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Weshalb Kompromisse schlecht für die Beziehung sind

Ein paar Kreise, ein paar Pfeile, ein paar Farben – und schon offenbart sich die eigene Beziehung mit ihren Stärken und Schwächen. Die Zürcher Paartherapeutin Bettina Disler hat das neue Visualisierungsmodell entwickelt und erklärt im Interview, was Beziehungen schadet, zum Beispiel zu viele Kompromisse. 

Beziehungstherapie mit Visualisierungsmethode
Eine Beziehungstherapie kann die Liebe zurückbringen. Bild: zimmytws, iStock, Getty Images Plus

Das Wichtigste in Kürze

  • Bettina Disler visualisiert die Verhaltensmuster der Paare mit Farben und Skizzen. Damit vereinfacht sie das Aufzeigen von komplexen Beziehungssituationen. 
  • In einer Beziehung wird es vor allem kritisch, wenn man viele Kompromisse eingeht. 
  • Eine ideale Beziehung zeichnet sich durch Vertrauen und Anziehung aus. 
  • Ein Beziehungsterapeut kann dabei helfen, einen Kompromiss in einen Konsens umzuwandeln. 

Frau Disler, welche schwierigen Beziehungssituationen sind typisch für Paare, vor allem für Eltern?

Zuerst sind Paare Liebende, Sexpartner und Freunde. Wenn sie Eltern werden, bleibt ihnen zwar meist die Freundschaft erhalten, aber sie vernachlässigen die Liebes- und Sexualbeziehung. Das merken sie zunächst gar nicht. Viele stellen irgendwann aber fest, dass sie kein Liebespaar mehr sind.

Sie haben ein Modell entwickelt, das Beziehungssysteme und -prozesse visualisiert …

Ja, ganz unterschiedliche und selbst komplexe Beziehungssysteme lassen sich damit anschaulich machen. Das geht ganz einfach auf einem Whiteboard mit Stiften in den Farben Schwarz, Violett, Grün, Blau und Pink.

Wie funktioniert das? Wie lassen sich mit Ihrem Modell Beziehungssituationen erklären?

Die Kreise stehen für Personen. Die Farben veranschaulichen die Paarebenen, auf denen sich die Personen begegnen. Violett zum Beispiel steht für die Ebene, auf der sich die Partner auf Augenhöhe begegnen. Auf dieser Ebene zeigen sie sich, wie sie sind, und tragen dabei das Risiko, dass das Gegenüber manche Aspekte vielleicht nicht so toll findet. Diese Ebene ist voller Spannung, positiver wie negativer. Hier begehrt man sich, hier setzt man sich auseinander. Wenn Partner sich kennenlernen, sind sie wie zwei violette Kreise, die aufeinander zugehen.

Kompromisse sind Gift für die Beziehung, wenn sie nicht nach fünf Minuten vergessen sind.

Nach langen Jahren sind Paare sehr vertraut miteinander …

Genau. Die Kreise rücken zusammen, sodass eine Schnittmenge entsteht. Die zeichnen wir grün. Wir sehen nun also zwei violette Halbmonde, die jeweils die noch unbekannten Seiten des Partners beinhalten. Die grüne Schnittfläche dagegen visualisiert alle Seiten, die die Partner voneinander kennen. Hier findet der vertraute Alltag statt, den bereits ausgehandelte Rituale prägen. Zum Beispiel: Sonntags machen wir Sport; unser Urlaub geht am liebsten nach Italien; sie kocht in der Woche und er am Wochenende.

Das klingt noch nach unbeschwerter Beziehung. Wo wird es gefährlich?

Auf der blauen Paarebene! Hier werden zum Beispiel auch grosse Kompromisse gemacht. Meist mit guter Absicht. Man stellt sich hintenan, um es besonders gut zu machen. Doch Kompromisse sind Gift für die Beziehung, jedenfalls dann, wenn sie nicht nach fünf Minuten vergessen sind. Wenn wir uns im sogenannten «blauen Pfeil» bewegen, kriechen wir in den Kopf unseres Gegenübers und versuchen herauszufinden, was wir tun können, um ein Problem zu lösen: Wie muss ich mich verhalten, damit der andere glücklich mit mir ist? Was muss ich tun, damit er Lust auf mich hat?

Wenn sich Partner solche Fragen stellen, sind sie nicht mehr bei sich selbst …

Ja, dann verhalten sie sich wie im Berufsleben, wo sie den «blauen Pfeil» tagtäglich üben: beispielsweise wenn es darum geht, auf einen Vertrag hin zu arbeiten oder dem Chef zu gefallen.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie Kompromisse in der Partnerschaft zu Stolperfallen werden können?

Stellen Sie sich vor, ein Paar hat sich vor der Familiengründung geeinigt, sich sowohl den Beruf als auch die Kindererziehung zu teilen. Als die Frau schwanger wird, bekommt der Mann ein gutes Jobangebot, das er nicht ablehnen möchte. Er sagt entgegen der früheren Vereinbarung mit seiner Frau zu. Seine Entscheidung begründet er damit, dass er aufgrund der guten Bezahlung die Familie besser finanzieren kann. Die Frau verzichtet also auf ihre Karriere und fokussiert sich auf Kind und Haushalt. Weil der Mann aber ein schlechtes Gewissen hat, richtet er sich zu Hause ganz nach ihren Wünschen. Eine Weile geht das gut, doch dann wird jeder wütend auf sich selbst. «Was mache ich eigentlich hier?» «Das bin ja gar nicht Ich!» Und auch Wut auf den anderen entsteht. Das kappt zunehmend die Anziehung zueinander.

Vorwürfe sind Kriegsmunition. Wichtig ist, sie in konstruktive Botschaften umzuwandeln.

Wie würde dieses Beziehungssystem visualisiert?

Die Partner kriechen in den violetten Halbmond ihres Gegenübers und rätseln, welche Wünsche dieser dort versteckt hält. Das wird mit einem blauen Pfeil visualisiert. Wenn beide in den Kopf des Gegenübers kriechen, begegnen sie sich über Kreuz. Das bedeutet, dass sie weder sich selbst spüren, noch ihren Partner. Paare können auf der Skizze dann leicht erkennen, dass Kompromisse ihre Partnerschaft prägen: Sie tun etwas, dem Partner, dem Frieden oder wem auch immer zuliebe.

Das könnte aber auch Streit mit sich bringen, oder?

Ja, sicher, der Streit ist eine Folge davon. «Ich habe alles für dich aufgegeben und du verhältst dich zu Hause wie ein kleiner Junge», wirft sie ihm vor. Er sagt: «Ich kann tun, was ich will, ich mache ihr nie was recht.» Position zu beziehen, ist aber nicht schlecht – so kommt jeder wieder zu sich. Man trifft sich wieder auf der violetten Ebene. Die Frage ist nur, auf welche Art Position bezogen wird. Vorwürfe sind Kriegsmunition. Wichtig ist, sie in wertvolles Material, also konstruktive Botschaften, umzuwandeln. Dabei kann der Therapeut helfen. Was brauche ich? Was wünsche ich mir? Statt Kompromisse ist der Konsens das Ziel.

Was ist der besondere Vorteil dieser Visualisierungs-Methode?

Sie vereinfacht komplexe Situationen. Klienten sagen: «Wow! Ich habe unsere Beziehung noch nie so klar gesehen!» Sie bekommen Lust, an ihrer Beziehung was zu machen. «Da können wir was tun!» Sie strahlen. Die Visualisierung hat einen positiven Effekt auf die Stimmung. Darüber hinaus macht es die farbige Skizze leicht, sich über komplexe Situationen auszutauschen. Sie ermöglicht eine einfache und gemeinsame Sprache. «Ich war immer im blauen Pfeil», sagt sie zum Beispiel, und er nickt. Die Visualisierungsmethode kommt auch Männern sehr entgegen. Und Frauen freuen sich, weil ER sich endlich mal erklärt.

An Gemeinsamkeiten wächst man weniger. In den Unterschieden steckt Potenzial.

Wie sieht denn die ideale Beziehung aus?

Die violetten Halbmonde und die grüne Schnittfläche sind in Balance zueinander. Im grünen Bereich gibt es Rituale, die verbinden, hier herrschen Vertrautheit und Nähe, hier wird Liebe gemacht. Die Halbmonde sind die Bereiche, in denen sich die Partner stets unabhängig voneinander weiter entwickeln. Hier generieren sie neue Selbst-Anteile, dazu gehören neue Ideen, neue Phantasien etc. Um füreinander interessant zu bleiben, ist es deshalb wichtig, dass die Partner sich immer wieder mal auf der violetten Ebene auf Augenhöhe begegnen und sich gegenseitig updaten. Dann geht es darum, sich dem anderen zu zeigen, sich aber auch auf den anderen einzulassen, Neues auszuprobieren, zum Beispiel erotische Fantasien auszuleben.

Muss man, um das Modell anzuwenden, zwangsläufig eine Therapie machen? Oder können Paare das Modell auch selbst anwenden?

Mein Buch richtet sich an Fachpersonen, doch auch interessierte Leser, die sich mit dem Thema Beziehung auseinander setzen wollen. Auf meiner Website zeige ich Video-Tutorials, die ohne Ton begleitend zum Buch das Modell veranschaulichen. In der Therapie vor Ort kann ich die Paare natürlich wie ein Guide an die Hand nehmen und mit ihnen ihre Beziehungslandkarte erkunden, sprich auch Fragen stellen, die sie auf einen möglichen neuen Weg bringen.

Welche konkreten Tipps können Sie Paaren aufgrund Ihres neuen Modells mit auf den Weg geben?

Erstens: Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man freiwillig in der Beziehung ist. Viele fühlen sich wie gefangen in ihrer Beziehung. Warum ist das so?

Zweitens: Lust, am Unterschied zu entwickeln, bereichert. An Gemeinsamkeiten wächst man weniger. In den Unterschieden steckt Potenzial. Was macht die andere Meinung mit mir? Macht sie mich wütend? Was sagt das über mich aus?

Drittens: Richtig miteinander verhandeln, statt zu streiten. Je lustvoller ich meine Bedürfnisse an dem anderen kommuniziere, umso wahrscheinlicher ist eine Konsensfindung.

Visualisierungsmodell

Das Visualisierungsmodell sieht verwirrend aus, bringt aber Klarheit. Bild: zVg.

Zur Person:

Bettina Disler

Die Paar- und Sexualberaterin Bettina Disler hat das Dynamische Grundriss-Modell entwickelt. Es dient der Darstellung von Beziehungsdynamiken und hilft Paaren, konstruktive Lösungsansätze zu finden und Bewegung in ihre festgefahrene Situation zu bringen. Das Modell basiert auf dem von David Schnarch erweiterten Konzept der Differenzierung des Selbst und dem der Systemischen Sexualtherapie von Ulrich Clement. Bettina Disler führt eine Praxis in Zürich.

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