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Steigende Lebenserwartung in der Schweiz: Segen oder Fluch?

Die meisten Menschen wünschen sich, ein hohes Alter zu erreichen. Wer alt ist, kann das Leben lange geniessen und das Leben der Kinder und Enkel mit verfolgen. Die Chancen, alt zu werden, stehen gut. Jungen, die um das Jahr 2000 geboren wurden, haben eine durchschnittliche Lebenserwartung in der Schweiz von ca. 77 Jahren, gleichaltrige Mädchen von 83 Jahren. Doch ist es wirklich ein Segen, so alt zu werden?

Steigende Lebenserwartung: nachdenklicher Mann
Das Alter und die Vergänglichkeit stimmen nachdenklich. Foto: NADOFOTOS, iStock, Thinkstock

«Ich möchte hundert Jahre alt werden!» hört man Kinder sagen. Ältere Menschen belächeln diesen Wunsch oft. Sie wissen, dass der Preis für das Alter hoch sein kann. Was, wenn wir das Alter nicht so rüstig erleben wie erhofft? Wenn wir hilflos unseren Gebrechen ausgeliefert sind, die das Alter mit sich bringen kann?

Keine Frage: Die Lebenserwartung in der Schweiz steigt ständig. Jungen, die um das Jahr 2000 geboren wurden, hatten bei Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von ca. 77 Jahren, gleichaltrige Mädchen von 83 Jahren. «Heute beträgt die Lebenserwartung in der Schweiz zum Zeitpunkt der Geburt bei Frauen durchschnittlich 84,7 Jahre, bei Männern 80,3 Jahre», weiss Kurz Seifert, Leiter des Bereichs Forschung und Grundlagenarbeit bei der Stiftung «Pro Senectute», der grössten Altersorganisation der Schweiz. «Die Schweizer Bevölkerung gehört damit zu den Menschen mit der höchsten Lebenserwartung der Welt.» Noch um das Jahr 1900 herum konnten sich Menschen auf weit weniger Lebenszeit freuen. Frauen wurden durchschnittlich nur 49, Männer 46 Jahre alt.

Die Ursachen der steigenden Lebenserwartung in der Schweiz

Die ständig steigende Lebenserwartung in der Schweiz hat viele Ursachen. Zum einen ist das Ernährungsangebot in den westlichen Ländern reichhaltiger denn je. Zum anderen hat sich die Hygiene verbessert. Viele Krankheiten sind unschädlich gemacht, die Pocken zum Beispiel, eine Infektion, an der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Hunderttausende starben. Auch Infektionskrankheiten wie Typhus, Pest, Milzbrand oder Diphtherie kommen in Industrieländern nur noch sehr selten vor. Herz-Kreislaufkrankheiten und Krebs lassen sich heute immer besser behandeln.

Steigende Lebenserwartung Schweiz: Auswirkungen auf die Gesellschaft

Der Anteil der 80-jährigen und älteren Menschen in der Schweiz wird aufgrund der steigenden Lebenserwartung in der Schweiz bis zum Jahr 2030 auf fast acht Prozent ansteigen, so demographische Schätzungen. Im Jahr 2050 werden bereits zwölf Prozent der Menschen mindestens 80 Jahre alt sein. Die Gesellschaft muss die Kosten aufbringen – für Rente, Gesundheitswesen, Betreuung und Pflege. Allein die Ausgaben für die Langzeitpflege, die derzeit etwa bei rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts liegen, wachsen bis 2060 auf etwa 4,3 Prozent an. Noch ist ungeklärt, wie die Gesellschaft für diese Kosten aufkommen kann. Doch fest steht: Ältere Menschen verfügen über einen grossen Reichtum an Erfahrungen und Kompetenzen, die sie auch jenseits des Renteneintrittsalters oft einbringen wollen. Noch allerdings bietet die Wirtschaft ihnen zu wenig altersgerechte Möglichkeiten.

Alter ist ein Wirtschaftsfaktor

«Ältere sind nicht einseitig als „ökonomische Belastung“ zu sehen, denn:

  1. Gerade sehr viele Ältere haben sowohl Vermögen als auch eine positive Sparquote, bilden also Vermögen und beteiligen sich damit am Prozess der Wertschöpfung.
  2. Auch Arbeit, die nicht als Erwerbsarbeit ausgeführt wird (Kinderbetreuung, Pflege, Ehrenamt), ist eine nicht zu unterschätzende ökonomische Aktivität
  3. Ältere sind eine starke Konsumenten-Gruppe.
  4. Ältere sind auch Steuerzahler und beteiligen sich somit nicht unerheblich an der Finanzierung von Staatsausgaben.»

(Quelle: Prof. Ursula Lehr, 1988 bis 1991 Bundesfamilienministerin und Gründungsvorstand des Deutschen Zentrums für Alternsforschung an der Universität Heidelberg, Gastbeitrag auf www.projectcare.de)
 

Wie es sich im hohen Alter lebt

Die Freude über die steigende Lebenserwartung in der Schweiz ist gross, denn alt werden will jeder. Doch alt sein – das möchte keiner. Angst herrscht vor körperlichen Einschränkungen, durch die sich der Alltag alleine nicht bewältigen lässt und die in Einsamkeit führen können. Ist sie berechtigt? Dazu liefert Pro Senectute Zahlen. Demnach ist ein hohes Lebensalter nicht mit Hilfe- und Pflegebedürftigkeit gleichzusetzen.

  • In der Altersgruppe der 75- bis 79-Jährigen liegt der Anteil der Pflegebedürftigen bei deutlich weniger als zehn Prozent, allerdings ist ein Drittel der über 85-Jährigen pflegebedürftig.
  • Fühlten sich Ende der 1970er Jahre 72 Prozent der 80-jährigen und älteren Männer selten oder nie einsam, so sind dies heute mehr als 90 Prozent.
  • Ende der 1970er Jahre fühlten sich lediglich 38 Prozent der 80-jährigen und älteren Frauen selten oder nie müde. Heute sind dies mehr als 60 Prozent.

(Quelle: Pro Senectute)

Senioren sind in der Regel finanziell gut abgesichert

Aufgrund einer besseren finanziellen Absicherung leben viele ältere Menschen selbstbestimmt und selbstbewusst. Zwar gibt es noch immer Altersarmut, «doch im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten stellt sie heute kein grosses Problem mehr da», so der Kanton Zürich. «Gemäss den Daten der Sozialhilfestatistik sind gegenwärtig vor allem junge Familien und alleinerziehende Frauen sozialhilfegefährdet.»

Gefahr im Alter: Demenz

Gefahren der hohen Lebenserwartung in der Schweiz liegen vor allem in der Demenz. Etwa ein Viertel der 85 bis 89-Jährigen leidet unter Demenz. In der Gruppe der über 90-Jährigen sind sogar 44 Prozent demenzkrank. «Bislang zeichnet sich noch kein Durchbruch in der medizinischen Forschung ab, der eine Demenz-Prävention möglich machen könnte», bedauert Kurt Seifert.

Philosophische Gedanken zur steigenden Lebenserwartung

Ältere Menschen verfügen über viele Fähigkeiten und Kenntnisse, die der Wirtschaft nutzen oder die Familie entlasten und Enkel bereichern können. Doch dem Alter lässt sich auch jenseits von Produktivität und finanziell messbarem Beitrag ein Wert beimessen. «Die Beschwerlichkeit des Alters lässt sich nicht wegleugnen» so Professor Giovanni Maio, Medizinethiker an der Universität Freiburg im SWR2. «Doch ein gutes Alter muss nicht unbedingt ein fittes Alter sein.» Der alternde Mensch könne Einsichten erlangen, die dem jugendlichen Alter eher versperrt blieben. So empfinden sich Menschen im Alter als besonders vergänglich. «Je vergänglicher wir uns empfinden dürfen, umso kostbarer erscheint uns der Augenblick.»

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