Kinderbuch-Trends: Was Kinder heute gerne lesen
Die Kinderbuch- und Jugendbuchszene bietet ein breites Angebot. Neu auf dem Markt sind aussergewöhnliche und anrührende Bilderbücher. Romane für ältere Kinder und Jugendliche beschäftigen sich wieder mehr mit den Problemen des Alltags. Wir sagen, was beliebt ist und woran es liegt.
Seit Harry Potter seinen zehnten Geburtstag feierte und in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, aufgenommen wurde, versinken Kinder und Jugendliche in der Fantasy-Literatur. Seit Jahren begeistern sich Jugendliche auch für das Genre Paranormal Romance, wie Liebesgeschichten zwischen Mädchen und Vampiren, Geistern und Werwölfen. «Diese Trends scheinen nun ein wenig abzuflauen», meint Andrew Rushton, Stellvertretender Verleger beim Zürcher NordSüd Verlag. Spannend ist daher die Frage, in welche Richtung die Kinderliteratur weiter spaziert.
Kinderbuch-Szene: Auf der Suche nach neue Identität
«Ich würde nicht sagen, dass die Kinderbuch- und Jugendbuch-Szene derzeit in einer Krise steckt, aber sie kämpft um Identität», sagt Andrew Rushton. «Es wird immer schwieriger herauszufinden, was die Leser wollen. Die Verlage gehen unterschiedliche Wege.» Klar sei, dass der Boom der elektronischen Bücher vorbei sei. «Es wird wieder mehr über Inhalte als über die Form geredet», freut Rushton sich.
Kinderbuch: Vermischung verschiedener Genres
Genres mischen sich. Das Jugendbuch hat sich als Kategorie zugunsten von «All-Age» nahezu aufgelöst. «Kauften Erwachsene vor einigen Jahren hauptsächlich noch für Kinder ein, kaufen sie nun Jugendbücher wie zum Beispiel die bekannte «Bis(s)»-Serie, «Die Tribute von Panem» oder aber auch «Gregs Tagebuch» – um sie selbst zu lesen», berichtet Maria Werner vom Aracari-Verlag mit Sitz in Zürich. Ein anderes Beispiel für die Mischung von Genres ist das Sachbilderbuch, das sich aus erzählenden Elementen und Sachthemen zusammen setzt. Auch Bücher und neue Medien arbeiten Hand in Hand, wie zum Beispiel die Sachbücher aus der LeYo-Reihe des deutschen Carlsen Verlages, die durch eine kostenlose App zu interaktiven Geschichten werden.
Bilder im Kinderbuch wichtiger denn je
Der Bildanteil in Kinderbüchern hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. «Trendsetter in diesem Bereich ist sicher die Reihe «Gregs Tagebuch» von Jeff Kinney, deren erstes Buch 2008 auf Deutsch erschien. Seither wimmelt es im Kinderbuch nicht nur von Figuren, die frech und aufmüpfig gegen die Mühen im Alltag ankämpfen, sondern auch von Büchern, in denen viele comicartige Bildelemente den Lektürespass vergrössern», berichtet Christine Tresch, Fachfrau für Kinder- und Jugendliteratur beim Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM. Dank der hohen Bildunterstützung und der coolen Hauptfiguren werden diese Comicromane auch von Kindern gerne gelesen, die sonst nicht so schnell zu einem Buch greifen. «Wir achten sehr auf ausdrucksstarke Illustrationen, die auch ohne und teilweise ganz ohne Wörter auskommen», so Maria Werner vom Aracari-Verlag. Der Orell Füssli Verlag setzt auf bilderstarke Comics, um Kindern ab acht Jahren die Schweizer Geschichte zu erklären.
Kinderbuch wendet sich wieder mehr dem Alltag zu
Alltagsprobleme gewinnen insgesamt wieder an Präsenz in Kinderbüchern und Jugendbüchern. Viele Bücher zeigen, dass die Erwachsenenwelt versagt hat. Da kann – wie in «15 kopflose Tage» von Dave Cousins kein Geld im Haus, die Mutter Alkoholikerin, der Vater arbeitslos sein. So muss der 15 jährige Sohn das Familienleben in Gang halten. Er sorgt sich um die Geschwister und dafür, dass das Sozialamt nicht plötzlich vor der Tür steht.
Flüchtlingswelle im Kinderbuch
«Im Frühjahr wird eine Vielzahl von Büchern über Flüchtlings-Schicksale erscheinen», kündigt Katrin Hogrebe an, Pressesprecherin beim deutschen Carlsen-Verlag. Im Carlsen Verlag und seinem Imprint Königskinder gibt es bereits acht Titel zum Thema wie zum Beispiel «Jenseits des Meeres» von Jon Walter für Leser ab zwölf Jahren. «Die Flüchtlingswelle mischt die Gesellschaft auf. Das wird sich zunehmend in der Kinder- und Jugendliteratur widerspiegeln», so Andrew Rushton vom NordSüd-Verlag.
«Zunehmend finden sich in der Kinder- und Jugendliteratur Geschichten, die sich mit dem eigenen Körper und der Sexualität auseinander setzen», berichtet Katrin Hogrebe. Dabei geht es immer öfter auch um gleichgeschlechtliche Liebe, wie zum Beispiel in «Das Zebra unterm Bett» (Moritz Verlag) für Kinder ab sechs Jahren, «Ein Känguru wie du» (Carlsen Verlag) für Kinder ab acht Jahren und «Aristoteles und Dante» (Thienemann Verlag) für Jugendliche ab 15 Jahren.
Negativ-Utopien à la «Tribute von Panem»
Im Jugendroman macht Christine Tresch vom Schweizerischen Institut für Kinder- und Jugendmedien SIKJM einen starken Trend zu Negativ-Utopien aus: «Jugendliche Protagonistinnen und Protagonisten treten als Retter einer Welt auf, die von Erwachsenen nahezu zerstört worden ist.» Michael Endes «Momo» könne als ein Vorläufer dieser dystopischen Texte angesehen werden. «Ganz aktuell sind gerade wieder die «Tribute von Panem», denn der letzte Teil der Verfilmungen dieser Trilogie ist unter dem Titel «Mockingjay Teil 2» eben in unseren Kinos angelaufen.»
Kinderbuch: 9 Buchempfehlungen
3 von 9
«Steckt», von Oliver Jeffers, NordSüd Verlag 2015
Wenn der Drache im Baum stecken bleibt, ist guter Rat teuer. Der kleine Kerl Floyd probiert verschiedene Strategien aus, den Drachen zurück zu bekommen. Doch alles, was er benutzt, um den Drachen zu befreien, bleibt ebenfalls stecken – bis zum überraschenden Ende! Mit dieser Geschichte können sich Kinder bestens identifizieren.
Für Kinder ab drei Jahren.