Werbung schleicht sich über Lehrmittel in die Schule
Werbung macht Schule. Lehrer können kostenlose Lehrmittel bestellen, die von grossen Konzernen gesponsert werden. Die Inhalte der Arbeitsblätter und Broschüren sind umstritten.
Die Schule ist kein Ort, an dem Schüler vor Werbung verschont bleiben. Grosse Firmen investieren in Lehrmittel, die sie Lehrern zur Verfügung stellen. In diesen finden sich manche Aussagen und Darstellungen, die Schüler positiv bezüglich bestimmter Produktgruppen beeinflussen sollen. «Firmen drängen ins Klassenzimmer», titelte die NZZ schon vor einigen Jahren. Beispiele gibt es massenweise.
Beispiel Swissmilk: Lehrmittel zur Milch
Jahr für Jahr investiert der Milchverband «Swissmilk» laut einem Artikel des «Beobachters» 1,6 Millionen Franken in die Produktion von Lehrmitteln. Diese Broschüren und Arbeitsblätter lassen sich auf den Internet-Seiten von Swissmilk teilweise kostenfrei bestellen, andere werden direkt an Schüler bei der Milchausgabe in Schweizer Schulen verteilt.
Was in den Lehrmitteln steht, liest sich wie ein Werbe-Katalog. «Schwizermilch - Wundermilch», so lautet zum Beispiel gleich der Titel einer solchen Broschüre. Eine Broschüre, die gleichzeitig in einem Marketing-Prospekt mit dem Titel «Marketing-Angebot für aktive Schweizer Milchproduzenten» auftaucht.
Unermüdlich weist Swissmilk in allen Lehrmitteln darauf hin, dass Milchprodukte gesund für Kinder und Erwachsene seien. Das mag in gewisser Weise richtig sein, doch Nachteile wie Unverträglichkeiten oder Kritikpunkte wie das Leid der Milchkühe werden, wenn überhaupt, bei weitem nicht gleichwertig aufgegriffen. Stattdessen versucht der Verband, Milchprodukte möglichst schmackhaft zu machen. «Kindern (und Erwachsenen!) schmeckt aromatisierte Milch oft besser als Milch pur», erfährt, wer «Warum Pausenmilch - Informationen für Eltern und Lehrpersonen» liest. «Wird sie schmackhaft mit verschiedenen Zutaten wie Obst, Beeren, Fruchtjogurt, Sirup, Honig, Gewürzen oder Kakaopulver kombiniert, luftig gemixt und gut gekühlt serviert, verlocken diese Drinks sogar hartnäckige Milchverweigerer zum Genuss.» Und: «Milchausschank vor Ort ist zudem ein sinnliches Erlebnis für die Kinder.»
Viele Unternehmen machen Werbung in der Schule
Swissmilk ist längst nicht das einzige Unternehmen, das in Lehrmittel in Form von Arbeitsblättern, Experimenten, oder Lehrfilmen investiert. Unter dem Namen «Kiknet» stellt die kik AG in Wettingen kostenlos eine üppige Sammlung solcher Lehrmittel Lehrern zur Verfügung, insgesamt 180 Unterrichtseinheiten für die Unter-, Mittel- und Oberstufe, sowie für die Sekundarstufe II. Wenn auch die Materialien laut Kiknet frei von Firmenlogos und expliziten Werbebotschaften sein sollen und Kiknet-Pädagogen das Material erstellen, so haben bei der inhaltlichen Gestaltung Firmen und Organisationen wie Nagra, Swissnuclear, Pharmasuisse, Bayer, Nestlé Thomy, Meteo Schweiz und Fielmann mitgemischt – nicht nur mit ihrem Wissen, sondern auch mit der Finanzierung der Produktion.
Selbstlos ist das Engagement der Unternehmen und Organisationen nicht. «Durch die Unterstützung der Schulen verfolgen die Sponsoren bestimmte Absichten», erklärt die Interkantonale Lehrmittelzentrale in «ilz.focus» (Nr 2, 2014). «Wenn zum Beispiel ein Bundesamt Material zur Verfügung stellt, so möchte es – durch aus in Übereinstimmung mit seinem Auftrag – Einfluss nehmen auf den Unterricht.» Auch hinter dem Material, das von Firmen, Verbänden, Interessenorganisationen usw. aufbereitet und zur Verfügung gestellt wird, steckten bestimmte Absichten; diese lägen im Interesse der betreffenden Organisation oder Firma. «So werden zum Beispiel die Vor- und Nachteile der verschiedenen Energieträger je nach Ausrichtung der Firma bzw. des Verbandes unterschiedlich gewichtet, unter Umständen werden Nachteile und Probleme gezielt ausgeblendet.»
Gesponserte Lehrmittel: Stellungnahme des Dachverbandes
Der Dachverband Schweizer Lehrer und Lehrerinnen (LCH) hat bereits vor einigen Jahren Stellung bezogen. «Gesponserte Lehrmittel müssen fachlich korrekt sein (State of the Art), sie haben in umstrittenen Fragen die wichtigsten kontroversen Standpunkte fair abzubilden und sie dürfen keinerlei Produktewerbung enthalten.» Über die Einhaltung dieser Kriterien wacht jedoch niemand. Während die Lehrmittel-Kommissionen offizielle Lehrmittel überprüft, landen gesponserten Unterlagen unkontrolliert in Klassenzimmern. Letztendlich entscheidet der einzelne Lehrer, ob und welche gesponserten Arbeitsblätter er nutzt. «Eine Lehrperson ist heute dafür ausgebildet, versteckte Werbung zu erkennen», so LCH-Zentralpräsident Beat W. Zemp gegenüber dem Beobachter.
Lehrer müssen kritisch im Umgang mit Lehrmitteln und Werbung in der Schule sein
An «zum Teil simpel aufbereiteten Lehrmitteln aus dem Internet mit zweifelhaften Markenbotschaften nahe an der Werbung» stört sich auch Andreas Hieber, Leiter des Bereichs «Schule» bei der «LerNetz AG - Netzwerk für interaktive Lernmedien». Dennoch glaubt er an die Urteilskraft der Lehrkräfte. «Den meisten Lehrern liegt qualitativ gutes Lehrmaterial am Herzen, sie können Material fachgerecht filtern», sagt er. Er selbst jedenfalls sei noch keinem Lehrer begegnet, der unkritisch Lehrmittel eingesetzt habe. Er plädiert für eine differenzierte Betrachtungsweise: «Es ist wichtig, dass sich Unternehmen und Organisationen in Schulen einbringen. Ohne sie wird zum Beispiel eine Digitalisierung der Schulen nicht zu schaffen sein.» Aber sie müssten sich an Qualitätsgrundsätze halten, wie sie LerNetz schon vor zwölf Jahren bei Gründung der Firma ins Leben gerufen hat: zum Beispiel absolutes Werbeverbot, Transparenz des Absenders und Ausrichtung auf die Lehrpläne.