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Alleinerziehend, aber nicht allein

Alleinerziehende können vieles gebrauchen, aber sicher kein Stigma und schon gar kein Mitleid. Darum gründete Sara Stamm mit Gleichgesinnten den Schweizer Verein «Alleinerziehend positiv & stark». Familienleben erzählt die 35-jährige Mutter, welche Vorurteile Alleinerziehende im Alltag begegnen und was sie sich wirklich wünschen.

Alleinerziehende müssen viel schultern. Mitleid macht die Last aber nicht leichter.
Alleinerziehende müssen nicht alles allein schultern. Bild: Jenn Evelyn-Ann - Unsplash

Seit vier Jahren ist Sara Stamm Single und alleinerziehende Mutter einer 6-jährigen Tochter. Aber während sie das anderen erzählt, sieht sie schon die mitleidigen Blicke, die unausgesprochenen Fragen und Gedankenstösse: «Die ist ja ganz allein - und hat noch nicht mal einen Partner!», denken die anderen. Das kommt zumindest bei der alleinerziehenden Mutter immer wieder an.

Einmal habe ihr jemand gesagt: «Ich habe ja alles!» «Aber was sollte das heissen? Er hat alles und ich nichts?» fragte sich Sara Stamm. Alleinerziehend zu sein, sei in der breiten Wahrnehmung fast ausschliesslich mit negativen Zuschreibungen verbunden, hinzu kämen unaufgeforderte Ratschläge und nicht selten Verurteilungen und Ausgrenzung.

Planung ist nicht alles

Viele erzählten Sara Stamm, alleinerziehend zu sein, sei alles eine Sache der Organisation. Und planen können müsse sie gut, in der Realität komme es aber eher auf Kreativität an: «Alleinerziehende haben grundsätzlich Plan A und B und eventuell auch noch Plan C. Aber am Ende müssen wir trotzdem improvisieren, weil die Pläne nicht funktionieren.»

Alleinerziehende Eltern müssten zudem alles in einer Person sein: Finanzminister/in, Krankenschwester/Krankenpfleger, Eventmanager, Facility Manager, Personal Manager, Psychologen und noch vieles mehr.

Und trotzdem würden Alleinerziehende immer wieder verurteilt, wenn sie beispielsweise finanzielle Hilfe vom Amt in Anspruch nehmen. Aber wenn Alleinerziehende arbeiten gingen, dann seien sie Rabeneltern, sagt Sara Stamm, die selbst keine Alimente erhält. «Obwohl ich 100 Prozent arbeiten gehe, leben wir unter Null.»

Vielleicht ist das der schlimmste Vorwurf, den man Alleinerziehenden machen kann. Dass sie ihre Kinder vernachlässigen und ihnen nicht alles ermöglichen könnten, was sie brauchen. Sara Stamm erzählt, wie eine andere Mutter einmal zu ihrer kleinen, damals vierjährigen Tochter in der Krippe gesagt habe: «Du armes, kleines Mädchen, bist du schon wieder alleine?» «Nichts von alledem stimmt. Wir führen ein tolles Leben, ich geniesse jede Sekunde und ich habe einen riesen Freundes- und Bekanntenkreis», erzählt Sara Stamm. «Mir macht es auch nichts aus, mit Pärchen zusammen zu sein. Ich fühle mich einfach wohl in meiner Haut.» Alleinerziehend zu sein, kann auch eine positive Erfahrung sein, findet Sara Stamm.

«Es wird gehetzt, gelästert und übereinander hergezogen.»

Aber natürlich habe sie auch schwache Momente, in denen sie sich nach Unterstützung oder einem Partner sehne, in denen es ihr nicht gut geht. «Dann sollte es doch eine Gemeinschaft geben, die mich auffängt, die mir zuhört, die mich versteht und unterstützt, weil sie das tagtäglich auch erleben und mir nicht nur mitleidige Blicke zuwirft», fand Sara Stamm und so machte sie sich im Internet auf die Suche nach gleichgesinnten Alleinerziehenden.

Bei der Suche merkte sie aber schnell, dass das Austausch-Angebot für Alleinerziehende in der Schweiz rar ist. Die wenigen Gruppen, die es gibt, sprechen sie nicht an. «Es wird gehetzt, gelästert und übereinander hergezogen. Nach dem Besuch auf diesen Plattformen geht es mir noch schlechter als vorher.»

Sara Stamm träumt grösser und mit offenem Herzen. Sie stellt sich vor, im Lotto zu gewinnen, davon einen Bauernhof zu kaufen und zu einer Alleinerziehenden-WG umzubauen, mit Kinderbetreuung, einer Spielscheune und kostenlosen Events.

Alleinerziehende, vernetzt euch!

Mangels Finanzen fängt sie klein an. Zusammen mit einer Freundin gründet sie 2016 die Facebook-Gruppe «Alleinerziehend positiv & stark». Schon im Namen solle verankert sein, dass es hier anders zugehen soll als auf den üblichen Plattformen für Alleinerziehende. Heute zähle die Facebook-Gruppe über 830 Mitglieder.

«Aber was ist denn mit denen, die Facebook nicht nutzen?», fragte sich Sara Stamm. Mit einem Administrator-Kollegen aus der Facebook-Gruppe gründet sie im März 2018 den gleichnamigen Verein «Alleinerziehend positiv & Stark». Der Verein soll Alleinerziehende in der Schweiz in schwierigen Lebensphasen unterstützen und vernetzen: Er hilft bei Alltagsproblemen, vermittelt an Fachpersonen und organisiert gemeinsame Veranstaltungen. Inzwischen verfüge der Verein über Ansprechpartner in Basel, Solothurn, Zürich, der Ostschweiz, St Gallen Stadt und im Aargau und arbeite eng mit dem Schweizerischen Verein Alleinerziehender Mütter und Väter (SVMAV) zusammen.

Keine Angst vor dem «Toten Sonntag»

Hilfe in finanziellen, rechtlichen und bürokratischen Belangen ist für Alleinerziehende natürlich wichtig, aber die Arbeit am Menschen stehe im Fokus, sagt Sara Stamm. «Wir wollen Eltern stärken, den Austausch und die Vernetzung fördern. Ein offenes Ohr für die Sorgen der Eltern ist genauso wichtig wie das Wohlergehen und die Förderung der Kinder. Denn zufriedene Eltern haben zufriedene Kinder.»

Viele Alleinerziehende fühlten sich allein und ausgegrenzt. «Sie haben jede Woche Angst vor dem „Toten Sonntag“». Der Verein will eine Gemeinschaft für Alleinerziehende in der Schweiz schaffen. Mit subventionierten Treffen, bei denen niemand absagen muss, weil das Geld nicht reicht.

Alleinerziehend positiv & stark

Mehr Informationen zum Verein «Alleinerziehend positiv und stark», zu Mitgliedschaft und Spendenmöglichkeiten finden Sie auf der Homepage ae-ps.ch oder schreiben Sie an info@ae-ps.ch.

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