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Sprachentwicklung: Sind Kinder, die früh sprechen, klüger?

Manche Kinder sprechen schon mit neun Monaten ihre ersten Wörter, andere brauchen dafür 15 Monate. Die Sprachforscherin Sabine Stoll von der Universität Zürich erklärt, womit das zusammenhängt und welchen Einfluss Eltern auf den Spracherwerb haben.

Sprachentwicklung bei Kindern
Wie soll ich es sagen? Die Sprachentwicklung ist ein jahrelanger Prozess. Foto: Lisa5201, iStock / Getty Images Plus 

Eltern warten oft ungeduldig auf die ersten Worte ihres Kindes. In welchem Alter lernt ein Kind normalerweise zu sprechen?

Sabine Stoll: Die meisten Kinder sprechen um den ersten Geburtstag herum ihre ersten Wörter, die oft aber nicht identisch mit den Wörtern ihrer Umgebung sind. Sie sind also lautlich stark abgewandelt oder teilweise sogar ganz individuell geprägt. Manche Kinder beginnen schon mit neun Monaten zu sprechen, andere erst mit 15 Monaten. Das ist in allen Sprachen ähnlich.

Wann ist der Spracherwerb abgeschlossen?

Der Erwerb neuer Vokabeln und auch komplexer Grammatikanwendungen geht immer weiter – in diesem Sinn könnte ich «nie» antworten. Die Basisgrammatik beherrscht ein Kind in der Regel allerdings bereits im Alter von vier Jahren. Mit 10 bis 15 Jahren spricht es wie ein erwachsener Muttersprachler.

Sind Kinder, die früh sprechen, klüger als andere?

Es gibt keine Korrelation, also keine Wechselbeziehung, zwischen Intelligenz und Sprache. Allerdings sind gute sprachliche Fähigkeiten eine Voraussetzung für die Informationsaufnahme und dies wiederum hat einen Einfluss auf die allgemeine kognitive Entwicklung. Frühes Sprechen und Intelligenz stehen aber in keinem Zusammenhang.

Zur Person

Sabine Stoll, Linguistik-Professorin

Sabine Stoll ist Sprachwissenschaftlerin an der Universität Zürich, wo sie das Psycholinguistische Laboratorium am Institut für Vergleichende Sprachwissenschaft seit 2014 leitet. Besonders interessiert sie sich für die Frage, wie Kinder die unglaubliche Variation an Sprachen auf der Welt bewältigen. Stoll hat einen Master in slawischer Linguistik, Psycholinguistik und theoretischer Linguistik (1993) sowie einen Doktortitel in slawischer Linguistik (2001).

Bild: zVg/Adrian Ritter

Warum sind manche Kinder in der Sprachentwicklung später dran als andere?

Dass manche Kinder später mit dem Sprechen beginnen als andere, kann genetische oder psychische Gründe haben. Wenn ein Kind mit allerspätestens 15 Monaten noch keine Wörter äussert, sollten Eltern versuchen, den Grund beim Kinderarzt abzuklären. Es kann sich um eine ganz harmlose individuelle Variation handeln, aber manchmal steckt auch ein physiologischer Grund dahinter, den man abklären lassen sollte Vielleicht hört das Kind schlecht, oder sind motorische Gründe für die Verzögerung verantwortlich? Wichtig sind die allgemeinen Früherkennungsabklärungen beim Kinderarzt und - wenn nötig - weitere Untersuchungen.

Welche Worte lernt ein Kind zuerst?

Die allerersten Worte betreffen Menschen, die dem Kind nahe stehen. Das können Papa, Mama oder der Name oder eine Bezeichnung für eine nahestehende Tante sein. Die Wörter, die das Kind verwendet, sind natürlich dann nicht immer die, die ein Erwachsener wählen würde. Oft spricht das Kind früh auch Wörter für alltägliche Gegenstände, die es besonders interessant findet, natürlich in vereinfachter Form in der Aussprache.

Stimmt das Vorurteil, dass Jungen später sprechen als Mädchen?

Nein.

Wie können Eltern ihr Kind beim Spracherwerb unterstützen?

Der Input hat einen starken Einfluss auf den Spracherwerb. Je mehr Eltern und das Kind ihre gemeinsame Aufmerksamkeit auf das richten, was das Kind besonders interessiert, umso mehr Sprache nimmt es auf, und um so mehr übt es sich darin, Sprache anzuwenden. Auch die reine Menge Sprache, die ein Kind hört, spielt eine wichtige Rolle für den Spracherwerb.

Wie viele Sprachen kann ein Kind lernen?

Grundsätzlich kann jedes Kind jede beliebige der derzeit auf der Welt gesprochenen Sprachen lernen, vorausgesetzt es wächst in dem entsprechenden sprachlichen Umfeld auf. Und selbst die verzweigtesten Strukturen und die ausgefeilteste Grammatik sind für Kleinkinder kein unlösbares Problem. Die Anzahl von Sprachen, die ein Kind lernen kann, ist allerdings begrenzt (zumindest im gleichzeitigen Erwerb).

Wie sieht es mit Kindern aus, die zweisprachig erzogen werden?

Bilingual, also mit zwei Sprachen, aufzuwachsen, ist sicher kein Problem. Wenn ein Kind bilingual aufwächst, kann es aber anfänglich zu Verzögerungen im Spracherwerb kommen, die aber dann im Laufe der ersten Jahre ausgeglichen werden. Voraussetzung ist aber immer, dass das Kind den beiden Sprachen genügend ausgesetzt ist.

Trilingualer Spracherwerb ist schon komplexer.

Ja, es kommt stark darauf an, wie viel Input das Kind in den einzelnen Sprachen erhält. So kann es sein, dass es die Sprachen am Ende unterschiedlich gut beherrscht.

Sie forschen zum Spracherwerb in verschiedenen Sprachen. Worum geht es da?

In einem gross angelegten Projekt erforschen ich und mein Team, auf welche Weise genau sich Kleinkinder Sprache aneignen. Gleichgültig, um welche Sprache es sich handelt. Bilden sie Regeln? Erkennen sie Sprachmuster? Das wollten wir herausfinden. Deshalb haben Kooperationspartner in verschiedenen Ländern Kinder in unterschiedlichen Lebenssituationen und im Abstand von etwa einem Monat per Video aufgenommen. Sie haben Sprache und Gestik der Kinder, aber auch der Personen, die mit ihm interagieren wie Eltern, Grosseltern und Geschwister, gefilmt. Gesprochen wird auf den Videos in Russisch, Japanisch, Türkisch, Yukatekisch (eine Mayasprache) und Inuktitut (einer Inuitsprache), Chintang (Nepal), Indonesisch, Sesotho (einer Bantusprache) und in zwei indigenen nordamerikanische Sprachen Kanadas.

Warum haben Sie ausgerechnet diese Sprachen gewählt?

Diese Sprachen unterscheiden sich in ihrer Grammatik maximal voneinander. Denn wenn es darum geht, allgemeine Lernmechanismen herauszufinden, müssen wir sicher sein, dass diese in den unterschiedlichsten Sprachen wirken. Schon jetzt liegen mir und meinem Team immense Datenmengen von unseren Kooperationspartnern aus den anderen Ländern vor. Diese Daten gilt es zunächst zu vereinheitlichen. Die Auswertung wird sicher bis 2019 dauern.

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