Sich alleine beschäftigen? Warum das nicht allen Kindern leicht fällt
«Mama, mir ist langweilig!» So manch ein Kind weiss sich oft nichts mit sich anzufangen, wenn es alleine spielen soll. Woran liegt das und was können Eltern tun, damit sich ihr Kind besser allein beschäftigen kann? Wir haben nachgefragt. Erziehungsberaterin Brigitte Saurenmann gibt Ratschläge.
«Mein Kind kann sich einfach nicht allein beschäftigen», stöhnen Eltern immer wieder. Frau Saurenmann, warum fällt es manchen Kindern schwer, alleine zu spielen und andere können sich problemlos mit sich selbst beschäfitgen?
Ich kann in meiner Arbeit mit Baby- und Kindergruppen immer wieder beobachten, wie schnell Eltern beispringen, um ihrem Kind bei einer Aufgabe oder einem Spiel behilflich zu sein. Das Kind gewöhnt sich daran und hört auf, selber etwas zu tun. Viele Eltern glauben, ihr Kind ständig stimulieren, beschäftigen, fördern und ihm etwas bieten zu müssen, damit es sich gut entwickelt. Doch dieses Verhalten führt beim Kind eher zu Passivität.
Welche Folgen hat diese passive Rolle für das Kind?
Das Kind kann so seine eigenen Fähigkeiten nicht optimal entwickeln oder hat wenige Erfolgserlebnisse. Denn im Spiel geht es nicht um ein Endprodukt, sondern darum, Erfahrungen zu sammeln und so nach und nach die Welt immer besser kennen zu lernen.
Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?
Letztens kam die drei Monate alte Hanna zu Besuch. Sie lag auf dem Bauch auf dem Boden und erblickte etwas entfernt von ihr ein Spielzeug, das sie interessierte. Als die Mutter ihren Wunsch erkannte, wollte sie ihr das Spielzeug geben. Ich bat sie zu warten, um zu beobachten, was Hanna nun machen würde. Erst schaute sie lange zu dem Spielzeug, dann begann sie, hin und her zu wippen, bis sie das Spielzeug erreicht hat. Jetzt strahlte sie – und die Mutter auch! Denn Hanna hatte ein Erfolgserlebnis. Sie hatte herausgefunden, wie sie ein Spielzeug erreichen kann. Das hat sie in ihrem Forschungsdrang weiter gebracht.
Kinder sollten sich also alleine beschäftigen können?
Ja. Es kann aber sein, dass Kinder aufgrund von Familienproblemen innerlich besorgt und unruhig sind. Krankheit, Stress, Notlagen und überaktive Eltern können die Eigenaktivität des Kindes lähmen.
Was brauchen Kinder, um sich gut beschäftigen zu können?
Grundsätzlich beobachten Kinder Mutter und Vater ganz genau. Die Handlungen der Bezugspersonen schaut es ab und spielt diese im Kinderzimmer nach. Es möchte mithelfen, in der Küche, im Garten, in der Werkstatt. Das erfordert etwas Geduld von den Erwachsenen, aber so lernt es die Fertigkeiten fürs Leben. Natürlich sollte auch möglich sein, dass Kinder draussen herumtoben können und die ganze Familie ab und zu gemeinsam spielt und etwas Spannendes unternimmt.
Benötigen Kinder darüber hinaus auch viel oder immer wieder neues Spielzeug, um Forscherdrang entwickeln zu können?
Nein, Kinder brauchen nicht ständig neues Spielzeug. In vielen Kinderzimmern gibt es Berge von Spielsachen. Dennoch klagen die Kinder über Langeweile und wissen nicht, was sie tun können. Die Hoffnung, es gebe Ruhe, indem Neues angeschafft wird, trügt. Denn neues Spielzeug verliert seinen Reiz, wenn Kinder lernen, dass der Kick auch von Aussen kommen kann. Eltern stellen Kinder gern mit Medien ruhig. Doch kaum ist die Bespassung vorbei, geht es schon wieder los: «Mama, mir ist es langweilig!“ Kinder brauchen daher nicht viel, sondern gutes Spielzeug. Gut ist Spielzeug, wenn es sich verändern lässt. Ausserdem empfehle ich, Kindern beim Spielen nur dann Hilfeleistungen zu geben, wenn sie danach fragen, und nur so viel, wie sie brauchen. Wichtig ist, ihnen dafür Zeit und Musse einzuräumen.
Wieviel Zeit sollte sich ein Kind je nach Alter alleine beschäftigen können?
Das ist unterschiedlich – das kommt auf das Temperament des Kindes an. Ein Zuviel kann es nicht geben, ein Zuwenig schon. Da können sich Eltern auch zurücknehmen und sagen: „Tut mir leid, ich bin im Moment beschäftigt. Du musst noch etwas warten, dann komme ich gern». Manchmal hat das Kind dann schon selbst eine Lösung für sein Problem gefunden. Denn es ist als neugieriges Wesen und als Forscher auf die Welt gekommen. Kinder können sich beschäftigen, wenn es ein ruhiges Familienklima gibt. Die meisten befriedigenden Erlebnisse entstehen durch Eigenaktivität. Spielen und Basteln bedeuten lernen und motivieren, Neues alleine oder mit Freunden zu entdecken.
Zur Person
Die Erziehungsberaterin, Sozialpädagogin und PEKiP-Gruppenleiterin Brigitte Saurenmann aus Zürich bietet Vorträge zu verschiedenen Erziehungsthemen an. Darüber hinaus ist sie als Fachberaterin für Spielgruppen und Kitas tätig.