«Kinder sollten in der Schule programmieren lernen»
Im neuen Buch «Globi und die verrückte Maschine» erkundet der berühmte blaue Papagei gemeinsam mit einer Professorin die ETH. Sarah Springman, Rektorin der technischen Hochschule, erklärt, warum das Frau-Sein in einer Männerdomäne ein Vorteil ist und warum sie zwei Heiratsanträge abgelehnt hat.
Wie sehr ist «Globi und die Maschine» ein politisches Buch?
Das ist eine interessante Frage. Wenn man es vom Standpunkt anschaut, dass wir Kinder und vor allem die Mädchen für die MINT-Fächer ( Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anm. der Red.) begeistern wollen, dann ist das Buch schon ein bisschen politisch. Wir versuchten, gemeinsam mit dem Globi-Verlag, eine Geschichte rund um die ETH zu erzählen, die sowohl für Buben wie auch für Mädchen interessant ist.
Im Buch kommt sehr prominent die ETH Kinderkrippe vor und, wie Sie schon sagten, ist die Heldin des Buches eine Frau – wenn man an die Themen Gleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie denkt, sind dies sehr stark politische Themen.
Das sind Themen, die natürlich auch real an der ETH eine grosse Rolle spielen. Wir haben mehrere Kinderkrippen und wir haben eine Reihe von ausgezeichneten Forscherinnen und Professorinnen. Kinder interessieren sich oft stark für andere Kinder. Kinder, die das Buch lesen, sehen, dass andere Kinder zum Alltag der ETH gehören – hier betreut werden und spielen. Das wird sie vermutlich überraschen. Die ETH ist ein grosses Haus und beinhaltet nicht nur Lehre und Spitzenforschung – es gibt zum Beispiel auch eine breite Auswahl an Sporttrainings hier.
«Kinder wird es vermutlich überraschen, dass an der ETH andere Kinder spielen»
Besuchen Sie selbst das berühmte Superkondi, das im Globi-Buch vorkommt?
Ja, manchmal schon. Ich war diese Woche im Krafttraining oder mache manchmal TRX-Training – ich muss ja in Form bleiben. (lacht)
Wollten Sie den Kindern mit Kinderkrippe & Co. «en passant» ein gewisses Bild vermitteln?
Ich finde es spannend zu sehen, wie viel sich verändert hat, seit ich hier nach Zürich gekommen bin. Ich bin heute Vize-Präsidentin des Vereins Kihz, der Stiftung zur Kinderbetreuung im Hochschulraum Zürich. Früher gab es eine riesige Differenz zwischen Bedarf an Kinderbetreuung und Angebot. Heute nähern sich Angebot und Nachfrage langsam aneinander an.
Zum Buch
Im 87. Band «Globi und die verrückte Maschine» geht der berühmte blaue Papagei durch Zürich. Eigentlich will er wandern gehen, da verliert eine Frau, die vor ihm über den Fussgängerstreifen geht, ihr Portemonnaie. Globi eilt der jungen Frau hinterher und erreicht sie an der ETH wieder. Zum Dank nimmt Professorin Pauline Schrödinger den ehrlichen Finder auf eine Führung mit durch die ETH. In ihrem Labor will sie Globi ihr neustes Forschungsobjekt zeigen: eine aussergewöhnliche Maschine, mit der man Gegenstände schrumpfen kann.
Doch in dem Moment, als Pauline die Maschine Globi zeigen will, drückt die Katze auf einen Knopf – und Globi und die Forscherin sind plötzlich nur noch einen Zentimeter gross. So begeben sich die beiden auf eine abenteuerliche Reise über den ETH-Campus...
Die Geschichten spielen alle in und um die ETH, und so nimmt Globi die Kinder auf ganz fantastische Weise mit in ein durchaus reales Thema. Das Buch ist in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich entstanden.
Wie sehr liegt Ihnen das Frauenthema in Bezug auf die Forschung am Herzen?
Für mich als Frau ist das Thema sehr wichtig. Ich war eine der ersten Professorinnen hier an der ETH und die erste Professorin für Geotechnik im westlichen Europa. Ich habe meinen weiblichen Studentinnen – und natürlich auch den Studenten – versucht zu, wie spannend dieses Forschungsgebiet ist. Und auch, dass es möglich ist, als Frau in diesem und jedem anderen wissenschaftlichen Bereich Karriere zu machen.
«Die jungen Frauen haben Potential, aber manchmal fehlt ihnen das Selbstbewusstsein»
Was unternimmt die ETH denn diesbezüglich?
Natürlich werden Studentinnen an der ETH unterstützt und gefördert. Das Wichtigste aus meiner Sicht ist aber, dass sie angefangen haben, sich selber zu organisieren. So gibt es zum Beispiel verschiedene Studentinnen-Netzwerke in den Ingenieurswissenschaften. Frauen werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle in der Gesellschaft spielen können. Die jungen Frauen haben Potential, aber manchmal fehlt ihnen das Selbstbewusstsein. Man kann sich das heute vielleicht schwer vorstellen, aber als junges Mädchen war ich auch nicht so selbstbewusst. Das muss man entwickeln. Und dafür braucht es Mentorinnen und Mentoren, die helfen.
Sie sehen sich diesbezüglich also auch in der Verantwortung?
Ja, wir haben eine Verantwortung. Und es wäre nicht gut, wenn wir die Hälfte unserer jungen Leute im Land ignorieren – das wäre nicht intelligent. Denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Teams, die zu etwa gleichen Teilen aus Frauen und Männern bestehen, erfolgreicher sind bei der Lösung von Fragestellungen.
Sie sagen selbst, die Aufteilung sollte etwa fifty-fifty sein. Die Zahlen der ETH zeigen aber, dass lediglich ein Drittel Ihrer Studierenden Frauen sind.
Das ist okay. Man muss sehen, dass wir in Studiengängen wie Biologie, Pharmazie und Gesundheitswissenschaften sogar mehr Frauen als Männer haben. Aber in den Bereichen Maschinenbau und Elektrotechnik ist der Frauenanteil immer noch bei lediglich 10 bis 15 Prozent. Dort hoffen wir, und arbeiten daran, dass diese Zahlen steigen. Als ich vor 20 Jahren an die ETH kam, hatten wir weniger als 10 Prozent Studentinnen. Nun sind es bereits gegen 30 Prozent. Ich will damit sagen: Die Welt verändert sich, doch es braucht seine Zeit.
«Wir wollen neugierige Schlingel und selbstbewusste Draufgängerinnen»
Heben Sie sich denn in Ihrem beruflichen Leben jemals aufgrund Ihres Geschlechts benachteiligt gefühlt?
Manchmal schon ein bisschen. Aber ich habe viel mehr Vorteile gehabt als Nachteile. Die männlichen Kollegen haben durchaus wahrgenommen, dass eine Frau anwesend ist – vor allem eine Frau, die 1,85 Meter gross ist, eine tiefe Stimme hat und die manchmal ein bisschen frech ist. (lacht) Ich bin von der Persönlichkeit her schwierig zu übersehen. Man kann das Frau-Sein so nutzen, dass es für alle zu einer Win-win-Situation wird. Das ist das, was wir an der ETH wollen: Wir wollen neugierige Schlingel wie Globi und selbstbewusste Draufgängerinnen, die unsere Hochschule bereichern!
Sie haben keine Kinder...
...aber ich habe viele Patenkinder...
...gab es denn in Ihrer Karriere irgendwann einen Punkt, an dem Sie sich entscheiden mussten zwischen Karriere oder Familie?
Ja, da gab es schon einige Punkte in meinem Leben, wo ich entscheiden musste. Eine Begebenheit möchte ich Ihnen erzählen, die ich bislang nicht öffentlich erzählt habe: Als ich auf Fidschi gearbeitet habe, habe ich zwei Heiratsanträge von zwei sogenannten Ratus, also Clan-Chefs, erhalten. Diese Männer kannte ich überhaupt nicht, aber scheinbar war ich ein Objekt von Interesse. Und ihre Idee war wahrscheinlich, dass ich arbeite und sie sich ein schönes Leben machen. Das Leben ist interessant! (lacht) Nein, ernsthaft: Ich war offen dafür, eine Familie zu gründen, aber es hat sich bei mir einfach nicht ergeben.
«Heute ist das ganz anders: Viele unserer jungen Professorinnen haben eine Familie»
Ist es denn möglich, eine Hochschulkarriere anzustreben und Familie zu haben?
Die meisten Professorinnen in meinem Alter hatten beruflich Erfolg ohne Kinder. Aber heute ist das ganz anders: Viele unserer jungen Professorinnen haben eine Familie. Am Beginn einer wissenschaftlichen Karriere gibt es nur befristete Stellen, zum Beispiel eine Assistenzprofessur. Es ist mir sehr wichtig, dass wir an der ETH den Assistenzprofessorinnen mit Kindern ein zusätzliches Jahr gewähren. Wir versuchen, junge Mütter so zu unterstützen, dass sie Familie und Karriere einfacher unter einen Hut bringen.
Sie sagten in einem anderen Interview mal, die Kapazität der ETH sei bei 20'000 Studierenden ausgeschöpft. Diese Grenze ist fast erreicht. Warum investieren Sie trotzdem noch Geld in Nachwuchsförderungen, etwa das Globi-Buch?
Wir investierten kein Geld ins Globi-Buch, wir haben dem Verlag lediglich 5000 Bücher abgekauft und ihnen unsere Zeit zur Verfügung gestellt. Es ist nach wie vor so, dass man erklären muss, was die sogenannten MINT-Fächer sind. Globi ist eine super Chance, zu zeigen, was an der ETH passiert. Wir wollen die Kinder für die Wissenschaft im Allgemeinen begeistern, nicht nur für die technische Hochschule – es gibt ja auch noch die Universitäten und Fachhochschulen. Wir versuchen gezielt, die Schweizer Studierenden auf Bachelorstufe besser zu begleiten, damit sie auch den Master an der ETH absolvieren und einige hoffnungsvolle Doktoranden werden. Deshalb möchten wir Kinder ansprechen, welche die intellektuellen Fähigkeiten haben, an der ETH zu studieren.
Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, dass die MINT-Fächer bereits früher in der Schule gelehrt werden?
Ich bin absolut überzeugt, dass Informatik und Programmierung eine Sprache ist, die alle Kinder heute lernen sollten – genau wie Französisch, Deutsch, Italienisch oder Englisch. Ich habe in meiner Schulzeit Latein gelernt und habe es, wie Mathematik, sehr geliebt.
Bedeutet das, dass sich das Schweizer Schulsystem bewegen muss?
Im Lehrplan 21 gibt es bereits solche Möglichkeiten. Die Logik, die man fürs Programmieren braucht, sollte frühzeitig in der Schule vermittelt werden sollte. Die Gesellschaft verändert sich, Informatik und Computertechnik werden künftig wichtiger sein als bis anhin. Unsere Kinder müssen darin ausgebildet sein, damit sie sich den Veränderungen anpassen können. Die Programme ändern sich zwar auch fortwährend, aber was man richtig gelernt hat, vergisst man nicht wieder. Ich habe Fortran77 gelernt, eine Programmiersprache, die 1953 entwickelt wurde. That was an awfully long time ago – es ist sehr lange her, aber ich könnte es heute noch wieder auffrischen.
Zur Person
Sarah Marcella Springman (60) ist seit Januar 2015 Rektorin der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH). Die Engländerin kam 1997 als ordentliche Professorin ans Institut für Geotechnik der ETH Zürich, welches sie von 2001 bis 2005 und von 2009 bis 2011 leitete. Die studierte Bodenmechanikerin (Studium in Cambridge/GB) arbeitete zu Beginn ihrer Berufskarriere als Ingenieurin in der Industrie, wo sie an Projekten in England, auf Fidschi und in Australien tätig war. Neben ihrer Hochschulkarriere war die Wissenschaftlerin lange Jahre im Spitzensport aktiv und war zwischen 1984 bis 1993 als Triathletin sehr erfolgreich (1985 und 1986 wurde sie Europameisterin auf der Triathlon-Langdistanz und 1988 Europameisterin auf der Olympischen Distanz, ausserdem nahm sie fünfmal am Ironman in Hawaii teil, wovon sie den Wettbewerb zwei Mal als Fünfte beendete). Seit 2008 ist sie Mitglied im britischen Olympischen Komitee. Für ihre Verdienste im Sport erhielt sie 1997 den Order of the British Empire für ihre Leistungen für den Sport und 2012 den Order of the British Empire für ihre Leistungen für Triathlon.