Warum Grenzen setzen für Kinder so wichtig ist - und wie das auch gelingt
Grenzen schaffen Klarheit, geben Sicherheit und ermöglichen Kindern erst die Freiräume, die sie brauchen, um sich zu entfalten. Aber was tun, wenn sich Ihr Kind trotzdem nicht an Regeln hält? Wie Sie Grenzen setzen und durchsetzen. Ein Gastbeitrag von Mar Wieland.
Im Zusammensein mit Kindern sind Grenzen ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für eine gute Beziehung. Oft werden sie zum Brennpunkt, an dem sich die Emotionen allseitig entzünden. Kinder wie auch Erwachsene kommen an ihre Grenzen.
In der Zeit nach der Geburt bilden Mutter und Kind eine Symbiose. Diese innige, emotionale und physische Nähe ist der Nährboden für eine gesunde Entwicklung. Damit diese gelingen kann, ist aber auch eine gegenseitige Abgrenzung nötig. Langsam entsteht für das Kind ein Gefühl von «Ich» und «Du». Es dauert etwa zehn Lebensjahre, um sich den eigenen Grenzen klar bewusst zu werden.
Erwachsene setzen Grenzen – Kinder sind dankbar dafür
Und nirgendwo zeigen sich unsere Grenzen so deutlich wie in der Familie. Die Mischung aus Liebe, Nähe, Verantwortung und Abhängigkeit erzeugt emotionale Reibung und führt immer wieder zu Verletzungen der Grenzen des anderen. Der dänische Erziehungsberater Jesper Juul hat Recht, wenn er sagt: «Das Schuldgefühl ist am geringsten und das Selbstwertgefühl am stärksten – bei allen Beteiligten – wenn die Erwachsenen vorangehen und den Ton bestimmen.»
Eltern sollten ihren Kindern Grenzen setzen. Orientierunggebende Strukturen, sinnvolle Regeln und klare Grenzen haben einen nachweislich positiven Effekt auf die psychische Entwicklung von Kindern. Dazu gehören: Aufsteh- und Einschlafrituale, klare Reihenfolgen wie Heimkommen/Zvieri/Hausaufgaben, Händewaschen vor dem Essen, Zähneputzen und Pijama anziehen vor der Gutenachtgeschichte, Lesezeit gleich Elektronik (30 Minuten Lesen = 30 Minuten TV oder Playstation), das Elternschlafzimmer ist kein Spielzimmer, etc.
Warum Grenzensetzen wichtig ist
1 Grenzen bieten Schutz und ermöglichen Freiräume. Werden Grenzen gegenseitig respektiert und eingehalten, vertieft es das gegenseitige Vertrauen. Dadurch wird es den Eltern erst möglich, ihren Kindern grösstmögliche Autonomie zu schenken.
2 Autonomie lässt Freiräume erfahren und entdecken. Kinder geniessen die Rückkehr aus ihren Freiräumen, wenn sie danach erzählen können, falls sie möchten. Umgekehrt können Eltern, die sich eigene Freiräume bewahren, gestärkt und erfrischt, mit dem nötigen inneren Abstand wieder offen auf ihre Kinder zugehen. Freiräume schaffen eine echte Verbindlichkeit und ein Gefühl der Zugehörigkeit.
3 Grenzen brauchen sinnvolle, klare und konkrete Regeln. Regeln ermöglichen das konstruktive Miteinander. Die konsequente Konsequenz ist die Kreide, um klare Grenzlinien zu ziehen.
4 Im Verlaufe der Zeit müssen sich Regeln und Grenzen verändern können, denn sie sind abhängig von den jeweilig aktuellen Bedingungen und wachsen mit der Entwicklung des Kindes mit.
Grenzen setzen ist schwer, aber es lohnt sich
Auf Grund von Zeitmangel nicht konsequent sein, aus einem Nein ein Ja werden lassen, weil man keine Nerven hat – dafür zahlt man immer einen hohen Preis! «Einmal so, ein andermal so, manchmal so und heute grad so... », verunsichert das Kind. Es weiss nicht mehr, woran es ist. Eltern verlieren durch Nachgiebigkeit ihre Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit. Das Kind beginnt die Grenzen zu suchen und vorhandene Regeln wieder und wieder zu unterlaufen oder auszuhebeln. Am Ende flattert das Nervenkostüm der Eltern, man klebt dauernd an der Decke, die Kinder rebellieren und alle fühlen sich elend. Mit einer wichtigen Regel wird aber das Grenzensetzen sehr viel leichter, authentischer und lebbarer.
Regel Nummer EINS beim Grenzensetzen: Respekt
Respekt vor mir selbst, meinen Bedürfnissen und meinen Gefühlen. Denn nur, wenn ich mich selbst respektiere, respektiert mich auch mein Kind. Respekt drückt sich aus in der zugewandten Körperhaltung, in der Art des Zuhörens, in der aufmerksamen Präsenz und im achtsamen Umgang mit der Sprache. So kann ich als Erwachsener für meine Grenzen einstehen und die Grenzen meines Kindes besser wahrnehmen und verstehen. Je besser wir uns selbst kennen und je persönlicher wir unsere Grenzen zum Ausdruck bringen können, desto freundschaftlicher und freudvoller wird das Miteinander.
Wirksame Werkzeuge bei Grenzüberschreitungen
Aber was tun, wenn eine Grenze einmal überschritten wurde? Diese fünf Werkzeuge helfen.
1 Spiegeln wirkt klärend und ermöglicht sinnvolle Gespräche
Beispiel 1: Das Kind hat weder Lust die Jacke aufzuhängen noch den Tisch zu decken. Eltern können dieses Verhalten bewusst spiegeln, indem sie zum Beispiel «keine Lust» haben ein Abendessen vorzubereiten.
Beispiel 2: Das Kind kommt nie zur abgemachten Zeit pünktlich nach Hause. Sich bewusst auch einmal nicht an eine Abmachung halten und das Kind (je nach Alter) für ein paar Minuten alleine warten zu lassen, kann Wunder bewirken. In diesem Fall lohnt es sich – als Auffangnetz – z.B. eine Nachbarin in den Plan einzuweihen.
2 Logische Folgen sprechen für sich
Beispiel 1: Wenn das Kind trödelt – dann kommt es zu spät in die Schule und muss das mit der Lehrerin selbst ausmachen.
Beispiel 2: Sind die Zähne beizeiten nicht geputzt, das Pyjama nicht angezogen – bleibt keine Zeit mehr für eine Gutenachtgeschichte.
3 Konsequenzen sind unabdingbar
Beispiel: Werden die Legos – entgegen der Abmachungen – nicht aufgeräumt, verschwindet die Kiste für eine Woche im Schrank.
Wichtig: Konsequenzen sind keine Drohungen und müssen eingehalten werden können. Wenn ein Kind nicht mehr aus dem Einkaufswagen will, dann können Eltern nicht schimpfen: «Dann geh ich halt ohne dich nach Hause!» Denn das Kind weiss, dass diese Drohung ein Bluff ist, gleichzeitig aber ist da eine leise Angst, vielleicht doch verlassen zu werden.
4 Freundliches Ignorieren hilft
Beispiel: Toben, Jammern, Schimpfen, dramatisches Heulen (damit ist nicht echtes Weinen gemeint) einfach übersehen und überhören, eventuell mit dem Satz: «Ich freue mich darauf, dass, wenn du damit fertig bist, wir etwas zusammen machen können.»
Wichtig: Aufmerksamkeits-Entzug ist nicht mit Liebesentzug zu verwechseln. Mit Liebesentzug verletzt man das Kind und sich selbst!
5 Nulltoleranz gilt bei
Persönlichen Beschimpfungen, Anschreien, Schlagen, Beissen, Spucken.
Hier gilt es, umgehend Distanz zu schaffen. Das Kind gehört in sein Zimmer oder die Eltern ziehen sich, wenn sie selbst drohen die Beherrschung zu verlieren, kommentarlos zurück, zum Beispiel ins eigene Schlafzimmer, in das Badezimmer oder in den Garten. Blick abwenden, Abstand gewinnen, entspannen, nachdenken und sich selber etwas zuliebe tun. Immer hilfreich: Langsam und bewusst eine Tasse Tee trinken, bevor man wieder Kontakt aufnimmt.
Selbstsorge: Wenn es mir gut geht, geht es meinem Kind gut
Laut Jesper Juul ist die wichtigste Frage, die sich alle Eltern stellen müssen: «Welche Grenzen muss ich um mich selbst errichten, um mich mit mir und meinen Kindern wohlfühlen zu können? Wie grenze ich mich im Verhältnis zu ihnen so ab, dass wir Kontakt und Nähe, die wir alle wünschen, etablieren und erweitern können?»
In dem Sinne wünsche ich Ihnen den Mut, sich selbst und Ihrem Kind die Zeit zu schenken, die es für ein achtsames, ehrliches und vertrauensvolles miteinander und voneinander Lernen braucht.
von Mar Wieland
ZUR AUTORIN
Mar Wieland ist seit 2006 als individualpsychologische Beraterin tätig. Sie ist Mitglied der SGIPA (Schweizerische Gesellschaft für Individualpsychologie nach Alfred Adler) und der SGfB (Schweizerische Gesellschaft für Beratung). Im Zürcher Seefeld bietet sie unter anderem Erziehungsberatungen und Beratungen bei Burnout an. Zuvor arbeitete sie als Mittelstufenklassenlehrerin in Zürich und im Kanton Aargau.
Mehr über Mar Wieland erfahren Sie auf ihrer Webseite unter www.wieweiter.com