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Märchen braucht das Kind. Und jeder andere auch!

Märchen lassen keinen kalt. Für die einen sind sie ein heiliger Gral, in Stein gemeisseltes Kulturgut. Für die anderen Grundlage für psychologische Analysen und für wieder andere veraltet oder – besonders für Teenager – ein Bubi-Seich. Kindergartenzeug halt. Für unsere Gastautorin Andrea Fischer Schulthess sind Märchen wunderbares Rohmaterial für pralle Geschichten aus dem Leben.

Märchen sind für Kinder heue immer noch sehr wichtig.
Märchen weitererzählen heisst auch, sie in die heutige Zeit zu übersetzen. Bild: iStock

Ein Plädoyer von Andrea Fischer Schulthess

Egal wie wir sie sehen und sehen wollen: Märchen sind Teil unseres Lebens. Sie sind der Stoff, aus dem Bücher und Filme gewoben sind. Oder, wie ich es den Schülerinnen und Schülern jeweils erkläre: Aus ein paar einfachen Zutaten wie Mehl, Zucker, Salz, Eier, Butter, Wasser und Milch kann man schier Unzähliges backen – Brezeln, Brote, Kekse, Omelette und so weiter und so fort. Und so ist es auch mit den Elementen in den Märchen. Sie spiegeln wider, womit wir uns täglich herumschlagen: mit ungerechten Mächtigen, mit Hoffnung, Entwicklung, Liebe, Magie oder der Sehnsucht nach einer geordneten Welt.

Bild: zVg

Zur Autorin

Andrea Fischer Schulthess ist Journalistin, Autorin und Geschichtenerzählerin. Mit Tochter, Sohn und Mann Adrian Schulthess lebt sie in Zürich. Sie gehört zur Stammbesetzung des Märchen- und Geschichtenfestivals «Klapperlapapp».

Märchen befriedigen unsere Sehnsucht nach verlässlichen Mustern, nach Dreifaltigkeit, nach Sühne und Lohn. Daher haben diese Ur-Geschichten einen ganz wichtigen Platz in der Erziehung ebenso wie in der Unterhaltung um der Unterhaltung willen.

«Es ist beispielsweise wichtig, dass das Böse auch wirklich erledigt wird.»

Ich selbst bin überzeugt, dass man getrost recht wild und frei mit Märchen umgehen darf. Ihr Grundmuster durch ausgearbeitete Charaktere und Situationskomik beleben, sie wo nötig der Zeit anpassen, das mündliche Überliefern also quasi mitgestalten und weiterentwickeln. Oft erlebe ich, dass Kinder sich in den Geschichten wiedererkennen, sich mit den Figuren identifizieren, die Genugtuung schlichter, sprichwörtlich märchenhafter Gerechtigkeit geniessen. Und zwar auch jene, die beim Gedanken an Märchen noch eine halbe Stunde zuvor die Nase gerümpft hatten.

Allerdings gibt es bei aller Freiheit ein paar Regeln. Es ist beispielsweise wichtig, dass das Böse auch wirklich erledigt wird. Dass die Hexe nicht einfach ins Gefängnis kommt, wo sie weiterlebt und als Bedrohung für die Kinder latent bestehen bleibt. Das ist zwar gut gemeint, aber diese neuen Interpretationen unterschätzen die Kinder und ihren Wunsch nach klaren Verhältnissen, wie sie Märchen typischerweise gewähren.

«Prinzessinnen kann man eine eigene Meinung gestatten, wenn sie so mir nichts dir nichts ungefragt verheiratet werden»

Anderseits kann man meines Erachtens ein Spinnrad locker gegen etwas austauschen, was den heutigen Kindern näher liegt, die Protagonisten plastisch gestalten, ja sogar eine Prise Pixar-Humor einstreuen und den Prinzessinnen eine eigene Meinung gestatten, wenn sie so mir nichts dir nichts ungefragt verheiratet werden.

Aber eben. Darüber kann man sich streiten. Und das ist gut so. Das, worüber man sich uneinig ist, was man verteidigt oder ablehnt, beschäftigt die Gemüter. Und genau das tun Märchen. Darum sind und bleiben sie ja auch so wichtig.

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