Negerkönig ade: Müssen Kinderbücher politisch korrekt sein?
Darf Pippi Langstrumpf weiter davon träumen, Negerprinzessin zu werden? Und muss aus dem Negerbaby Jim Knopf ein «Baby schwarzer Hautfarbe» werden? Um moralisch verwerfliche Ausdrücke in Kinderbüchern ist eine leidenschaftliche Debatte entbrannt.
Kennen Sie die Süssigkeit aus schneeweissem, weichem Eiweissschaum, der auf einer runden Waffel steht und mit hauchdünner Schokolade überzogen ist? «Negerkuss», sagte man früher dazu, «Schokokuss» oder «Dickmann» nennen ihn Kinder und Erwachsene heute. Das Wort «Neger» ist zum Glück weitestgehend aus dem Sprachgebrauch verschwunden, denn es bezeichnet keinesfalls wertfrei einen «Mensch schwarzer Hautfarbe», in ihm schwingt stattdessen eine Herabsetzung mit. In Büchern aber existiert das Wort weiter, auch in Kinderbüchern.
«Auch ohne böse Absicht können Worte Schaden anrichten»
Soll das Wort «Neger» – zusammen mit anderen diskriminierenden Worten und Haltungen aus der Kinderliteratur gestrichen werden, damit Kinder keine haltlosen und schädigenden Vorurteile übernehmen? Das ist eine Frage, die von der deutschen Familienministerin Kristina Schröder neu angeregt wurde. Wenn sie ihrer Tochter aus dem Kinderbuchklassiker «Jim Knopf» vorlesen würde, würde ihr das Wort «Negerbaby», wie von Michael Ende geschrieben, nicht über die Lippen kommen. «Ich würde es synchron übersetzen, um mein Kind davor zu bewahren, solche Ausdrücke zu übernehmen“, sagte sie in einem Interview mit der Wochenzeitung «Die ZEIT». «Auch ohne böse Absicht können Worte ja Schaden anrichten.»
Kristina Schröder steht mit dieser Haltung nicht alleine da. Längst hat der Oetinger-Verlag aus seinen Büchern alle «Neger»-Worte entfernt. Vorbei die Zeiten, als Pippis Vater Negerkönig war – heute ist er Südsee-Herrscher. Auch der Thienemann Verlag hat angekündigt, »veraltete und politisch nicht mehr korrekte Begrifflichkeiten« zu entfernen. «Wir werden alle unsere Klassiker durchforsten», kündigte Verleger Klaus Willberg in der "taz" an. Die umstrittenen Wörter würden dabei nicht ersetzt, sondern ganz gestrichen. Es sei notwendig, Bücher an den sprachlichen und politischen Wandel anzupassen, begründet Willberg den Schritt. «Nur so bleiben sie zeitlos.» Als Neger, Chinesenmädchen und Türke sollen sich Kinder in Otfried Preusslers Buch «Die kleine Hexe» also nicht mehr verkleiden dürfen.
«Ich finde es gut, wenn in Kinderbüchern keine diskriminierenden Ausdrücke benutzt werden», heisst es im Forum von «Erziehung-online». «Wir hatten zu Hause nämlich auch schon die Diskussion, wir haben eine ältere Pippi-Ausgabe und ich musste dann meinen 2- und 4-jährigen Mädels erklären, was ein Neger ist, dass das Wort nicht angemessen ist und weshalb es nicht angemessen ist.» Natürlich sei sofort die Frage gekommen: «Und warum darf Pippi das sagen?"
Angst vor Zensur
«Ich bin nun mal gegen jede Art von Zensur. Statt Wörter, die früher eine andere Bedeutung hatten oder heute gar nicht mehr verwendet werden, umzuschreiben oder sie ganz auszurotten, müssten den Kindern Wörter, die sie nicht verstehen bzw. fremd vorkommen eben erklärt werden.» Dieses Argument aus dem Forum von Büchertreff liegt vielen Gegnern von Änderungen in der Kinderliteratur auf der Zunge. «Wer moralisch einwandfreie Bücher haben möchte, fordert Zensur», warnen sie. Zensur ist in der Schweiz und in Deutschland verboten.
Darüber hinaus sehen viele die schwierige Frage, wie sich überhaupt beurteilen lässt, was moralisch korrekt ist – und was nicht. «Ist es nicht ein gewiss unschuldiges Vergnügen gewesen, sich als Türke oder Neger zu verkleiden?» fragt zum Beispiel «Die Zeit» kritisch. Kinder spüren, dass hier nicht die Türkin von nebenan oder die Mitschülerin aus China gemeint sind, sondern das Exotische, das Fremde. «Kinderbücher sind Literatur und vor langer Zeit geschrieben, deshalb sollte man die Wörter soll belassen, wie sie einmal geschrieben wurden», ist im Literaturforum zu lesen. Wenn Pippi Negerprinzessin werden will, meint Astrid Lindgren sicher nicht, dass Pippi ein ganzes Volk unterdrücken will. Was sie stattdessen meint, lässt dieses fantasievolle Zitat erahnen: «Ich werde einen eigenen Neger haben, der mir jeden Morgen den ganzen Körper mit Schuhcreme putzt. Damit ich ebenso schwarz werde wie die anderen Negerkinder», sagt Pippi.
Die Gefahr besteht, dass die Aufgabe, Kinderbücher von Diskriminierung frei zu machen, eine endlose Aufgabe wird. Denn ist es nicht auch diskriminierend, Frauen in erster Linie als Mütter und Hausfrauen darzustellen? Wenn dem so wäre, müsste ein Grossteil aller Kinderbücher direkt aus den Regalen entfernt werden.
Kinder mit Büchern nicht alleine lassen
«Kinderbücher aktualisieren», fordern die einen. «Literatur Literatur sein lassen», die anderen. Eine interessante Diskussion, die Früchte tragen kann.
«Es ist wichtig, den Fokus nicht zu sehr auf eine einzelne Geschichte zu legen, sondern eine Vogelperspektive darauf zu werfen, womit man die Kinder «beschallt»», schreibt «Der Freitag». Demnach sollten Kinder in Büchern einem bunten Mix aus Phantasie und Entwürfen der Wirklichkeit begegnen. Schliesslich bedeutet Lesen nicht, sich manipulieren zu lassen, sondern sich mit der Welt auseinander zu setzen, um eigene Standpunkte und Werte zu entwickeln.
Dabei können Erwachsene helfen. Am Anfang lesen sie sehr jungen Kindern aus Bilderbüchern vor. Noch sind die Textpassagen klein, gross ist dagegen die Flut der Kinderfragen, auf die Erwachsene eingehen können. Schon Vierjährige fragen nach dem «Warum?» «Sie können Empathie empfinden, auch Schadenfreude. In diesem Alter, denke ich, können Kinder auch nachvollziehen, dass das Wort «Neger» früher etwas anderes bedeutete als heute», erklärt der Psychologe Prof. Hartmut Kasten in einem «ZEIT»-Interview.
Büchern mit stereotypen Rollenbildern müssen nicht aus den Regalen verbannt werden, wenn sie Kindern Spass machen. Aber das Sortiment kann ergänzt werden – durch weitere Bücher, die andere Rollenbilder entwerfen oder widerspiegeln.
Weiterführende Informationen:
Ausgezeichnete Kinder- und Jugendbücher: goethe.de