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Rechtschreibung: Wenn Kinder nach Gehör schreiben lernen

Kinder lernen in der Schule zunächst Schreiben nach Gehör. Eltern stehen der Methode oft skeptisch gegenüber. Sie fürchten, ihr Kind könnte sich an falsche Rechtschreibung gewöhnen.

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«Schreiben nach Gehör» fördert die Lust am Schreiben. Foto: dolgachov, iStock, Thinkstock

«Wia kaufen zucka unt sals aija unt mel», schreibt die kleine Annika zu Hause auf den Einkaufszettel, den sie stolz ihrer Mutter überreicht. Erst nach einigem Hinschauen versteht die Mutter, was gemeint ist: «Wir kaufen Zucker und Salz, Eier und Mehl.» Annika lernt wie die meisten Schweizer Kinder in der Schule zunächst das Schreiben nach Gehör. Kleine und grosse Fehler in der Rechtschreibung spielen dabei erst mal keine Rolle.

Freude am Schreiben statt Rotstift in der Rechtschreibung

Beim Schreiben nach Gehör müssen Kinder nicht gleich zu Beginn des Schreibenlernens die komplexen Regeln der Rechtschreibung befolgen. Stattdessen schreiben sie genau so, wie sie hören. «Lautgetreu verschriftlichen», nennen das Fachleute. Auf diese Weise können Kinder Schreiblust entwickeln und sich schon früh an kurze Texte mit breitem Wortschatz wagen, ohne von den komplexen Regeln der Rechtschreibung ausgebremst zu werden. Ängste vor Fehlern und Schreibblockaden werden möglichst verhindert. Die Lehrkraft führt nach dem ersten Kennenlernen der Buchstaben und ersten Schreibversuchen die Regeln der Rechtschreibung nach und nach behutsam ein. «Die Kinder können heute viel schneller Inhalte und Botschaften aufschreiben als früher», zitiert das Tagblatt Walter Klauser, Leiter des Amtes für Volksschule des Kantons Appenzell Ausserrhoden.

Rechtschreibung: Schreiben nach Gehör

Schreiben nach Gehör basiert auf der Lernmethode des Schweizer Jürgen Reichen (1939-2009). Der Reformpädagoge und Lehrer entwickelte das Konzept «Lesen durch Schreiben», das er am Hamburger Institut für Lehrerfortbildung lehrte. Demnach lernen die Kinder zunächst, die Laute der Wörter herauszuhören und sie – mit Hilfe einer Buchstabentabelle – Buchstaben zuzuordnen und diese aneinander zu reihen. Reichen lehnte es strikt ab, Kinder beim Schreibenlernen mit Rechtschreibregeln zu überfordern. In Diktaten und Rotstift sah er «unproduktives, totes Buchstabenwissen und Ausfluss einer kollektiven Zwangsneurose».

Schreiben nach Gehör: Guter Einstieg in die Rechtschreibung

«Schreiben nach Gehör» ist eine Methode, mit der die meisten Kinder gut schreiben lernen. Doch manche Kinder tun sich schwer damit, weiss Walter Klauser. «Auch ich erschrecke manchmal, wenn ich Texte von Schülern der Brückenangebote am Ende der obligatorischen Schulzeit sehe», sagte er dem «Tagblatt». Viele Kinder, die aus bildungsfernen Elternhäusern kommen oder die deutsche Sprache noch wenig beherrschen, verinnerlichen die Rechtschreibung nicht, wenn sie nicht frühzeitig Regeln lernen. «Vor allem schwächere Schüler brauchen Strukturen, Instruktion und Training», sagte Marco Bachmann, Leiter des Fachbereichs Deutsch und Leiter Berufseinführung an der Pädagogischen Hochschule Thurgau dem «Tagblatt». Für sie genüge es häufig nicht, erst in der 3. Klasse schwer begreifliche Rechtschreibregeln einzuführen.

Schreiben nach Gehör – Gefahr für die Rechtschreibung?

So ist die Methode, Kinder zunächst nach dem Gehör schreiben zu lassen, durchaus umstritten. Eltern fürchten, sie fördere falsche Angewohnheiten, die sich später kaum noch ablegen lassen. Darüber hinaus, bemängeln Kritiker, sehen Kinder auch gar nicht ein, warum sie Schreibweisen, die bislang akzeptiert wurden, plötzlich ablegen und umlernen sollen. «Wenn Fehler, wie bei extremen Formen dieses Vorgehens, erst ab der 3. Klasse korrigiert werden, führt das bei den Schülern zu noch grösserer Verunsicherung. Plötzlich ist alles falsch, was sie zuvor richtig gemacht haben», so Stefan Stirnemann, Kantonsschullehrer und Gründungsmitglied der Schweizer Orthographischen Konferenz.

Kinder, die erfolgreich Schreiben lernen sollen, brauchen Lehrer, die eine gute Balance zwischen Kreativität und Regelwerk finden. «Das freie Schreiben nach Gehör mag die Kinder im Prozess des Schreibenlernens anfangs unterstützen. Es lehrt sie, genau hinzuhören und senkt die Hemmschwelle, eigene Texte zu verfassen», kommentierte Odilia Hiller in der «Ostweiz am Sonntag». «Wird jedoch in der Schule der richtige Zeitpunkt verpasst, auch jenen Schülern zu zeigen, was beim Schreiben richtig und falsch ist, die es nicht sowieso durch Bücherlesen und angeborene Freude an Wörtern mitkriegen, läuft etwas nicht, wie es soll», warnt sie. Wichtig ist es deshalb, dass Lehrer den Rechtschreibfehlern spätestens ab dem zweiten Schuljahr auf der Spur sind. Ab dann gilt es, Gefahrenpunkte in der Rechtschreibung zu analysieren und korrekte Rechtschreibung zu üben.

Rechtschreibung: So unterstützen Sie Ihr Kind

Viele Eltern fragen sich, wie sie mit den Fehlern ihres Kindes in der Rechtschreibung umgehen sollen. Sollen Sie kommentarlos die Wörter «Oile» und «Haan» im Aufsatz übergehen? Oder ist es besser, dem Kind selbst beizubringen, wie Eule und Hahn richtig geschrieben werden? Sinnvoll ist es, diese Frage beim Elternabend oder in der Elternsprechstunde mit der Lehrkraft zu klären. Schliesslich wäre es schade, wenn die Vorgehensweisen der Lehrkraft und der Eltern sich gegenseitig stören und das Kind verwirren. Wer darüber hinaus sein Kind beim Lesen und Schreiben unterstützen will, tut gut daran, regelmässig vorzulesen. Vielleicht mag das Kind auch ein Stückchen lesen? So prägt sich Schriftsprache früh ein.

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