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Fehlgeburt verarbeiten: um das verlorene Baby trauern

Nicht immer landet ein Baby nach der Geburt in den Armen seiner Mutter. Manchmal verlässt es diese schon während der Schwangerschaft. Nach einer Fehlgeburt beginnt eine traurige Zeit für das Paar, die es mit Trauerarbeit überwinden kann.

Eine Fehlgeburt während der Schwangerschaft trifft Eltern hart.
Nach einer Fehlgeburt ist das Trauern um das Baby sehr wichtig. Foto: iStock, Thinkstock

«Ich bin unendlich traurig, unser kleines Menschlein lebt nicht mehr», schreibt Leandra in einem Internetforum über ihr verlorenes Baby. «Auf dem Monitor habe ich gleich gesehen, dass das Herzlein nicht mehr schlägt. Ich habe mich jedoch nicht getraut etwas zu sagen. Ich habe gewartet, bis der Frauenarzt bestätigte, was ich schon gesehen habe. Mir kullern gerade wieder die Tränen, ich habe mich doch so sehr gefreut!»

Leandra ist nicht die einzige Frau, die den Verlust ihres Kindes verkraften muss. Laut wissenschaftlicher Studien kommt es bei 10 bis 20 Prozent aller Schwangerschaften vor der 20. Schwangerschaftswoche zum Abort.

Dies ist für die werdenden Eltern ein tragisches Erlebnis. Egal, ob der Nachwuchs sehnlichst erwartet wurde oder überraschend kam, denn viele Paare beginnen sich sofort nach dem positiven Schwangerschaftstest mit der zukünftigen Elternrolle zu identifizieren. Die Mama sieht das Baby schon friedlich in ihren Armen schlummern, der Papa plant im Geiste den Bau der Wiege. Die Fehlgeburt zerstört diese Pläne, Vorfreude und Sehnsüchte jäh.«Wie ein Vorschlaghammer», beschreibt die 33-jährige Nadine* den Schock über die Fehlgeburt . «Mit einer Fehlgeburt hätte ich nie gerechnet. Meine erste Schwangerschaft verlief ja problemlos und davon bin ich automatisch bei der Zweiten auch ausgegangen.»

Fehlgeburt kündigt sich durch Schmerzen oder Blutungen an

Die Fehlgeburt kündigt sich häufig sehr banal an, durch vaginale Blutungen oder Schmerzen im Unterleib. So auch bei Nadine. Durch einen sofortigen Besuch beim Frauenarzt verschaffte sie sich Gewissheit. «Das nach Hause kommen war irgendwie das Schlimmste. Als Mutter gehen, als Nicht – Mutter zurückkehren in ein Haus, in dem schon der erste Strampler bereitliegt.»

Nicht nur Mütter trauern, auch Väter. Sie sind zudem doppelt belastet, einerseits durch den Verlust ihres Kindes und durch das Leid der Frau. Denn viele Frauen empfinden grosse Trauer durch den Abgang, auch dann, wenn die Schwangerschaft nur kurz bestand. Die Männer sorgen sich um ihre tieftraurige Frau und möchten ihr den Schmerz nehmen. Dies ist aber nicht zu schaffen, da der Verlust zum grössten Teil selbst verarbeitet werden muss. «Im Idealfall», sagt Stephanie Matthews-Simonton im Buch «Gute Hoffnung - jähes Ende», die grosse Erfahrung mit Sterbenden und Trauernden hat, «könnten Trauernde sich zu 25 Prozent aus eigenen Kraftquellen helfen, 20 Prozent der Unterstützung komme vom Partner und 55 Prozent aus anderen Quellen».

Auch Nadine und ihr Mann fanden in verschiedenen Trauerumgängen ihre individuelle Lösung. «Man sitzt nicht als Paar jeden Tag zusammen und redet über das verlorene Baby. Wir haben den Alltag zusammen gelebt und gingen ansonsten getrennte Wege. Jede musste das mit sich ausmachen. Er hat sich in seinem Job und Hobby zurückgezogen. Ich habe ganz viel mit meiner Mama geredet, habe mit dem Baby gesprochen und mir viele spirituelle Gedanken darüber gemacht, wo es jetzt wohl ist und ob sein Tod einen tiefer gehenden Sinn hatte.»

*Der Name wurde geändert

Wie mit Schicksalsschlägen umgegangen wird, ist eine sehr individuelle Angelegenheit. Was dem einen geholfen hat, muss nicht für den anderen gelten, denn jeder Mensch trauert anders. So auch Mütter, die ihr Baby verloren haben. Es gilt die persönliche Art der Trauerverarbeitung herauszufinden. Abschied vom eigenen Kind zu nehmen, welches einen eigentlich ein Leben lang begleiten sollte, ist ein Prozess und kein Minutenakt. Viele kleine Elemente ergeben ein Ganzes, wie bei einem Mosaikbild – erst viele kleine Mosaiksteinchen ergeben zusammen ein Motiv. Übertragen bedeutet das, durch viele einzelne Steinchen kann das grosse Ganze geschafft werden, den Tod des Kindes verkraften und akzeptieren können.

Das sagt die Expertin

Franziska Maurer, Leiterin der Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod in Bern
 

Franziska Maurer, Leiterin der Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod in Bern sagt:

«Es gibt kein grundsätzliches richtiges Verhalten nach einer Fehlgeburt. An der Fachstelle FpK beraten wir grundsätzlich individuell, da die betroffenen Eltern sehr persönlich mit diesem Verlust umgehen.

Manche Mütter erleben die Fehlgeburt als trauriges Ereignis jedoch nicht so belastend, da sie für ihr Kind in diesem frühen Stadium noch keine intensiven Muttergefühle hegen.

Andere Mütter hingegen sehr. Ihnen empfehlen wir, ihrer Trauer und ihrem verstorbenen Kind einen Platz zu geben. Das kann bedeuten, in der Wohnung einen Ort für das Kind und die Trauer zu schaffen. Eine Kerze anzünden, einen symbolischen Gegenstand aufstellen, dem Kind einen Brief schreiben oder ihm einen Stellenwert durch seinen Namen geben.

Ob und wie schnell an eine Folgeschwangerschaft gedacht wird, hängt von der körperlichen und psychischen Verfassung ab. Manche Eltern möchten sofort wieder schwanger werden, weil eben der Wunsch nach einem Kind sehr stark ist. Andere fühlen sich erstmals als Eltern des verstorbenen Kindes und brauchen Zeit für Trauer. So oder so braucht es eine Zeit der körperlichen und psychischen Erholung, um das Geschehene in das Familienleben zu integrieren und um gute Bedingungen für eine folgende Schwangerschaft zu schaffen.

Problematisch wird es, wenn die Eltern über den Zeitpunkt einer erneuten Schwangerschaft nicht einig sind oder die Angst vor einer weiteren Fehlgeburt verstärkt auftritt. Ein Gespräch bei einer Beratungsstelle und Begleitung durch Fachpersonen kann helfen.»

Foto: privat

Vielleicht hilft Ihnen die Erkenntnis, dass Sie nicht die einzige Mutter sind, die ihr Kind verloren hat. Haben Sie enge Freundinnen oder andere Frauen, die Ihnen sehr nahestehen? Tasten Sie sich langsam in einem passenden Moment an das Thema heran. Vielleicht treffen Sie auf eine Leidensgenossin, die Ihnen Hilfe und Rat geben kann und mit der Sie sich austauschen können.

Möchten Sie diesen Schmerz lieber für sich selbst verarbeiten? Dann ist Schreiben eine Möglichkeit. In einem Tagebuch können Sie Wut, Schmerz, Trauer und Hilflosigkeit abladen. Oder schreiben Sie Briefe an Ihr Kind. Erzählen Sie, wie es Ihnen geht. Wie sehr Sie es lieben und wie gerne Sie es in der Familie begrüsst hätten. Diese Art der Kommunikation funktioniert auch in einem Zwiegespräch.

Im Freundes- und Bekanntenkreis werden Sie natürlich viel Zuspruch und Unterstützung erfahren. Aber bald ist für die meisten Aussenstehenden das Thema abgehakt. Nach dem Motto: Das ist nicht so schlimm, ihr könnt ja bald ein Neues bekommen. So kann der Austausch mit Betroffenen in einer Selbsthilfegruppe oder in einem Internetforum eine Alternative sein. Diese Menschen sind ebenso involviert wie Sie selbst, so müssen Sie keine Angst haben auf ein Gegenüber zu treffen, welches dem Thema überdrüssig ist.

Vielen Paaren hilft auch ein persönliches Ritual, um von ihrem Kind Abschied zu nehmen:

  • Dem Kind einen Namen geben, so bekommt es in der Familie einen Stellenwert.
  • Gerade in der ersten Zeit kann es helfen, ein Symbol in Form einer Kette oder eines Armbandes zu tragen. So ist das Kind indirekt immer bei Ihnen.
  • Ein kleiner Altar zuhause. An dem Sie Abends eine Kerze anzünden, eine Blume aufstellen und die Erinnerungsstücke wie erste Schwangerschaftsfotos darum drapieren.
  • Auch wenn kein kleiner Körper begraben werden kann, besteht doch die Möglichkeit in einem Ort Ihrer Wahl, am Meer oder im Wald, ein persönliches Abschiedsritual zu zelebrieren.

Vergessen Sie trotz der Trauer die Geschwisterkinder nicht. Erklären Sie ihnen auf ehrliche Weise, aber doch behutsam, warum Sie so traurig sind.

Wenn sich die Trauer immer mehr zum Lebensmittelpunkt entwickelt und vermehrt depressive Zustände auftreten, sollten Sie fachliche Hilfe bei einem Psychologen in Anspruch nehmen.

Buch und Link-Tipps zum Thema Fehlgeburt und Kindstod

  • Heike Wolter: Meine Folgeschwangerschaft - Begleitbuch für Schwangere, ihre Partner und Fachpersonen nach Fehlgeburt, stiller Geburt oder Neugeborenentod.
  • Hannah Lothrop: Gute Hoffnung - jähes Ende: Fehlgeburt, Totgeburt und Verluste in der frühen Lebenszeit. Begleitung und neue Hoffnung für Eltern.
  • www.fpk.ch: Fachstelle Fehlgeburt und perinataler Kindstod. Beratung für betroffene Familien, Informationen und Schulungen für involvierte Fachpersonen. Info – Telefon 031 333 33 60.
  • www.engelskinder.ch: Homepage für Eltern, die ihr Kind durch eine Fehlgeburt und Totgeburt verloren haben.
  • www.sids.ch: Die Elternvereinigung SIDS Schweiz ist ein Zusammenschluss von Eltern, die ein Kind durch Plötzlichen Kindstod verloren haben.
  • info@verein-regenbogen.ch: Der Regenbogen ist eine Selbsthilfe-Vereinigung von Eltern, die um ein verstorbenes Kind trauern, egal welchen Alters und welcher Todesursache.

 

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