Weshalb imaginäre Freunde unseren Kindern guttun
Ihr Kind hat einen imaginären Freund? Das ist kein Grund zur Sorge. Im Gegenteil: Kinderpsychologin Ina Blanc erklärt im Interview, weshalb unsichtbare Freunde gut für Kinder sind und wie Eltern reagieren können.
Das Wichtigste in Kürze:
- Es ist normal, wenn imaginäre Freunde einen Menschen bis zum Ende der Teenager-Zeit oder bis zum Anfang des Erwachsenenalters begleiten.
- Personen, die als Kind imaginäre Freunde hatten, sind oft besonders kreativ.
- Erfundene Freunde sind für Kinder eine Möglichkeit, Probleme zu bewältigen.
Ina Blanc, immer wieder kommt es vor, dass Kinder Freunde haben, die nur in ihrer Fantasie existieren, sogenannte imaginäre Freunde. Was genau macht so einen erfundenen Freund aus?
Ein imaginärer Freund kann zum Beispiel ein Stofftier sein, das animiert wird. Das heisst, das Kind tut so, als sei der Teddy oder der Hase eine echte Person. Die erfundenen Freunde können aber auch unsichtbar sein. Ein weiteres Beispiel für einen imaginären Freund ist, dass man sich beim Tagebuchschreiben an jemanden richtet. Das hat zum Beispiel Anne Frank getan, die in ihrem Tagebuch die Einträge mit «Liebe Kitty» begann.
Wie viele Kinder haben solche imaginären Freunde?
Es gibt verschiedene Studien dazu, die Unterschiedliches aussagen. Eine Studie, die ich kenne, sagt, 18 bis 30 Prozent der Kinder unter 7 Jahren hatten schon einmal solch einen Freund. Eine andere Studie spricht sogar von bis zu 65 Prozent der Kinder. Meistens verschwinden die imaginären Freunde übrigens spätestens am Ende der Teenager Zeit oder im frühen Erwachsenenalter.
Warum haben Kinder solche Freunde? Aus Einsamkeit? Oder vielleicht, weil sie besonders kreativ und fantasievoll sind?
Beides spielt eine Rolle. Einerseits bieten erfundene Freunde die Gelegenheit zum Rollenspiel. Man kann in einem sicheren Umfeld verschiedene Rollen oder Coping-Strategien ausprobieren. Man kann zum Beispiel auch mal ganz böse sein und mit diesem imaginären Freund schimpfen. Das Kind erschafft sich voller Kreativität seine eigene Welt. Es kann sein, dass es das aus Langeweile oder Einsamkeit tut, es muss aber nicht sein, denn Spiel mit imaginären Freunden ist oft einfach Teil einer gesunden Entwicklung.
Gibt es Umstände, die das Erscheinen solcher erfundenen Freunde begünstigen?
Man hat tatsächlich beobachtet, dass Kinder eher imaginäre Freunde haben, wenn sie mit Umbrüchen, wie Entwicklungsschritten konfrontiert sind, wenn sie Angst haben oder mit Mobbing umgehen müssen. Kinder können auch schwierige Situationen im Spiel mit imaginären Freunden besser verarbeiten. Wenn das Kind gewisse Situationen nachspielt, geht es ihm aber auch einfach darum, im Spiel die Kontrolle zu behalten und neue Verhaltensweisen im sicheren Umfeld zu erproben.
Also muss ich mir Gedanken machen, dass mein Kind Probleme verarbeiten muss, wenn es einen imaginären Freund hat?
Das kommt auf das Umfeld und das übrige Verhalten des Kindes an. Wenn ein Kind sich allgemein gut entwickelt und unauffällig ist und auch richtige Freundschaften mit anderen Kindern hat, müssen Eltern in der Regel nicht besorgt sein. Studien zeigen sogar, dass Kinder, die imaginäre Freunde gehabt haben, als Erwachsene eher kreativ und sozial kompetent sind. Sie verfügen oft über eine ausgeprägte Resilienz, haben gute sprachliche Fertigkeiten und besonders viele soziale Aktivitäten mit Freunden oder Familie. Man kann aber nicht sagen, Kinder haben diese Fertigkeiten, weil sie erfundene Freunde haben, sondern es tritt einfach dieser Zusammenhang auf.
Das heisst: Imaginäre Freunde sind kein Grund zur Sorge, sondern sogar positiv?
Imaginäre Freunde sind eine Art Fantasiespiel. Spielen allgemein ist sehr gesund für Kinder, da sie sich ihren eigenen Zeit-Raum schaffen, natürlich unter dem Vorbehalt, dass sie zwischen Wirklichkeit und Vorstellung unterscheiden können. Dass sie das nicht tun, ist aber sehr selten und dann handelt es sich eigentlich nicht mehr um imaginäre Freunde. Man muss aber natürlich immer das Spiel mit imaginären Freunden im ganzen Kontext des Kindes betrachten.
Sie arbeiten regelmässig mit klinischer Hypnose, um Kindern bei Problemen zu helfen. Ist der Umgang mit einem erfundenen Freund so etwas wie Selbsthypnose, mit der sich die Kinder selber helfen?
Absolut. Ein Kind merkt ja sehr schnell, dass es der Aussenwelt gewissermassen ausgeliefert ist. Oft können Kinder ja sehr viel weniger verändern als Erwachsene. Aber was man immer verändern kann, ist das innere Empfinden.
Wie denn?
Indem man Fantasiebilder erzeugt. Man ist absolut frei etwas zu erschaffen, womit man sich wohlfühlt, egal was aussen herum passiert. Kinder, die die Fähigkeit haben, in ihre eigene Welt abzutauchen, ertragen negative Erlebnisse und sogar Traumata viel besser, solange sie die beiden Welten unterscheiden können.
Wie sollten Eltern reagieren, wenn ihr Kind einen erfundenen Freund erwähnt?
Eltern können ganz unbesorgt sein. Ich würde aber nicht zu viele Fragen über den imaginären Freund stellen. Das ist die Intimsphäre des Kindes.
Und wenn der imaginäre Freund für Ärger sorgt? Wenn das Kind etwa sagt, er sei es gewesen, der etwas kaputt gemacht hat?
Wenn das Kind zum Beispiel sagt, „Der Teddy hat die Vase kaputt gemacht“, können Eltern antworten: „Es ist nicht so wichtig, wer sie kaputt gemacht hat, es muss jetzt aber aufgeräumt werden.“ Man sollte die Aussage des Kindes nicht total in Frage stellen, aber einfach deutlich machen, dass das Kind die Konsequenzen tragen muss.
Ina Blanc ist Psychologin am Zentrum für Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie der Uni Basel und ist dort Leiterin der Weiterbildungen in Kinder- und Jugendpsychologie.