Knackpunkt Kinderbetreuung: Wenn Oma andere Vorstellungen von Erziehung hat
Berufstätige Eltern brauchen Betreuung für ihre Kinder – und oft sind es die Grosseltern, die sich kümmern. Doch die Vorstellungen darüber, wie die Betreuung gestaltet werden soll, können unterschiedlich sein. Dies kann zu Konflikten führen.
Viele Grosseltern hüten in der Schweiz mit grossem Engagement die Enkel. Vor der Pandemie summierte sich die Betreuung dem Bundesamt für Statistik zufolge auf 160 Millionen Stunden jährlich. Doch was tun, wenn die Auffassungen von Kindererziehung unterschiedlich sind?
Hemmschwellen auf beiden Seiten
Die unterschiedlichen Vorstellungen anzusprechen, falle beiden Seiten – Eltern und Großeltern – oft schwer, berichtet Irma Bachmann-Widmer, Familienberaterin und Koordinatorin der Elternbildung bei der Fachstelle kompass in Solothurn. Sie arbeitet in den Elternkursen «Starke Eltern – Starke Kinder» mit Eltern und Grosseltern. «Soll ich sagen, was mir nicht passt? Und wenn ja, wie?» Das sind Fragen, die sie in ihrem Arbeitsalltag immer wieder hört. «Eltern haben die Sorge, die Grosseltern könnten sich kritisiert fühlen und verärgert reagieren, wenn sie Konfliktpunkte benennen. Auf der anderen Seite haben die Grosseltern Bedenken, sich in die Erziehung der Kinder einzumischen.»
Typischer Konfliktherd: Süssigkeiten
Der Umgang mit Süssigkeiten gehört zu den typischen unterschiedlichen Erziehungshaltungen. In vielen Fällen ärgern sich Eltern, wenn Grosseltern den Enkeln mehr Schoggi und Gummibärchen zustecken, als sie es tun würden. Irma Bachmann-Widmer: «Eltern wünschen sich oft auch, dass Grosseltern mit den Enkeln an den Betreuungstagen mehr an die frische Luft gehen und sie weniger den Medien überlassen.»
Grosseltern sehen die Erziehung der Enkel dagegen oft aus einer anderen Perspektive als die Eltern. «Sie haben bereits Erfahrungen als Eltern gemacht und bewerten heute im Rückblick manches anders.» «Weisst du, rückblickend sehe ich, der Schokoriegel war nicht so entscheidend für die gesamte Entwicklung», heisst es da zum Beispiel.
Die Lösung: Miteinander sprechen!
Vorschriften kommen nicht gut an. «Aber Eltern sollten ihre Wünsche und Vorstellungen auf jeden Fall äussern», so Irma Bachmann-Widmer. Ein gemeinsames Gespräch sei sinnvoll, sobald Grosseltern beginnen, ihre Enkel regelmässig, zum Beispiel ein bis zwei Mal pro Woche, zu betreuen. «Verständnis fördern – so lautet der Schlüssel, um zueinander zu finden.» Eltern sollten ihre Bedürfnisse erklären und zum Beispiel sagen, dass sie sich in der Verantwortung fühlen und ihr Bestes für ihre Kinder geben möchten. Sie könnten auch auf neuere Erkenntnisse – zum Beispiel zur Bindung, Sicherheit und Ernährung – hinweisen, um zu erklären, warum ihnen gewisse Regeln wichtig sind.
Kinder kommen mit unterschiedlichen Regeln zurecht
Dennoch muss es nicht immer dazu kommen, dass sich die Grosseltern der Meinung der Eltern anschliessen. «Nein, das stimmt für mich gar nicht!» – auch so dürfen Grosseltern reagieren. Dann gilt es, einen Kompromiss zu finden. Zwingend notwendig ist er nicht, die Akzeptanz der unterschiedlichen Meinungen auf der Erwachsenenebene aber schon. «Unterschiedliche Regeln im Alltag können auch ein Lernfeld für Kinder sein», erklärt Irma Bachmann-Widmer.
So erfahren sie zum Beispiel: «Bei Oma ist es nicht so wichtig, dass ich sofort die Schuhe ausziehe, wenn ich in die Wohnung komme. Zu Hause aber muss ich die Schuhe ausziehen, damit die Eltern weniger putzen müssen.» Auch in der Kita und in der Schule werden Kinder mit Regeln konfrontiert, die nicht mit den Regeln zuhause übereinstimmen.
Natürlich darf das Kind die Regeln bei Oma und Opa besser finden. «Bei Oma ist es viel schöner», tönt es dann. Jetzt nur nicht in die Luft gehen! Wichtig ist es, gelassen zu bleiben, sich nicht verunsichern zu lassen, sich nicht zu rechtfertigen und einfach nur zuhören: «Ah, du geniesst es, dass du bei Oma mehr Süssigkeiten essen darfst. Das kann ich gut verstehen. Hier zuhause ist es anders.»
Einfach nachfragen!
Es gibt keine Regel, die klärt, wie viel Betreuung Eltern Grosseltern zumuten können. Was den einen zu viel ist, ist den anderen zu wenig. Wichtig ist, miteinander über die eigenen Bedürfnisse zu reden, um Missverständnisse auszuräumen.
Manchmal aber trauen sich Grosseltern nicht zu sagen, dass ihnen die Betreuung zu viel geworden ist. «Ich habe Grosseltern kennengelernt, die sich mehr eigenen Freiraum wünschten, aber Angst hatten, die Kinder könnten ihnen aus einer Enttäuschung heraus die Enkel dann gar nicht mehr geben.» Um solchen schweren Konflikten vorzubeugen, können Eltern ihre Eltern fragen: «Was habt ihr für Träume? Wie wollt ihr euer Alter gestalten?» Sie können auch sagen: «Wir sind dankbar, das ihr so viel Betreuung übernehmt. Aber wir haben auch Sorge, der grosse Einsatz könnte euch nicht recht sein.»
Ein Beispiel für wohltuende Offenheit
Irma Bachmann-Widmer erinnert sich gut an eine Grossmutter, die beschloss, ihrem Sohn eine Mail zu schreiben, da ein Gespräch ihr zu schwierig erschien. Darin erklärte sie ihren Wunsch nach mehr Freiraum. «Eine Woche später berichtete sie strahlend, wie wunderbar ihr Sohn reagiert habe. Er hatte seiner Mutter zurückgeschrieben, er könne sie sehr gut verstehen und habe sich auch schon oft darüber Gedanken gemacht.» Danach hätten sich Grossmutter und Eltern an einen Tisch gesetzt, um die Kinderbetreuung zufriedenstellender aufzuteilen.
Hilfe lässt sich holen
Doch nicht immer schaffen es Eltern und Grosseltern, in ein gutes Gespräch zu kommen. In diesen Fällen wirken oft alte Wunden aus der Vergangenheit nach. Und Kommunikationsmuster, die den anderen abwerten, lassen sich nicht überwinden. Familienberatungen oder Erziehungsberatungen helfen weiter. Diese Stellen bieten oftmals Moderationen zwischen den Generationen an. Ziel ist es, allen Bedürfnissen Raum zu geben. Irma Bachmann-Widmer weiss: «Letztendlich geht es immer um gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung.»
Weiterführende Informationen:
Der Kinderschutz Schweiz bietet Kurse für Eltern und auch Kurse für Grosseltern an. Darin geht es auch darum, wie Eltern und Grosseltern gut ins Gespräch über die Betreuung und Erziehung der Enkel kommen.