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«Wer nur den anderen kritisieren will, scheitert in der Paartherapie»

Frust statt Lust, Wut statt Harmonie, Schweigen statt Auseinandersetzung. Seit Monaten haben sich Konflikte aufgebaut. Kann eine Paartherapie helfen? Der Zürcher Familien- und Paarpsycholge Raimondo Lettieri weiss Antwort.

Eine Paartherapie kann vielen Paaren helfen
Kann eine Paartherapie die Liebe zurückbringen? Foto: Pexels

Partnerschaften erfüllen oft nicht die in sie gesteckten Erwartungen. Herr Lettieri, in welcher Phase ihrer Krise beginnen Paare eine Paartherapie?

Raimondo Lettieri: Die meisten entscheiden sich in einer fortgeschrittenen Krisenphase für die Paartherapie. Jedes Paar hat eine Art «Partnerschafts-Immunsystem», mit dem es eine gewisse Zeit lang versucht, Konflikte selber zu lösen und die Situation zu verbessern. Das können Monate, manchmal auch Jahre sein. Erst wenn das nicht nachhaltig fruchtet, die Gespräche abgebrochen oder nicht endend sind und heftiger Streit das Paarleben belastet, beschliessen manche Paare, sich Hilfe von aussen zu holen. Darüber hinaus gibt es eine relativ kleine Gruppe, die auf dem Weg zum Scheidungsanwalt quasi noch schnell reinschaut. Da kann Paarberatung immerhin helfen, sich gut zu trennen, bevor sie fliessend in eine Mediation oder Scheidungsberatung übergeht.

Welche Paare haben die besten Prognosen?

Diejenigen, die in einer frühen Phase der Auseinandersetzungen kommen. Zu diesem Zeitpunkt überwuchern die Negativspiralen und gegenseitigen Verletzungen noch nicht die ganze Beziehung.

Gibt es für die meisten Paare einen konkreten Auslöser dafür, einen Termin für die Paartherapie zu vereinbaren?

Ja. Der Auslöser ist der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Meist besteht er in einem besonders heftigen Streit, einer Bemerkung von Nachbarn oder Freunden, die positiv über eine Beratung berichten. Es kann sich aber auch um die Reaktion einer Behörde, die Empfehlung des Haus- oder Kinderarztes, eine entdeckte Aussenbeziehung oder einen Artikel wie diesen hier handeln.

Welche Probleme sind es, die besonders viele Paare quälen?

«Wir können nicht mehr reden!» oder «Wir sind nur noch am Streiten!» sind die meistgenannten Antworten auf die Frage, was ein Paar zu mir führt. Die Kommunikation an sich ist jedoch in den meisten Fällen nur «das Werkzeug», welches nicht mehr bedient werden kann.

Welche Probleme stecken hinter der unproduktiven Kommunikation?

Viele Paare, die zu uns kommen, befinden sich zeitlich ein bis zwei Jahre nach der Geburt des zweiten Kindes. Die Partner haben die Nähe zueinander verloren, streiten um Aufgabenverteilung, leiden unter geringer Wertschätzung seitens des Partners – begleitet von grossem Stress und Erschöpfung. Andere Paare entscheiden sich für eine Paartherapie, wenn die Kinder flügge werden. In dieser Lebensphase werfen oftmals die Mütter einen bangen Blick auf die Beziehung und finden keine Antwort auf die Frage: «Was verbindet uns ausser unseren gemeinsamen Kindern noch, was fangen wir mit unserer Beziehung in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten an?» Darüber hinaus gehören zu den typischen Themen unter anderem die unterschiedliche Vorstellung über eine befriedigende Sexualität, Schicksalsschläge, Konflikte mit den Herkunftsfamilien und Patchwork-Familiensituationen.

Die Problem-Themen ähneln sich also immer wieder?

Ja und nein. Nebst den oben genannten, häufig anzutreffenden Themen kommen meistens auch noch individuelle, in der persönlichen Biographie der einzelnen Partner liegende Faktoren hinzu, die die Problematik beeinflussen. So spielt es zum Beispiel eine wesentliche Rolle, ob eine unzufriedene Sexualität aufgrund von Stress, wenig Zeit und Alltagsfrust entsteht oder ob einer der beiden Partner auch eine sexuelle Traumatisierung aus der Kindheit oder Jugendzeit mit sich bringt. Deshalb empfehle ich manchmal zusätzlich zur Paartherapie Einzeltherapie-Sitzungen, die aber nicht vom Paartherapeuten durchgeführt werden sollten.

Haben Sie eine typische Klientel?

Nein. Die Paare, die zu uns in die Paarberatung in Zürich kommen, stammen aus allen sozialen Schichten und Altersgruppen. Die jüngsten sind Mitte 20, das älteste Paar, mit dem ich je beruflich zu tun hatte, war eine 86-jährige Frau und ein 79-jähriger Mann. Dennoch gibt es einen gemeinsamen Nenner: Alle knüpfen ein Mindestmass an Hoffnung an die Paartherapie und haben zumindest eine Minimalfähigkeit, sich vertrauensvoll an jemanden zu wenden.

Wie läuft eine Paartherapie ab?

Die erste Sitzung dient der Problem- und Ressourcenklärung, gleichzeitig aber auch dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Aufbau eines Arbeitsbündnisses. Man darf nicht vergessen, dass ich den Paaren zunächst noch fremd bin und sie mir hier manchmal in der ersten Sitzung bereits die fürchterlichsten Abgründe ihrer Beziehung offenbaren. Ich muss zudem auch klären, ob die Voraussetzungen für eine Paartherapie erfüllt sind.

Welche Voraussetzungen meinen Sie?

Beide Partner müssen bereit sein, sich kritisch mit sich selbst auseinander zu setzen, an sich zu arbeiten und daher auch Spannung auszuhalten. Wer ausschliesslich den anderen verändern oder kritisieren möchte, wird in der Paartherapie scheitern. Es gibt aber auch eine Gruppe von Klienten, die schwere Bindungsstörungen haben, extrem misstrauisch sind, paranoide Persönlichkeitsmerkmale oder tiefe Persönlichkeitsstörungen haben. Für diese Menschen ist Paartherapie in der Regel nicht angezeigt. Stattdessen ist hauptsächlich Einzeltherapie, hin und wieder begleitet von einem Paargespräch, sinnvoll.

Manchmal ist ein Partner motivierter als der andere, sich in die Paartherapie einzubringen.

Das macht nichts. Hauptsache, jeder ist immerhin ein bisschen motiviert, manchmal entsteht die Motivation auch erst im Verlauf des Gesprächs. Beispielsweise erzählen manche Männer, dass sie von ihrer Frau zur Paartherapie «geschleppt» wurden und nicht gewohnt sind zu sprechen. Doch wenn sie einmal Vertrauen gefasst haben, geht’s doch. Wichtig ist, gut zu unterscheiden, ob jemand nur motiviert ist, sich einzubringen oder auch eine echte Veränderungsbereitschaft hat. Ersteres gibt nur lange Gespräche, die aber zu nichts führen.

Wie gehen Sie konkret bei der Paartherapie vor?

In der ersten Sitzung gehe ich meistens durch folgende Fragen hindurch: «Was führt Sie hierher?», «Was möchten Sie verändern? », «Was glauben Sie, welchen Anteil Sie selber am Problem haben und welchen könnten Sie an einer Lösung haben? », «Was läuft noch gut? », «Welches soll meine Rolle sein? », «Welche Befürchtungen haben Sie, wenn Sie hier in die Therapie kommen?» Durch genaues Nachfragen und Zusammenfassen des Gehörten, manchmal auch Aussprechen des Nichtgesagten, nähern wir uns langsam den Grundproblemen und es zeigen sich je nachdem auch schon mögliche Wege, sie zu lösen. So kann ich meist am Ende der ersten Sitzung einen Vorschlag machen, ob und wenn ja, wie wir weiter vorgehen könnten. Manchmal braucht es zur Klärung der Themen zwei, drei Sitzungen mehr, wenn sie sehr vielschichtig und komplex sind.

Auf wie viele Sitzungen muss sich ein Paar einstellen, das sich zu einer Paartherapie entschieden hat?

Das ist sehr unterschiedlich. Ein Paargespräch dauert etwa 90 Minuten. Sind die Ziele definiert, schlage ich oftmals drei bis fünf Sitzungen vor, je nach Situation im Abstand von ein bis drei Wochen, nach denen dann geschaut wird, was erreicht wurde. Braucht es mich noch? Gibt es einen neuen Auftrag? Manchmal folgen nach fünf bis sieben Gesprächen weitere Termine nur noch in lockeren Abständen. Hat sich die Beziehungsqualität verbessert, kann man auch sagen: «Jetzt machen wir eine Pause! In einem halben Jahr sehen wir uns wieder. Dann gucken wir, ob wir die Therapie abschliessen oder ob es weiteren Beratungsbedarf gibt.»

Können manche Therapien auch länger dauern?

Ja. Manche Therapien erstrecken sich durchaus über ein, zwei Jahre, gerade dann, wenn schwerwiegende, individuelle Problembereiche wie zum Beispiel Sucht oder Traumatisierungen mit in die Beziehung hinein spielen und parallel auch Einzeltherapien laufen. Wichtig ist, dass tatsächlich immer wieder an definierten Zielen gearbeitet wird. Schlingert die Paartherapie ziellos vor sich hin, gehört der Paartherapeut bald zur Familie – und ist dann nicht mehr wirksam (lacht).

Wie oft erfüllt sich die Hoffnung der Paare, die sie an die Paartherapie knüpfen?

Stichprobenartige Befragungen bei uns an der Stelle haben ergeben: Circa 44 Prozent erlebten die Paarberatung rückblickend als sehr hilfreich, 25 Prozent als hilfreich, 20 Prozent fanden sie teilweise hilfreich, drei Prozent wenig hilfreich und acht Prozent gar nicht hilfreich.

In welchen Fällen lohnt es sich, als Paar zusammen zu bleiben, in welchen Fällen nicht?

Diese Frage sollte jedes Paar selber beantworten. Manchmal besteht der Auftrag der Beratung sogar darin, genau das herauszufinden. Es gibt allerdings eine kleine Gruppe von Paaren, die sehr zerstörerisch ist und dennoch nicht loslassen kann. Wenn bei ihnen Kinder aufwachsen, äussere ich auch von mir her, dass es sinnvoller ist, sich zu trennen, um die Kinder vor den chronischen Konflikten besser zu schützen.

Wie lässt sich ein guter Paartherapeut finden?

Eine und wahrscheinlich die beste Möglichkeit ist die Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir werden häufig von ehemaligen KlientInnen weiterempfohlen und haben dann deren Freunde, Verwandte und Bekannte bei uns.

Welche Ausbildung sollte ein guter Paartherapeut haben?

Paartherapeuten sind in der Regel von ihrer Grundausbildung her Psychologen, Sozialarbeiter/Sozialpädagogen oder Psychiater. Alle drei Berufsgruppen sorgen für Qualitätsstandards, die sich aber nicht direkt auf die Paartherapie beziehen. Wer einen Psychologen wählt, sollte darauf achten, dass er Psychotherapeut FSP oder SPV ist. Ärzte sollten den FMH Facharzttitel für Psychiatrie und Psychotherapie tragen, Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen den HFS-Fachtitel. Aus meiner persönlichen Sicht ist darüber wichtig, dass ein Paartherapeut eine mehrjährige systemische Therapieausbildung in seinem Curriculum vorweisen kann. Die Zugehörigkeit beim Berufsverband Systemis gibt in diesem Zusammenhang auch eine gewisse Sicherheit.

Paarberatung wird in der Schweiz und in Deutschland schon seit Jahrzehnten durch öffentlich-kirchliche Institutionen angeboten.

Ja, das stimmt und diese Stellen, wie andere öffentliche Stellen auch, haben in der Regel Aufnahmestandards für ihre Mitarbeitenden, sodass man hier erwarten kann, erfahrene und gut ausgebildete Paartherapeuten vorzufinden. Die Paarberatung Zürich, für die ich arbeite, ist beispielsweise eine solche Stelle. Jedoch nützt letztlich alles nichts, wenn die Chemie zwischen KlientInnen und TherapeutIn nicht stimmt. Deshalb muss man manchmal auch einfach ein Erstgespräch vereinbaren und schauen, ob’s passt.

Was kostet eine Paartherapie?

Auf dem freien Markt muss ein Paar für eine Paartherapie 180 bis 220 Franken pro Stunde bezahlen, wobei die Grenze nach oben hin offen ist. Institutionen, wie die öffentlich-kirchlichen Paarberatungsstellen bieten in der Regel subventionierte Tarife an, wo Paare je nach Einkommen, Vermögen und Anzahl Kinder unterschiedlich viel bis maximal zum Marktpreis bezahlt. Bei uns sowie auch an den anderen öffentlich-kirchlichen Stellen im Kanton Zürich herrscht die Devise, dass niemand aus finanziellen Gründen auf eine Paarberatung verzichten muss - was ich persönlich essentiell finde, wenn man bedenkt, welche Folgeschäden schwere Paarkrisen auf die Kinder, die Partner selber sowie aufgrund von Burnout und Depression auch auf die Volkswirtschaft haben. Allerdings kann das subventionierte Angebot der kirchlichen Paarberatung im Kanton Zürich nur dann langfristig gesichert sein, wenn die Bevölkerung sowie auch die Unternehmen gewillt sind, Kirchensteuern zu entrichten. Da steht uns in diesem Jahr eine Abstimmung bevor, die dieses nun bald 40-jährige Angebot zerstören könnte.

Zur Person

Paartherapeut Raimondo Lettieri

Raimondo Lettieri, geboren 1968, ist Fachpsychologe für Psychotherapie und Kinder- und Jugendpsychologie. Er hat in Zürich eine eigene Praxis und ist tätig als Paartherapeut, Elterncoach, Einzeltherapeut und Supervisor.

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