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Wie Sie dem Beziehungskiller Stress begegnen können

Stress zerstört Partnerschaften schleichend. Viel zu lang bleibt er als Problem unerkannt, bis es zu spät ist. Der renommierte Schweizer Paarforscher und Paartherapeut Guy Bodenmann erklärt, wie Sie den Beziehungskiller enttarnen.

Stress kann ein Beziehungskiller sein
Wer viel Stress im Alltag hat, nimmt oft die Bedürfnisse des Partners nicht mehr wahr. (Bild: Wavebreak Media, Thinkstock)

«Bevor der Stress uns scheidet», heisst eines Ihrer Bücher. Gilt der jahrhunderte alte Spruch «Bis dass der Tod euch scheidet» heute nicht mehr?

Guy Bodenmann: Unsere Studienergebnisse und meine Berufserfahrungen in der Paartherapie zeigen, dass viele Paarbeziehungen an chronischem Alltagsstress zerbrechen. Stress zerfrisst Partnerschaften schleichend und lange Zeit unbemerkt – oft, bis es zu spät ist. In vielen Fällen sind Trennung und Scheidung die Folge. Häufig sind es die unscheinbaren, täglichen Widrigkeiten, die Partnerschaften am meisten bedrohen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Den Bus verpassen, in der Warteschlange stehen, etwas Wichtiges vergessen, Konflikte mit Nachbarn, Freunden oder Mitarbeitenden, Kritik des Vorgesetzten, …

Lösen grössere Probleme wie Arbeitslosigkeit, Jobsuche und Krankheit nicht viel mehr Stress aus?

Ja, aber solche einschneidenden kritischen Lebensereignisse führen häufiger zu einem stärkeren Zusammenrücken der Partner. Man nimmt am Leiden des anderen Anteil, versucht, ihn zu verstehen und zu unterstützen. Beim Alltagsstress ist das anders. Hier ist man mit seinem Erlebten allein. Die Umwelt kann nicht nachvollziehen, warum man wegen einer Bagatelle so gestresst reagiert. Alltägliche Widrigkeiten belasten Partnerschaften deshalb stärker und nachhaltiger.

Warum kann ein verpasster Bus zu einem Beziehungskiller werden?

Wer unter Stress steht, pflegt die Liebe nicht mehr oder nur noch oberflächlich, ohne Inspiration und sinnentleert. Unter Stress hat man keinen Sinn für die Pflege, die Zeit raubt und einen beansprucht. Man möchte seine Energie und Kräfte anders nutzen, besonders dann, wenn man gar nicht realisiert, wie zerbrechlich die Liebe ist und wie viel Zeit und Fürsorge sie benötigt. So macht Stress selbstbezogen, rücksichtslos und intolerant. Darüber hinaus macht die Belastung gereizt und verschlossen und ist ein Lustkiller! So wird der Stress des einen auch immer zum Stress des anderen und zerstört auf diese Weise die Liebe und die Partnerschaft.

Ist jeder von Stress betroffen?

Hektik kennzeichnet das Leben westlich-zivilisierter Gesellschaften in hohem Masse. Die hohe Mobilität unserer Gesellschaft, die Beschleunigung des Arbeitsrhythmus und zunehmende Mehrfachbelastungen bewirken eine stetige Beschleunigung des Lebensrhythmus. Davon ist jeder betroffen. Paare mit Kindern leiden besonders stark unter der negativen Wirkung von Stress auf ihre Beziehung, weil sie besonders wenig Zeit für den Partner haben.

Zur Person

Der renommierte Schweizer Paarforscher und Paartherapeut Guy Bodenmann

Der renommierte Paarforscher Guy Bodenmann ist Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich. Als Paartherapeut hat er mit «Paarlife» einen Kurs zur Pflege der Partnerschaft entwickelt.

Mehr zur PaarLife-Methode finden Sie hier.

Es wäre also gut, wenn sich Stress vermeiden liesse?

Ein Grossteil der Belastungen lässt sich durchaus vermeiden - durch einen achtsamen Umgang mit sich selbst. Es macht Sinn, die eigenen Erwartungen an sich selbst und andere zu überdenken. Denn rigide Normen wie «Die Wohnung muss immer sauber und aufgeräumt sein», «Zwei Mal Urlaub im Jahr – das muss drin sein» oder «Ich möchte stets von allen geliebt werden» sind häufige Quellen von Stress.

Erwartungen werden auch von aussen an uns herangetragen …

Durchaus! Sehr wichtig ist es deshalb, zu überlegen, was einem selbst wichtig ist, und eigene Bedürfnisse zu spüren. Wer weiss, was er will und den Weg zum Ziel vor sich sieht, kann eher Nein sagen und Grenzen setzen. Darüber hinaus gilt es, den Alltag gut zu organisieren und genügend Zeitpuffer einzuplanen. Wer bevorstehende Herausforderungen gedanklich durchspielt, kann vielleicht rechtzeitig Hindernisse erkennen und Vorkehrungen treffen.

Was kann ich tun, um Stress im Alltag zu reduzieren?

Eine Stress auslösende Situation wird in der Regel als bedrohlich, schädigend oder verlustreich empfunden. Doch ist sie das wirklich? Das gilt es zu prüfen. Sinnvoll ist es, zu handeln, wenn eine schwierige Situation kontrollierbar ist, aber passiv zu bleiben, wenn sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit von selbst zum Guten wenden wird. Ist sie dagegen ungewiss, kann die gezielte Suche nach Informationen zur Klärung beitragen. Manchmal ist eine Stress auslösende Situation allerdings weder kontrollierbar noch verspricht sie Situationsglück. Dann bleibt nichts anderes übrig, als sie hinzunehmen wie sie ist und sich ins Schicksal zu fügen. Dabei hilft es, zu versuchen, der Situation einen Sinn abzugewinnen. Eine Entspannungsmethode fährt das Adrenalin herunter, ein Schuss Humor nimmt ihr darüber hinaus die Schärfe.

Sicher bleibt noch genug Stress übrig, mit dem das Paar gemeinsam umgehen muss.

Nicht immer wird man mit dem eigenen Stress ausreichend gut fertig. Vielleicht kann der Partner helfen? Ich empfehle, zu erklären, was innerlich abgelaufen ist, was so schlimm an der Situation war, welche Bedeutung die Situation persönlich hat, und dabei auch dem Partner die Gefühle zu schildern.

Was lässt sich für den gestressten Partner tun?

Gut zuhören, versuchen, nachzuvollziehen, was man hört, und darauf verständnisvoll eingehen. Das heisst zum Beispiel: Unterstützung anbieten, sich solidarisieren, helfen, die Situation umzudeuten, gemeinsam entspannen. Sagen Sie Ihrem Partner, wenn Sie finden, dass er gut mit der Situation umgegangen ist, vermitteln Sie ihm Hoffnung und Zuversicht. All das gehört zur emotionalen Unterstützung. Erst danach macht es Sinn, auch problembezogene Tipps zu geben.

Was, wenn der Stress beide betrifft?

Alltagsstress, der beide betrifft, zum Beispiel ein Kind mit Schulschwierigkeiten, lärmige Nachbarn oder ein finanzieller Engpass, sollte gemeinsam bewältigt werden. Was unter den Teppich gekehrt wird, löst sich nicht von alleine. Erst einmal ist es wichtig, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Wenn sich einer der Partner überlastet fühlt, sollte er dazu stehen. Er kann den anderen Partner fragen, ob er bereit wäre, einzelne Aufgaben und Tätigkeiten von ihm vorübergehend zu übernehmen, um ihn zu entlasten. Doch unterm Strich sollte ein Paar die Waagschalen von Geben und Nehmen in ihrer Partnerschaft im Lot halten. Die Investitionen, vor allem emotionale Investitionen, sollten ausgeglichen sein.

Buchtipp

Buchcover «Bevor der Stress uns scheidet»

«Bevor der Stress uns scheidet», Guy Bodenmann, Hogrefe Verlag Bern, EAN-Code 9783456956138.

Rund die Hälfte aller Ehen gehen heute nach wenigen Jahren wieder auseinander. Im statistischen Durchschnitt nach 14 Ehejahren. Meist spielen viele Faktoren eine Rolle, die schliesslich für eine Scheidung verantwortlich sind. Dennoch zeigen viele Studien, dass Stress eine herausragende Rolle spielt. Guy Bodenmann bietet in seinem Buch konkrete Hilfestellungen für Paare.

Erstellt im Juni 2015, aktualisiert im Oktober 2017

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