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Zivilcourage: Soll ich mich in die Erziehung anderer einmischen?

Im Supermarkt beschimpft eine Mutter ihre Tochter; auf der Strasse gibt ein Vater seinem Sohn eine Ohrfeige; Freunde belegen ihr Kind immer wieder mit harten Strafen. Wegschauen oder eingreifen? Soll man sich in die Erziehung anderer einmischen? Wir haben den Kinderschutz Schweiz gefragt, wann Zivilcourage angebracht ist.

Wann sollte man Zivilcourage zeigen und sich in die Erziehung anderer einmischen?
Wenn Eltern in der Öffentlichkeit gewalttätig gegenüber ihren Kindern werden, ist es sinnvoll, Zivilcourage zu zeigen. Foto: BlueOrange Studio, iStock, Thinkstock

Kinder brauchen viel Liebe und Wertschätzung, um sich zu fröhlichen und selbstbewussten Menschen zu entwickeln. Doch auf der Strasse, im Supermarkt und in der Nachbarschaft zeigt sich, dass nicht alle Kinder bekommen, was sie brauchen. Manche Eltern schubsen grob ihr Kind, zerren es lieblos hinter sich her oder holen zur Ohrfeige aus. Andere demütigen es mit Worten. «Halt endlich die Klappe!», «Du taugst sowieso nichts, das wird ein schlechtes Ende mit dir nehmen!», «Was soll man von dir schon anderes erwarten.» Solche Sätze setzen sich tief im Inneren des Kindes fest und begleiten es oft ein ganzes Leben lang.

Zivilcourage – ja oder nein?

Was tun, wenn andere Eltern ihr Kind nicht gut behandeln? Wenn Freunde häufig abwertend über ihr Kind sprechen – auch in seinem Beisein? Oder die gebrüllten Vorwürfe der Nachbarn täglich durch die Wände dringen? Oder Freunde des Kindes von ihren Eltern mit harten Strafen belegt werden? Meist ist es sinnvoll, Zivilcourage zu zeigen.

Recht auf gewaltfreie Erziehung

Gewaltfreie Erziehung gehört zu den Kindergrundrechten, die in der UN-Kinderrechtskonvention verankert sind. Gewaltfreie Erziehung verlangt eine Erziehung ohne körperliche und ohne seelische Gewalt. Körperliche Gewalt umfasst grobes Hinterherschleifen eines Kindes genauso wie eine Ohrfeige. Psychische Gewalt äussert sich in Beleidigungen, Demütigungen oder Beschimpfungen. Doch in der Schweiz ist Gewalt in der Erziehung von Kindern nicht ausdrücklich verboten. Die Stiftung Kinderschutz Schweiz fordert eine gesetzliche Verankerung von Gewaltfreiheit in der Erziehung im Zivilgesetzbuch. «Während der gewalttätige Umgang bei Erwachsenen strafrechtlich geahndet wird, können Kinder körperlich bestraft werden, ohne dass damit gegen eine gesetzliche Norm verstossen wird», argumentiert sie. Das Bundesgericht hat in einem Entscheid festgehalten, dass die körperliche Züchtigung zum Erziehungszweck das gesellschaftlich übliche und tolerierte Ausmass nicht übersteigen darf. Wo genau die Grenzen sind, bleibt rechtlich damit unklar.

Unabhängig von der Gesetzeslage– die verheerenden Wirkungen von körperlicher und seelischer Gewalt auf Kinder sind erwiesen. Oft verursacht Gewalt eine chronische Einschränkung des Selbstwerts und der Persönlichkeitsentfaltung. «Einmischung ist deshalb wichtig!» sagt Flavia Frei, Leiterin Geschäftsfeld Politik von Kinderschutz Schweiz. Doch sie sagt auch offen: «Es ist nicht leicht, Zivilcourage zu zeigen und die richtigen Worte und den günstigen Zeitpunkt zu erwischen!» Grundsätzlich muss davon ausgegangen werden, dass zur Rede gestellte Eltern alles andere als begeistert reagieren werden.

Gewalt gegen Kinder auf der Strasse: So reagieren Sie sinnvoll

Was hilft also, wenn in der Öffentlichkeit ein Vater oder eine Mutter ihrem Kind Gewalt antut? Wer den Elternteil anschreit oder abwertet, schüttet weiteres Öl ins Feuer. «Es gibt kein Patentrezept. Wichtig ist es, den Vater oder die Mutter nicht schlecht dastehen lassen», betont Flavia Frei. «Erziehung ist oft schwierig und anstrengend», so können einleitende Worte lauten. Darüber hinaus lässt sich Hilfe empfehlen: «Es gibt andere Wege, mit einer anspruchsvollen Erziehungssituation umzugehen.»

«Halten Sie sich da raus! », «Sie haben mir gar nichts zu sagen», mit einer solchen Reaktion muss rechnen, wer Zivilcourage zeigt. Dennoch ist es möglich, dass die Einmischung bei dem Vater oder der Mutter eine Reflexion auslöst. Darüber hinaus schlägt Einmischung oft Wellen. «Vielleicht ist auf der Strasse oder im Schwimmbad jemand, der den Vater oder die Mutter kennt und der sich ermuntert fühlt, in Zukunft auch mal etwas zum Umgang der Eltern mit ihrem Kind zu sagen», so Flavia Frei. Sicher, ein solches Vorgehen erfordert ein gutes Mass an Zivilcourage, das nicht jeder aufbringt. «Oft reicht es schon, Präsenz zu markieren, stehen zu bleiben und demonstrativ hinzuschauen», sagt Flavia Frei. Denn viele Eltern handeln nicht gewalttätig aus Überzeugung, sondern aus einer momentanen Überforderung.

Gewalt gegen Kinder im privatem Umfeld: Das können Sie tun

Mit Verwandten, Bekannten und Freunden über die Erziehung ihrer Kinder zu sprechen, fällt oft noch schwerer, als in der Öffentlichkeit einzugreifen, wenn Eltern ihr Kind schlecht behandeln. Denn hier, im privaten Umfeld, stehen Freundschaften auf dem Spiel. So stellt sich vorab die Frage, ob es wirklich nötig oder übertrieben ist, sich einzumischen. Vielleicht ist die Art und Weise, wie die Eltern mit dem Kind umgehen, einfach auf einen anderen Erziehungsstil zurückzuführen? «Wer die Eltern gut kennt, kennt auch ihren Erziehungsstil. Es gilt, hellhörig werden, wenn sich das Verhalten der Eltern gegenüber dem Kind plötzlich in einer negativen Art und Weise ändert», so Flavia Frei. Dann allerdings sei es wichtig, die Eltern nicht mit Vorwürfen und Anklagen zu überschütten, sondern feinfühlig nachzufragen: «Wie geht es Dir? Erzähl doch mal». Oft lässt sich dann das Gespräch auf die Erziehungsprobleme lenken und eine Reflexion anstossen. «Wertschätzend den Eltern gegenüber zu bleiben, ist nicht immer einfach, aber man sollte es versuchen», empfiehlt Flavia Frei.

Wer nicht selber eingreifen will …

Wer sich um ein Kind Sorgen macht, muss nicht selbst eingreifen. Zivilcourage zeigt auch, wer die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde informiert. «Viele Menschen scheuen sich, dort anzurufen, weil ihr Name in der Akte registriert wird und die betroffene Familie ein Recht auf Akteneinsicht bekommt», weiss Flavia Frei. « Wichtig ist doch, dass der Familie und vor allem den Kindern geholfen wird! Bei allen Überlegungen darf nicht vergessen werden, dass es um das Wohl des Kindes geht. Kinder sind auf den Schutz der Erwachsenen angewiesen. Wenn ihre Bezugspersonen diesen Schutz nicht mehr gewährleisten können, braucht es Unterstützung von aussen.» Oft gelingt es der Behörde schon durch kleine Hilfestellungen, Veränderungen herbeizuführen. Wenn die Familie Entlastung benötigt, helfen die Mitarbeiter der Behörde, das Kind in einer Spielgruppe oder Kinderkrippe unterzubringen. Bei Alkoholproblemen der Eltern wird ein Kontakt zur Suchtberatung hergestellt. Und auch ein Elternbildungskurs kann die Eltern darin unterstützen andere Wege zu gehen.

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