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Plötzlicher Kindstod: Wie Eltern den Tod ihres Babys verarbeiten können

Der plötzliche Tod eines Babys ist ein dramatisches Ereignis. Die Eltern werden vollkommen überrascht, die Diagnose «plötzlicher Kindstod» gibt ihnen keine Antwort auf die Frage nach einer Ursache, die immer im Dunkeln bleiben wird. Die Probleme nach dem Schock sind vielschichtig. Und die Trauerarbeit ist essentiell für die ganze Familie.

Mit dem plötzlichen Kindstod umgehen: Das ist für Eltern auch nach vielen Jahren nicht einfach

Der plötzlicher Kindstod trifft Familien absolut unerwartet. Foto: eranicle, iStock, Thinkstock

Plötzlicher Kindstod ist keine Krankheit. Als SIDS oder Sudden Infant Death Syndrom wird der unerwartete Tod eines Säuglings seit 1953 in der Fachsprache auf Englisch bezeichnet. Trotz der gesunkenen Gesamtsterblichkeit gilt SIDS heute immer noch als die häufigste Todesursache zwischen dem 14. Lebenstag und dem Ende des ersten Lebensjahres. Das Häufigkeitsmaximum liegt zwischen dem zweiten und vierten Lebensmonat. Männliche Babys sind etwas häufiger betroffen als weibliche. Häufiger passiert es in den Wintermonaten (Überheizung).

Was man heute weiss

Der Plötzliche Kindstod, der im Jahre 1990 mehr als 17% der Todesursachen darstellte, ist stark zurückgegangen und umfasst jetzt etwa 3% der Fälle. Das Risiko ist also sehr klein. Die Präventionskampagnen, die seit den 90er Jahren Verhaltestipps verbreiten, hatten Erfolg.

Die Ursachen sind trotz intensiver Forschung noch nicht vollständig bekannt. So wurden in den letzten Jahren etwa 120 verschiedene Erklärungsmodelle von Wissenschaftlern entwickelt. Deshalb gibt es noch kein Rezept und keine Impfung dagegen. Auch gegenüber den vielschichtigen Folgen, die der Verlust eines Babys für die Mutter, den Vater, die Geschwister haben kann, ist man heute oft ratlos.

Studien stellten die folgenden Gefährdungsfaktoren fest:

  • Schlaf in Bauch- und Seitenlage
  • Rauchen während und nach der Schwangerschaft
  • Immunschwäche (Stillen ist besser für Immunabwehr
  • Wärmestress (Schlafumgebung wärmer als 19 Grad)
  • Stress, Alleinlassen des Babys, wenig Körperkontakt
  • Frühgeborene vor der 33. Woche
  • Mutter unter 21 Jahre alt
  • Gendefekte in Verbindung mit Viren
  • Bakterien (unter Verdacht stehen Honig oder die Matratze)

Die Eltern sind nach dem Entsetzen und dem Schock, das Baby tot und oft blau angelaufen gefunden zu haben, zuerst einmal mit dem Notarzt, dann aber bald auch mit Polizei und Gerichtsmedizin konfrontiert bis die Diagnose feststeht. Diese wird im Ausschlussverfahren gewonnen. Zuerst müssen alle denkbaren natürlichen und nicht-natürlichen Todesursachen ausgeschlossen und auch alle Todesumstände und die klinische Vorgeschichte müssen abgeklärt werden, bevor man vom SIDS sprechen kann. Häufig werden die Eltern bewusst oder unbewusst verantwortlich gemacht, bis die Diagnose feststeht.

Das kann für die überforderten und leidenden Eltern sehr unangenehm sein. Viel menschliche Kompetenz wird den Fach- und Amtspersonen abverlangt. Was diese nicht unbedingt leisten können. Der Fall eines Verhörrichters, der die Rechnung für Transport und Obduktion den Eltern zustellte und damit öffentliches Entsetzen auslöste, zeigt dies in aller Deutlichkeit.

Noch vor aller Trauer leiden die Eltern selbst an quälenden Selbstzermarterungen, Spekulationen und Schuldgefühlen. Deshalb sollen die Fach- und Amtspersonen von Anfang an eine sachliche Aufklärung, Erläuterungen zur Rechtslage und über das amtliche Vorgehen leisten. Die heute bestehenden Rechte und Pflichten sind nicht nur Auflagen für die Eltern, sondern auch ein Schutz.

Das ganze gerichtsmedizinische Vorgehen muss im Detail erläutert werden. Und es ist wichtig, den Eltern zu erklären, was mit ihrem toten Kind geschieht. Schwierige Fragen zu Obduktion und Aufbahrung und Bestattung müssen geklärt werden. Oft möchten die Eltern die Situation selber beeinflussen können - dazu müssen sie aber einbezogen werden und genügend Zeit und Möglichkeit zum Entscheiden und Handeln haben.

«Viele Eltern haben das Gefühl, nicht selber agieren zu können, weil viele Sachzwänge das Handeln bestimmen», schreibt die Fachstelle SIDS (siehe unten). Es ist dehalb sehr hilfreich, wenn eine begleitende Person, eine Drittperson oder der Seelsorger der Gemeinde zur Seite steht - eine Person, die nicht im gleichen Mass betroffen ist wie die Eltern. Sie kann sich darum kümmern, den Eltern genügend Freiraum zu verschaffen, damit diese selber handeln können.

Dies ist von unschätzbarem Wert für das Gelingen der Trauerarbeit. Denn wer seinen Abschied vom Kind nicht bewusst miterlebt und vollzogen hat, kann dies später nur schwer aufarbeiten.

«Vieles entschieden die Eltern nach Lektüre von Büchern und nach Gesprächen aus dem Bauch heraus, wie sie es machen wollten. Und später stellte sich heraus, dass es für ihre Verarbeitung das optimale Vorgehen war», schreiben die beiden Kleinkinderzieherinnen Barbara Hulliger und Michèle Python in ihrer Abschlussarbeit zum Thema Trauer im Kapitel über den plötzlichen Kindstod.

Wesentlich für das Gelingen der Trauerarbeit ist, dass den Eltern die Entscheidung, was mit ihrem toten Kind passieren soll, nicht abgenommen wird.

Trauer der Kinder

Wenn es Geschwister gibt, sollten diese in den Prozess des Abschiednehmens mit einbezogen werden. Oft sind die leidenden Eltern sehr mit sich selbst beschäftigt, so dass sie vergessen, ihre Trauer zu teilen. Die Bedürfnisse der Kinder, die auf ihre Weise verstehen wollen, was passiert, müssen auch wahrgenommen werden. Werden die verbliebenen Kinder von den Eltern emotional ausgegrenzt, können sich in ihnen unter Umständen selbst Schuldgefühle entwickeln.

Jeder Mensch verarbeitet die Trauer individuell und zieht sich innerlich in einen eigenen Bereich dafür zurück. Das kann eine zeitweilige Entfernung voneinander zur Folge haben. Rituale können hier helfen, da sie über gemeinsame Erinnerungen wieder Verbundenheit schaffen.

Die emotionale Belastung beim Verlust eines Babys durch plötzlichen Kindstod ist erwiesenermassen einer der schlimmsten Verluste. Die Probleme für die hinterbliebene Familie sind vielschichtiger, als man vielleicht zuerst annehmen würde. Sie können die Beziehung, die Gesundheit aller Familienmitglieder beeinträchtigen, zudem auch finanzielle und soziale Schwierigkeiten hervorrufen.

In einer dänischen Studie wurde das Schicksal von mehr als 21'000 Eltern untersucht, die von SIDS betroffen waren. Suizidrisiko, Krebsrisiko und das Risiko eines tödlichen Unfalls waren deutlich erhöht. Der grundlose Verlust eines Kindes zählt zu den schlimmsten möglichen Erfahrungen - der dadurch bedingte Stress kann zu Bluthochdruck und Herzkrankheiten führen, sagen Mediziner.

Was danach helfen kann

Das Thema Tod ist in unserer Leistungsgesellschaft immer noch ein Tabu. Die Trauer über den Verlust wird deshalb als Privatsache angesehen. Dennoch ist das Verschliessen keine geeignete Bewältigungsstrategie, wenngleich das Tagebuch ein nützlicher Vertrauter werden kann.

Eltern, die den Verlust eines Kindes zu bewältigen hatten, gaben auf die Frage, was ihnen bei der Trauerarbeit half, zur Antwort:

  • Sehr viel Zeit
  • Teilnahme an der Beerdigung
  • Gespräche
  • Bilderbücher zum Thema Sterben und Tod
  • Gebete
  • Besuche von Familie und Freunden
  • sich an die schönen Momente mit dem Kind erinnern

Weiterführende Informationen

Bei der Elternvereinigung SIDS Schweiz mit vielen Informationen und Hilfeleistungen für Betroffene (Vermittlung von Selbsthilfegruppen) und weiterführenden Links.

Text: Kathrin Fischer

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