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Deutsche Auslandsschule in Japan: eine Reportage

Weltweit bestehen mehr als 130 deutsche Auslandsschulen, oft besuchen sie Schweizer Kinder, so etwa in Yokohama, der zweitgrössten Stadt Japans. Dort lernen sie mehr über ihre zweite Heimat, als dies manche Schüler in der Schweiz tun.

Deutsche Schulen im Ausland werden oft von Schweizer Kindern besucht.
Die Schulen sollen den Kindern im Ausland einen Ort zum Austausch bieten. Foto: iStock, Thinkstock

Das Mädchen mit den schwarzen Haaren wendet ihr Kartonkärtchen, blickt auf das Bild und sagt: «Es ist sehr warm, man macht es mit Feuer und tut Alkohol rein.» Stille. Die anderen zehn Kinder im Klassenzimmer blicken sich fragend an. Da ruft der Bub im roten Shirt mit Schweizerkreuz: «Ah», kritzelt etwas auf sein Blatt Papier, legt den Stift zufrieden beiseite. Es ist Samstag, zehn Uhr. Ort: Yokohama, Japan, zehntausend Kilometer von der Schweiz entfernt. An der Wand hängt eine Schweizerkarte, an der Tür das Poster eines Bernhardiners. Die Viertklässler, alle leben sie hier in der zweitgrössten Stadt des Landes, besuchen jeden dritten Samstag an der deutschen Schule DSTY den Schweizer Unterricht bei Lehrer Marcel Kern. Freiwillig. Was sie über Schweizer Geographie, Politik, Kultur und Brauchtum hören, scheint ihnen Spass zu machen: Zwei Mädchen kichern, tuscheln auf Japanisch, um gleich wieder auf Hochdeutsch zu wechseln – oder etwas Schweizerdeutsch.

Seit drei Jahren lebt Kern in Japan, unterrichtet hier ebenso lange Schüler aus der ersten bis dreizehnten Klasse. Er will nicht nur Inhalte vermitteln, sagt er; vielmehr den Schülern einen Ort zum Austausch bieten, über etwas, das alle gemein haben: Einen Bezug zur Schweiz. So macht er mit ihnen ein Quiz mit Memory-Karten, auf ihnen sind Matterhorn, Bundeshaus oder Fondue abgebildet. Eben, sehr warm, mit Feuer gemacht und Alkohol drin. Die elf Kinder schneiden gut ab, erreichen fast alle 15 Punkte und wissen damit weit mehr, als mancher Schweizer Schüler – oder Miss-Schweiz. «Das habt ihr super gemacht, bravo», sagt Kern. Der 41-Jährige wohnt mit seiner japanischen Frau und der gemeinsamen Tochter in einem ruhigen Stadtviertel. Bei den meisten Schweizer Schülern hier stammen die Väter aus der Schweiz.

Die Auslandschule in Yokohama ist die älteste in Ostasien.

Die Auslandschule in Yokohama ist die älteste in Ostasien.

Schweizer Unterricht ist nicht gerade verbreitet. Kern selbst sagt, dass es so etwas wie einen Schweizer-Lehrer anderswo gar nicht gibt. Vor seinem Leben in Thailand und später in Japan unterrichtete er im Kanton Luzern. Die deutsche Auslandschule in Yokohama ist mit der Gründung 1905 die Älteste in Ostasien, der Schweizer Unterricht seit Jahren fester Bestandteil. Knapp 10 Prozent der 480 Schüler haben Schweizer Wurzeln und seit Frühling endlich ihren eigenen Unterrichtsraum. Bei der Einweihung im angebauten vierten Stock des Schulhauses erschien sogar der Schweizer Botschafter. Kern lacht und sagt: «Ich muss den Raum einzig noch mit dem Lateinlehrer teilen.»

Nach anderthalb Stunden gibt es ein Znüni, draussen auf dem weiten Schulgelände. Die Sonne brennt vom Himmel, Kern setzt sich unter einen Baum, verteilt Apfelschnitze. Sein Handgelenk umschlingt eine Swatch-Uhr, er klappt sein silbernes Armeemesser zu und zeigt es einem Bub, Joshua heisst er. Er müsse seine Rolle als Schweizer-Lehrer natürlich auch zelebrieren. Kern lebt gerne in Japan, schätzt die ausgeprägte Höflichkeit, wie er sagt. Die Schweizer Gemeinde ist aktiv, etwa 2500 Landsleute leben in der Metropolregion Tokyo. Um zwölf Uhr werden zwei Väter ihre Söhne abholen und sagen: «Die Kinder lieben diesen Unterricht, sie haben einen guten Lehrer.»

In den Auslandsschulen wird den Kindern ein Bezug zur Schweiz vermittelt.
In den Auslandsschulen wird den Kindern ein Bezug zur Schweiz vermittelt.

Vorher steht eine Geschichtsstunde mit Globi an. Auf einer Leinwand projiziert Kern schwarz-weisse Folien mit den Abenteuern des blauen Vogels im Bündner Nationalpark. Nacheinander lesen die Schüler am Lehrerpult Reime vor, Kern erklärt, weshalb der Bartgeier einen Knochen aus schwindelerregender Höhe fallen lässt, oder weshalb ein Kristall nicht schmelzen kann. Solche Geschichten sind fester Bestandteil seines Unterrichts – bei den älteren Schülern auch Dossiers des Schweizer Fernsehens zu Politik, Wirtschaft und sozialen Themen. Schüler Joshua weiss bereits was «CH» bedeutet. «Die Abkürzung für Schweiz natürlich.» Eben war er mit seiner Familie während der Frühlingsferien in Australien, sonst jeden Sommer in der Schweiz bei den Grosseltern. Alisa, ein stilles Mädchen, reist mit ihrer Familie jeweils einmal im Jahr nach Basel. Einige Familien kehren endgültig in die Schweiz zurück.

Zwölf Uhr, der Unterricht ist zu Ende, die elf Kinder huschen davon. Wie lange Kern noch in Japan bleibt, weiss er nicht. Er findet, dass seine Tochter nach dem Abitur in Europa oder der Schweiz studieren sollte, wegen der Sprache. Sie wird bald 17. Diesen Sommer treten gleich mehrere Lehrer ihre Heimreise an. Die Wirtschaftskrise ist auch an der DSTY spürbar, die Schülerzahlen sinken. Kern hofft, dass sie mit den zusätzlichen Klassenzimmern bald wieder steigen. «Aber das ist es eben, was eine solche Schule mit sich bringt. Irgendwann zieht es jeden in die Heimat zurück.»

Text und Fotos: Julian Perrenoud

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