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Mit Kindern über Gefühle sprechen und bei Wutausbrüchen richtig reagieren

Was tun, wenn das Kind mal wieder vor Wut ausbricht wie ein kleiner Vulkan? Kinderpsychologin Ina Blanc gibt Rat und erklärt, wie Eltern ihren Kindern helfen können, mit ihren Gefühlen positiv umzugehen.

Wutausbrüche bei Kindern: Richtig reagieren.
Wutausbrüche bei Kindern sind für Eltern ein grosses Thema. Wir erklären, wie Sie reagieren können. Foto: Magnettheory, iStock, Getty Images Plus

Wehe, man schneidet dem Dreijährigen die Scheibe Brot in Stücke, obwohl er sie im Ganzen essen wollte. Und Vorsicht vor dem Kleinkind, das den Bauklotz-Turm immer höher bauen will – und ausrastet, weil er immer am selben höchsten Punkt in sich zusammenfällt. Sie kennen das? Ich auch!

Meine zweieinhalbjährige Tochter ist kürzlich ausgerastet, als sie sich die Schuhe anziehen wollte. Ein Schuh hat sich dabei so ungünstig verdreht, dass der Fuss nicht mehr hineinpasste. Ihr Frust war so gross wie meine Ratlosigkeit. Wie umgehen mit solchen Wutausbrüchen bei Kindern?

Wutausbrüche bei Kindern und Jugendlichen

Kinderpsychologin Ina Blanc beruhigt mich. Solche Wutausbrüche seien ganz normal – bis ins Jugendalter (siehe Kasten).

«Es wird aber immer besser», versichert sie. Schwierig sei es aber, erst im Akutfall mit einer Strategie zu beginnen, um das Kind emotional zu unterstützen. «Wichtig ist, eine positive Familienatmosphäre für Gefühle zu schaffen», sagt sie. «Allgemein sollte gelten: Alle Gefühle sind in Ordnung und erlaubt, aber es geht darum, einen angemessenen Ausdruck zu finden.»

Um Wutausbrüche bei Kindern zu reduzieren, abzuschwächen oder mit ihnen umzugehen, sollten Eltern dem Thema Gefühle einen wichtigen Platz im Familienalltag einräumen.

Denn nur wer seine Gefühle kennt, kann auch mit ihnen umgehen. Und wenn Kinder lernen ihre Gefühle zu regulieren, erleben sie laut Ina Blanc Selbstwirksamkeit, bekommen Selbstvertrauen und merken, dass sie ihren Gefühlen nicht ausgeliefert sind, sondern etwas verändern können.

Die Kinderpsychologin hat alltagstaugliche Tipps, um Kindern zu helfen, Gefühle zu erkennen und zu regulieren.

Als Familie mit Gefühlen umgehen

1 Thematisieren Sie als Eltern ihre eigenen Gefühle

So lernen Kinder, Gefühle zu erkennen und sie sehen, dass es verschiedene Wege gibt, mit ihnen umzugehen. «Erzählen Sie Ihrem Kind zum Beispiel, wenn Sie wütend sind, weil Sie eine negative E-Mail bekommen haben», empfiehlt Ina Blanc. «Sagen Sie, dass Sie sich deshalb jetzt erst einmal einen Tee machen oder ans Fenster gehen wollen, um sich wieder zu beruhigen.»

Es sei ein Problem, dass Erwachsene ihre Strategien im Umgang mit Gefühlen oft nicht mit ihren Kindern teilen. Tun sie es doch, erfahren Kinder, dass Erwachsene auch Gefühle haben. Gemeinsam können Eltern und Kinder dann auch darüber reden, wie das Kind mit Wut oder anderen Gefühlen umgehen könnte.

2 Gefühls-Spiel

Machen Sie ein lustiges Spiel rund um Gefühle, zum Beispiel auf langen Autofahrten: «Ein Kind überlegt sich ein Gefühl, zum Beispiel Angst, und die anderen fragen: Was wäre dein Gefühl als Landschaft? Oder als Nahrung, Farbe und so weiter», erklärt Ina Blanc. Die Familienmitglieder raten, welches Gefühl das Kind gewählt hat. «Für die Kinder ist es lustig», sagt Ina Blanc. «Und wenn immer mal jemand anderes ein Gefühl beschreibt, merken sie auch, dass die Mutter oder der Vater zum Beispiel die Angst ganz anders erleben.»

3 Anzeichen für einen Wutanfall ergründen

Ergründen Sie mit Ihrem Kind die Anzeichen für einen Wutanfall. «Wenn ich mit Kindern arbeite, die extreme Wutausbrüche haben, spreche ich mit ihnen über Vulkane», erklärt Ina Blanc. «Ich frage sie, was passiert denn beim Vulkan, bevor er ausbricht? An was könnte man merken, dass es bald zur Eruption kommt?» Dann zeichnet sie mit den Kindern eine Grafik mit vielen kleinen und grossen Höckern, die Erdbeben, Wärme, Rauch und so weiter symbolisieren – und auf den Punkt zulaufen, an dem es kein Zurück mehr gibt, an dem der Vulkan ausbricht.

«Und dann malen wir ihren Vulkan, den Wutausbruch mit den körperlichen Vorzeichen», erklärt die Kinderpsychologin. Vor dem Ausbruch fühlen die Kinder vielleicht, wie sich ihr Magen anspannt, wie sie beginnen zu schwitzen oder wie sich ihre Stimme verändert. Wenn sich die Kinder den körperlichen Veränderungen bewusst werden, gibt es Strategien, um mit diesen ersten Vorzeichen umzugehen und den Ausbruch zu verhindern. Wichtig ist, dass Kinder dann wissen, was ihnen gut tut und sie beruhigt. Manche Kinder wollen eine heisse Schokolade trinken, andere mit dem Mami kuscheln oder ihre Lieblingsgeschichte hören. «Diese Erkenntnis ist wichtig fürs ganze Leben», sagt Ina Blanc. «Der Körper spricht oft schon früh zu uns.»

4 Richten Sie eine Wutecke für den Ernstfall ein

Diese Ecke kann ganz individuell ausfallen. Nehmen Sie zum Beispiel einen grossen Malblock und Ölkreiden. Wer wütend ist, darf die Wut dort in Farbe verwandeln und ein Wutbild malen. Auch ein Boxsack kann zum Frustabbau beitragen. Es sollte ein Ort sein, an dem man die Wut einfach rauslassen darf. Denn, so Ina Blanc: «Jedes Gefühl ist okay. Es soll aber seinen Platz, seinen Ort und seine Zeit haben.»

Wenn der Schuh sich verdreht hat und das Kind tobt – richtig reagieren

Und was ist, wenn man sich mittendrin befindet, im Wutausbruch? Wenn das Kind schreit und tobt und um sich schlägt, weil sich der Schuh verdreht hat und der Fuss nicht hineinpasst? «In den Ausbrüchen selbst empfiehlt es sich für Erwachsene ruhig und klar zu bleiben und nicht zu versuchen, die Situation zu klären, bevor das Kind sich wieder beruhigt hat. Man kann auf eingeübte Regeln zurückgreifen, wie zum Beispiel die Wutecke und es gebe No-Go-Regeln, die man auch vorher definieren kann. Zum Beispiel: Schlagen ist auch im Wutausbruch verboten. Allgemein sollten Erwachsene dem unerwünschten Verhalten des Kindes so wenig Aufmerksamkeit als möglich schenken, damit dieses nicht verstärkt wird», sagt Ina Blanc.

Wutausbrüche und Entwicklungspsychologie

Ab dem Alter von sechs Monaten lernen Kinder laut der Kinderpsychologin Ina Blanc, ihre Emotionen selbst zu regulieren. Dieser Übergang von Fremd- zu Selbstregulation nimmt mit der Reifung des Gehirns und dem Erlernen von Sprache und Strategien im Umgang mit Gefühlen fortwährend zu. Am Anfang seien die Kinder von der Wucht der Gefühle noch überwältigt.

Nehmen wir das Beispiel der Zweieinhalbjährigen, die einen Wutausbruch bekommt, weil der Fuss nicht in den verdrehten Schuh passt: «Wutausbrüche haben oft mit Lernprozessen der Kinder zu tun», sagt Ina Blanc. «Das Kind hat gelernt, wie es die Schuhe selber anziehen kann und war stolz. Doch dann geschieht etwas, das es nicht in diesen Prozess einbezogen hatte, es klappt nicht mehr und die Frustration ist riesig.»

Welche Faktoren den Gefühlsausdruck beeinflussen

Dass es nach solchen Entwicklungsschritten zu Wutausbrüchen kommt, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, sei normal. Zwei Punkte machen dem Kind in dieser Situation zu schaffen: Es kann bereits Gelerntes aus irgendeinem Grund doch nicht bewältigen – und es ist noch nicht gewohnt, mit den vielen Emotionen umzugehen, die darauffolgen. «Es wird mit den Jahren immer besser», sagt Ina Blanc. Charakter, soziale Kompetenz, kulturelle Normen und der Erziehungsstil der Eltern seien wichtige zusätzliche Faktoren, die den Gefühlsausdruck beeinflussen.

Impulsivität kann der Kinderpsychologin zufolge bis ins Jugendalter auftreten. Denn: «Der präfrontale Kortex, unsere Kontrollinstanz im Gehirn, reift erst zum Ende der Teenager-Zeit aus», sagt Ina Blanc. «Deshalb scheint es bei Teenagern manchmal, als sei diese Kontrollinstanz in den Ferien und die Jugendlichen verhalten sich sehr impulsiv. Da kann man auch mal ein Auge zudrücken.»

Ina Blanc gibt Tipps, wie Eltern mit den Ängsten ihrer Kinder umgehen können.

Ina Blanc ist Psychologin am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie der Uni Basel und ist dort Leiterin der Weiterbildungen in Kinder- und Jugendpsychologie.

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