Partizipation: Kinder sollten mehr mitreden dürfen
Kinder müssen sich häufig anhören, was sie zu tun und zu lassen haben. Einwände werden oft als «Widerworte» abgetan. Doch Kinder sind keine Befehlsempfänger. Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention sichert ihnen das Recht auf Partizipation zu. Wie Eltern den Nachwuchs unterstützen können, dieses Recht wahrzunehmen.
Kinder sind klein und schutzbedürftig. Je jünger sie sind, umso mehr Fürsorge benötigen sie. Eltern, Erzieher und Lehrer müssen viele Entscheidungen für sie treffen, bis Kinder einmal alt genug sind, selbstverantwortlich zu handeln. Dennoch: Erwachsene müssen sie auch anhören und mitwirken lassen.
Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention spricht jedem Kind das Recht auf Partizipation zu, also das Recht, seine Meinung, Fragen sowie Entscheidungen, die seine Person betreffen, frei zu äussern. «Die Sicht des Kindes muss grundsätzlich überall dort mitberücksichtigt werden, wo es direkt betroffen ist – sei es in der Familie, im schulischen Umfeld, bei der Gestaltung von Schulwegen und Spielräumen, aber auch bei der Ausarbeitung von Gesetzen und in Kinderschutzfällen», so das Kinderhilfswerk UNICEF Schweiz. Eltern können viel dafür tun, dass Kinder in der Gesellschaft mitwirken können.
Recht auf Partizipation
«Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äussern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.»
Das besagt Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention, die in der Schweiz seit 1997 in der verbindlich ist.
Partizipation zu Hause
Viele Eltern räumen ihren Kindern reichlich Möglichkeiten zur Mitwirkung ein, wenn es um Fragen geht, die vor allem das jeweilige Kind betreffen. Anders ist es bei Themen, die auch die Erwachsenen angehen. «Für Themen wie «Ferienziel» oder «Haustiere», die für die ganze Familie bedeutsam sind, wird weniger Partizipation gewährt», berichtet das Kinderhilfswerk UNICEF Schweiz in einer Pressemitteilung.
Das können Eltern tun
Partizipation tut gut. Entscheidungen, die von allen zusammen getroffen werden, werden auch von allen getragen. Sicher, je jünger die Kinder, um so mehr überfordert sie mit zu viel Freiraum. Doch Eltern kennen die Bedürfnisse ihrer Kinder und können sie entsprechend berücksichtigen. Es ist sinnvoll, Kindern Wahlmöglichkeiten zu geben. «Möchtest du morgen lieber Knöpfli oder Kartoffelstock essen?» oder «Entweder du gehst jetzt direkt ins Bett und ich lese dir dort noch etwas vor oder du putzt dir schon mal die Zähne und darfst dann noch eine Viertelstunde aufbleiben.» Auch beim Ferienziel können Eltern nachhaken: «Welche Ferien findest du schöner, Ferien, in denen du am Wasser spielen kannst, oder Ferien, in denen du im Schnee herumtollst und Skifahren lernst?»
Partizipation in der Schule
Fremdbestimmung in der Schule ist nach wie vor gängig. «In der Schule sehen Kinder und Jugendlichen nur wenig Gestaltungsspielraum und erleben primär die Erwachsenen als Entscheidungsinstanzen», so die Studie «Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz» der Universität Zürich im Auftrag von UNICEF Schweiz. Zwar bemühen sich Schulen darum, Schüler neben Klassenrat und Schulparlament an Entscheidungen mitwirken zu lassen, doch oft nur im Rahmen von besonderen Projekten. Kinder und Jugendliche durchschauen diese begrenzte Mitwirkung leicht als «Mogelpackung», die langfristig demotiviert.
Das können Eltern tun
Konzepte zur Partizipation von Kindern in der Schule gibt es reichlich. Doch oft hapert es an der Umsetzung im Schulalltag. Eltern können in Schulgremien wie im Elternrat, im Elternforum, in Jahrgangselterngruppen oder Arbeitsgruppen für mehr Partizipation ihrer Kinder werben, damit sie auch in der Schule Demokratie erleben und lernen.
Partizipation in der Gemeinde
Zwar können Kinder und Jugendliche innerhalb der Gemeinde mehr mitwirken als noch vor zehn Jahren, doch insgesamt immer noch relativ wenig. «Bei Weitem nicht in allen Gemeinden ist die Partizipation von Kindern und Jugendlichen strukturell verankert und Partizipation findet häufig vor allem in Form von pädagogisch angeleiteten Projekten statt», schlussfolgert die Universität Zürich.
Das können Eltern tun
Sinnvoll ist es, sich zu erkundigen, welche Möglichkeiten der Partizipation Kinder in der Gemeinde haben. Es gibt Beispiele, die Mut machen. So können Kinder im sogenannten Kinderbüro der Stadt Basel ihre Ideen für ein kinderfreundliches Basel einbringen. Im Rahmen von Projektgruppen arbeiten sie Verbesserungsvorschläge aus, die sie nach einigen Monaten Vertretern aus der Politik und der Verwaltung und der Öffentlichkeit vorstellen. Der Regierungsrat und die Verwaltung verpflichten sich, die Anliegen der Kinder zu prüfen. Danach erhalten die Kinder vom Regierungsrat eine Rückmeldung: Können die Ideen umgesetzt werden? Wenn ja, in welchen Schritten? Wenn nein, warum nicht?
UNICEF zeichnet übrigens kinderfreundliche Gemeinden aus. Mehr über die kinderfreundliche Gemeinde Fehraltorf.
Dieses «SRF Clip und klar!»-Erklärvideo zeigt, was die UN-Kinderrechtskonvention beinhaltet und warum sie so wichtig ist.
Partizipation im Spital
Im Spital gilt es, vernünftige Entscheidungen zu treffen, die aus medizinischer Sicht notwendig sind. Schnell fühlen sich Kinder im Spital Erwachsenen wie Pflegern und Ärzten ausgeliefert. Kindern ist vor allem wichtig, Mama oder Papa möglichst rund um die Uhr bei sich zu wissen. Dafür, dass diese Stimme gehört wird, setzt sich der Verein «Kind+Spital» ein. Zum Glück gibt es heute viele Bestrebungen, Eltern und Kinder möglichst umfassend in den Pflegealltag einzubeziehen.
Das können Eltern tun
«Es ist eine permanente Aufgabe, immer neue junge Eltern darauf aufmerksam zu machen, wie wichtig es für sie selbst ist, sich mit dem Thema Krankheit und Spital auseinanderzusetzen», so der Verein «Kind+Spital». Sinnvoll ist es, dass Eltern ihre Kinder auch dann gut auf den Spitalaufenthalt vorbereiten, wenn er nicht konkret geplant ist. 60 Prozent der kleinen Patienten kommen als Notfall ins Spital. Bilderbücher oder Sachbücher stellen Abläufe im Spital kindgerecht dar.
Mitwirkung bei Scheidungen
Wenn Eltern sich scheiden lassen wollen, haben Kinder oft ein Gefühl, als breche der Boden unter ihren Füssen weg. Besonders gross wird der Leidensdruck, wenn die Eltern sich gegenseitig schlecht machen. Kinder wissen in der Regel gut, was ihnen helfen würde. Zwar haben sie das Recht zur Partizipation, doch wird es ihnen noch zu selten zugestanden. «Lediglich jedes zehnte Kind wird im Scheidungsfall von einem Richter angehört», so Katrin Piazza vom Kinderhilfswerk UNICEF.
Das können Eltern tun
Doch Kinder anzuhören ist wichtig. Zum einen hilft es ihnen, sich nicht passiv der Situation ausgeliefert zu fühlen. Zum anderen können sie tatsächlich im Rahmen einer Anhörung die Scheidung in ihrem Sinn beeinflussen. So können sie sagen, wie sie wohnen und wie viel Zeit sie mit Mama oder Papa verbringen möchten. «Die Eltern sollen die Kinder über ihre Rechte aufklären», sagt Katrin Piazza in einem Interview zur Anhörung von Kindern bei Scheidungen.
Partizipation: Es gibt noch viel zu tun
Es gibt noch viel zu tun, damit Kinder in den verschiedenen Bereichen des Lebens gut mitwirken können. «Kinder müssen erleben, dass sie durch ihr Handeln und Tun eine Wirkung erzeugen können», so Elsbeth Müller, ehemalige Geschäftsleiterin von UNICEF Schweiz. «Dazu braucht es die entsprechende Haltung und Geduld der beteiligten Erwachsenen.» Wichtig sei auch, betont sie, dass Kinder und Jugendliche sich auf einfachem, unbürokratischem Weg «Gehör verschaffen und ihre Anliegen und Ideen diskutieren und in altersgerechten Formen darüber verhandeln können.» Ist das nicht der Fall, scheint die Motivation zur Mitwirkung abzunehmen. Denn auch das ist ein Ergebnis der Studie «Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz»: Je älter ein Kind wird, desto weniger partizipiert es in Schule und Gemeinde.