Rollenspiele, die Kinder von sich aus immer wieder machen, ganz schnell zu einem Theaterstück. Auch das Experimentieren mit Worten und Lauten kann der Musik oder der Poesie sehr nahe kommen. Die künstlerische Erziehung knüpft daran an und motiviert die Kinder zu diesem Spielen.
Sie sagen, Kunst ist wichtig für das Selbstwertgefühl der Kinder. Warum ist das so?
Kinder experimentieren nicht nur von Natur aus gern. Sie möchten mit dem Ausprobierten auch Spuren hinterlassen. Und das gilt sowohl für die Welt um sie herum als auch für ihr Inneres. Es soll etwas zurückbleiben, von dem, was sie tun. Die Kunst kann ihnen dabei helfen. Damit das gelingt, müssen sie den Gestaltungsprozess als etwas Positives erfahren. Darauf ziehlt die küntlerische Erziehung ab. Sie hilft den Kindern, Kunst als postiives Erlebnis wahrzunehmen, sie in der Entwicklung eigener Projekte zu unterstützen und dadurch ihr Selbstvertrauen zu stärken.
Welche Möglichkeiten zur kreativen Förderung der Kinder gibt es?
Die Möglichkeiten, Kinder in ihrem kreativen Handeln zu fördern, sind unendlich. Das geht zum Beispiel mit ganz kleinen Dingen, wie in einer Wiese sitzen, das Gras um sich herum fühlen und damit spielen. Es können aber auch richtige Projekte sein, wie mit einem Rollenspiel gemeinsam ein kleines Theaterstück inszenieren.
Das Wichtigste dabei ist immer, dass man die natürlichen Anlagen des Kindes mit einbezieht. Einem Kind eine Kunstform aufzudrängen, die es nicht mag, macht keinen Sinn. Besser ist es, die Ausdrucksformen zu unterstützen, die das Kind ohnehin beim Spielen zeigt und an denen es Spass hat.
Dabei kommt es weniger darauf an, dass Eltern besonders viel Ahnung von bestimmten, künstlerischen Prozessen haben. Viel wichtiger ist eine gewisse Grundhaltung. Wer mit Sensibilität und Wachheit auf die Kinder zugeht, kann am besten ihre kreativen Anlagen erkennen und fördern.
In dem Betreuungsangebot der «Müsliburg» finden unter anderem Theater, Tanz, Musik, Poesie und gestaltende Künste ihren Platz. Wie werden diese Kunstformen in den Alltag integriert?
Die Kinder bekommen viel Raum, um im freien Spielen eigenständig kreative Prozesse zu entwickeln. Natürlich gibt es aber auch einen geplanten Tagesablauf. Zum Beispiel begleiten kleine Rituale, wie immer wiederkehrende Lieder, den Alltag in der Krippe. Die Übergänge von einer Kunstform zur anderen sind dabei oft fliessend. So wird beim gemeinsamen Malen vielleicht auch gesungen oder die Kinder verbinden ein Rollenspiel mit Tänzen.
Gibt es altersabhängig verschiedene Phasen, wann welche Form des künstlerischen Ausdrucks wichtiger ist?
Im Grunde gibt es keine Beschränkungen. Da bereits ganz kleine Kinder sich oft zur Musik bewegen, ist dies vielleicht eine besonders einfach zugängliche Form des Ausdrucks. Aber grundsätzlch kann man jede Kunstform für alle Altersstufen empfehlen.
Wichtig ist bei der Auswahl eher, wie man den Kindern die Kunst näherbringt. Sie dürfen nicht überfordert werden, aber man sollte sie auch nicht unterfordern. Kleine Kinder können nur mit einfachen Spielen kreativ gefördert werden. Wenn es zu kompliziert wird, verlieren sie sonst schnell den Spass daran. Werden die Kinder jedoch älter, dann müssen auch die Anforderungen mit ihnen wachsen, damit sie sich nicht langweilen.
Zu Ihren pädagogischen Grundsätzen gehört es, das Kind als schaffenden Künstler anzusehen. Steckt denn wirklich in jedem Kind ein kreativer Geist? Oder gibt es auch Ausnahmen?
Nach meiner Erfahrung gibt es keine Ausnahmen. Alle Kinder verfügen über Kreativität, die entsprechend gefördert werden muss. Unterstützt man sie nicht in ihrem kreativen Handeln, schadet ihnen das erheblich und macht eine gesunde Entwicklung unmöglich.
In jedem Kind steckt also ein kreativer Geist. Allerdings sind die Anlagen bei jedem verschieden. Um ein Kind richtig in seiner kreativen Entwicklung unterstützen zu können, muss man als erstes herausfinden, in welchem Bereich seine Stärken und Vorlieben liegen.
Natur und Umwelt zu erleben ist ein weiterer, wichtiger Aspekt der Betreuung in der «Müsliburg», wie regelmässige Besuche mit den Kindern im Wald zeigen. Inwiefern tragen diese Ausflüge zur kreativen Entwicklung der Kinder bei?
Die Natur hautnah zu erleben, ist enorm wichtig für die Kinder. Die Sinnesreizungen im Freien unterscheiden sich stark von denen im Haus. Sie hören andere Töne, sehen das natürliche Licht mit seinen vielen Facetten und spüren den Wind auf der Haut. Im Wald ist ausserdem viel mehr Raum um sie herum. Durch diese völlig unterschiedliche Umgebung verändert sich die Wahrnehmung der Kinder.
Im Wald sind zudem viele verschiedene, natürliche Materialien zu finden, welche die Kinder zum kreativen Gestalten gebrauchen können. Diese in der Kunst als «Landart» bezeichnete Ausdrucksform erschliesst den Kindern eine Fülle von Möglichkeiten zur Förderung ihrer Sinne. Sie lernen, ihre Motorik auf ganz andere Weise einzusetzen. Und das wiederum wirkt sich positiv auf ihre kognitive Entwicklung aus.
In welcher Form werden die Eltern in die künstlerische Erziehung der Krippe mit einbezogen?
Die Kommunikation zwischen Eltern und Krippe ist sehr wichtig. Die Eltern werden deshalb ständig auf dem Laufenden gehalten. Dazu gibt es unter anderem Quartalsbriefe, sowie regelmässige, persönliche Treffen, in denen ausgiebig über die Entwicklung des Kindes gesprochen wird. Auch bei einigen über das Jahr hinweg verteilten Festen und anderen Anlässen treffen Eltern und Betreuer zusammen.
Was machen Eltern, wenn sie selbst ganz unkreativ sind, sie aber ihre Kinder trotzdem fördern möchten?
Meinen Eltern, keinen Zugang zur Kreativität zu haben, dann ist etwas falsch gelaufen. Ihre natürliche Inspiration wurde irgendwann im Laufe ihrer Entwicklung abgeblockt. Wenn sie ihre Kinder aber trotzdem bei der Förderung künstlerischer Prozesse unterstützen möchten, sollten sie versuchen, wieder einen Zugang zur Kreativität zu finden. Das können sie zum Beispiel tun, indem sie einfach ihr Kind beim Spielen beobachten. Sind sie dabei offen für Neues, können sie viel von ihren Kindern lernen. Eltern müssen loslassen und sich trauen, wieder eine Quelle zur Inspiration zu erschliessen. Dadurch können sie die eigene Kreativität wiederfinden.
Um das zu erreichen, kann man zum Beispiel auch erstmal hinter verschlossener Tür üben, sich selbst in Tanz, Gesang oder anderen kreativen Prozessen auszudrücken. Manchmal fällt das leichter, wenn es keiner sieht. Ist es jemandem jedoch gar nicht möglich, einen Zugang zur Kreativität zu finden, dann kann vielleicht auch ein Coach oder Kunstpädagoge helfen.
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Was kann man tun, damit die während der Krippenzeit geschaffenen, kreativen Ansätze auch im späteren Schulalltag der Kinder ihren Platz finden?
In der kreativen Entwicklung sind im Grunde die ersten vier Lebensjahre entscheidend. Deshalb ist eine Krippe der ideale Ort für die Förderung gestalterischer Prozesse. Wenn in diesen ersten Jahren einmal eine gute Grundlage geschaffen wird, dann besteht eigentlich nicht mehr die Gefahr, dass dies im Laufe der Schulzeit wieder verloren geht.
Mittlerweile ist aber auch in den Schulen einiges passiert. Immer mehr wird die Wichtigkeit kreativer Prozesse erkannt. Es wird deutlich, wie sehr sie die Kinder motivieren und deshalb werden sie auch mehr in den Schulalltag integriert.
Wer aber zusätzlich noch mit den Kindern etwas tun möchte, kann nach der Schule auch die Kunst zu Hause aufleben lassen. Bereits mit kleinen Projekten kann man so die Kreativität am Leben erhalten.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lalkaka.
Interview: Bianca Sellnow
Hier geht es zur Kinderkrippe Müsliburg in Affoltern am Albis.