Präimplantationsdiagnostik: bald Gentests an Embryonen im Reagenzglas
Noch ist die Präimplantationsdiagnostik in der Schweiz verboten. Das soll sich ändern. Das Parlament will Gentests an Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, bereits vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib möglich machen. Doch die Vorlage bleibt umstritten.
Was wird es denn – ein Junge oder ein Mädchen?» - «Egal, Hauptsache, gesund!» so antworten viele Eltern. Schliesslich soll das Kind mit guten gesundheitlichen Voraussetzungen ins Leben starten und später einmal ein eigenständiges Leben führen können. Das aber ist nicht allen Kindern möglich, denn geistige und körperliche Behinderungen führen zu lebenslangen Abhängigkeiten. Frühe Diagnostik kann heute solche Behinderungen erkennen, ist aber nur eingeschränkt erlaubt.
Stichwort: Präimplantationsdiagnostik
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein medizinisches Verfahren, in deren Rahmen nach einer künstlichen Befruchtung Gentests an Embryonen stattfinden, bevor sie in den Mutterleib verpflanzt werden. «Der zentrale Zweck der PID besteht darin sicherzustellen, dass das zukünftige Kind nicht unter einer bestimmten, genetisch bedingten Krankheit leiden wird, deren Veranlagung die Eltern tragen», erklärt das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Betroffene Embryonen werden also ausgesondert.
Präimplantationsdiagnostik in der Schweiz verboten
Präimplantationsdiagnostik ist im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern in der Schweiz verboten. Das Fortpflanzungsmedizingesetz vom 1. Januar 2001 lässt also keine Gentests an Embryonen zu, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind, bevor sie in den Mutterleib eingepflanzt werden. Künftig sollen auch in der Schweiz Gentests schon im Reagenzglas möglich werden. Im Auftrag der Räte hat der Bundesrat einen Entwurf zur Änderung des Fortpflanzungsmedizingesetzes und des Verfassungsartikels 119 erarbeitet.
Chromosomentests als Haupt-Streitpunkt
Welche Gentests dürfen an Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib vorgenommen werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt der Debatte. Dem Entwurf des Bundesrates zufolge sollten nur Paare, bei denen die Gefahr besteht, eine bekannte Erbkrankheit auf ihr Kind zu übertragen, die Möglichkeit erhalten, die Gene der Embryonen auf Defekte zu untersuchen. Nicht vorbelastete Paare dagegen sollten von Gentests keinen Gebrauch machen können. Demnach hätte also keine Möglichkeit bestanden, die Anzahl der Chromosomen zu untersuchen und so spontan auftretende Krankheiten wie Trisomie 21 festzustellen. Zwar sprach sich der Ständerat zunächst ebenfalls für diese Haltung aus. Doch nachdem der Nationalrat für die Zulassung solcher Chromosomentests (Aneuploidie-Screenings) stimmte, schwenkte auch der Ständerat im September 2014 während seiner zweiten Beratung des Fortpflanzungsmedizingesetzes mit 27 zu 18 Stimmen um.
Präimplantationsdiagnostik: Argumente für Chromosomentests
Paare, die auf natürlichem Weg kein Kind zeugen können, setzen grosse Hoffnung in die künstliche Befruchtung, argumentieren die Befürworter von Chromosomentests. Ihr unerfüllter Kinderwunsch belastet sie nicht nur psychisch, sie leiden auch unter den Prozeduren, die zur künstlichen Befruchtung im Labor gehören. Verständlich ist, dass sie sich nach solchen Strapazen Embryonen wünschen, die sich in der Gebärmutterschleimhaut einnisten. Gesunde Embryonen haben dazu die besten Chancen. Darüber hinaus erhöhen sie die Wahrscheinlichkeit auf eine Schwangerschaft ohne Komplikationen. Chromosomentests im Rahmen der Präimplantationsdiagnostik könnten Embryonen mit Chromosomenstörungen herausfiltern.
Darüber hinaus verhindert das Chromosomen-Screening, dass es zu einer Schwangerschaft kommt, die später wieder abgebrochen wird. Denn die Chromosomentests, die am Embryo vor der Schwangerschaft verboten sind, sind während der Schwangerschaft erlaubt. Wird dann in der 10., 11. oder 12. Woche eine Chromosomenstörung wie Trisomie 21 entdeckt, ist eine Abtreibung oft die Folge. «Schwangerschaft auf Probe», bezeichnete das die Baselerin Anita Fetz (SP) während der Diskussion im Ständerat.
Kommissionssprecher Felix Gutzwiller (FDP/ZH) nennt einen dritten Grund: «Die Zulassung von Chromosomentests kann verhindern, dass viele Paare für medizinisch unterstützte Fortpflanzung ins Ausland ausweichen». Denn im Gegensatz zur Schweiz ist die Präimplantationsdiagnostik in den meisten europäischen Ländern erlaubt. «Reproduktionsmedizin-Tourismus», wird das genannt.
Präimplantationsdiagnostik: Was gegen Chromosomentests spricht
Haben Menschen das Recht, Embryonen mit genetischen Defekten auszusondern? Und wenn ja, bei welchen genetischen Defekten? Wer bestimmt, welches Leben lebenswert ist und welches nicht? Darf man menschliches Leben aussondern? Diese Frage beschäftigt die Gegner der Präimplantationsdiagnostik aus fundamentalistischen katholischen und protestantischen Kreisen, aus Behindertenorganisationen, aus Reihen von Sozialdemokraten, Grünen, CVP und EVP. Sie wollen grösstenteils die Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik nur jenen Paaren nutzbar machen, die eine Veranlagung für schwere Erbkrankheiten haben, zum Beispiel für die Stoffwechselstörung «Zystische Fibrose» oder «Muskelschwund». Unter den 6‘000 Paaren, die pro Jahr die künstliche Befruchtung nutzen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, sind etwa 50 bis 100 Paare, bei denen solche Erbkrankheiten bekannt sind.
Die Sorge ist gross, dass in Zukunft erlaubt wird, gesunde Embryonen zu töten, weil Eltern das Geschlecht, die Augenfarbe oder andere Merkmale ihres künftigen Babys nicht gut finden. «Wie lange wird es wohl dauern, bis es ein schönes und intelligentes Kind sein muss, wenn heute schon der Anspruch auf ein gesundes Kind verbreitet ist?» fragte der Berner BDP-Vertreter Werner Luginbühl laut NZZ. Die genetischen Untersuchungen könnten zu einer Auslese nach bestimmten Kriterien führen, warnte auch Gesundheitsminister Alain Berset im Ständerat. «Es ist Zeit, die Notbremse zu ziehen», sagte Peter Föhn (SVP/SZ). «Es darf nie zu einer Selektion von menschlichem Leben kommen.»
Auch die Vereinigung der Elternvereine für Menschen mit einer geistigen Behinderung «insieme» hegt grosse Bedenken gegenüber der Präimplantationsdiagnostik. «Es ist anzunehmen, dass sich die Methoden der künstlichen Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik stetig verbessern werden», argumentiert die Vereinigung. Die Gefahr, dass sich der Anwendungsbereich der präimplantativen Untersuchung ausweite, sei gross: Je exakter und erfolgreicher desto interessanter werde sie für weitere Anwendungsbereiche. Etwa nach der erfolgreichen Befruchtung eines älteren Paares, das sich noch ein Kind wünscht – wenn möglich ohne Trisomie.»
Volksabstimmung notwendig
Noch ist das Gesetz nicht in Kraft. Der Nationalrat muss in der Wintersession u.a. noch einmal über die Anzahl der Embryonen beraten, die pro Paar während eines Behandlungszyklusses befruchtet werden dürfen. Derzeit erlaubt das Gesetz nur, drei Eizellen befruchten und dann in die Gebärmutter einsetzen zu lassen. Weil die Zahl der künstlich befruchteten Embryonen erhöht und auch erlaubt werden soll, sie für einen weiteren Einpflanzungsversuch einzufrieren, ist allerdings eine Änderung von Artikel 119 der Bundesverfassung über Fortpflanzungsmedizin und Gentechnologie im Humanbereich nötig. Letztendlich entscheidet daher das Volk.
Weiterführende Links zur Präimplantationsdiagnostik
- BAG: Zulassung und Regelung der Präimplantationsdiagnostik : www.bag.admin.ch
- 19 Organisationen gegen Chromosomenscreening: www.insieme.ch