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Alina Bronsky: «Mütter werden zunehmend bevormundet»

Mütter werden in unserer Gesellschaft zunehmend bevormundet,  belächelt und als ahnungslose Helikopter-Glucken abgestempelt. Im Interview fordert Alina Bronsky, Co-Autorin der Streitschrift «Die Abschaffung der Mutter», das Mutter sein wieder aufzuwerten.

Alina Bronsky fordert mehr Autonomie für Mütter
Autorin Alina Bronsky befasst sich mit dem Rollenbild der Mutter. Foto: gregory_lee, iStock, Thinkstock

Frau Bronsky, welche persönlichen Erfahrungen haben Sie dazu bewogen, mit Frau Wilk zusammen die Streitschrift «Die Abschaffung der Mutter» zu schreiben?

Alina Bronsky: Meine Co-Autorin Denise Wilk ist seit mehr als 20 Jahren Mutter, ich seit 17 Jahren. Zudem haben wir beide auch Kleinkinder in der Familie und kennen den Alltag vieler Mütter. Da hat sich also einiges an persönlichen und beobachteten Erfahrungen angesammelt und wir haben festgestellt: Gerade in den letzten Jahren hat sich die Haltung gegenüber der Mutterschaft grundlegend verändert.

Dürfen Mütter denn heute noch Mütter sein?

Verbieten kann man es den Frauen ja zum Glück nicht. Aber viele Mütter stellen fest, dass sie auf zum Teil heftige Widerstände stossen, wenn sie Entscheidungen treffen, die nicht ganz zum Zeitgeist passen.

«Kontrolliert, manipuliert und abkassiert», so beginnt der Untertitel Ihres Buches. Welche Beispiele für die Entmündigung der Mutter halten Sie für besonders gravierend?

Da gibt es ganz viele Beispiele. Wir haben in unserem Buch zehn Kapitel, die sich jeweils mit ganz unterschiedlichen Bereichen befassen,  vom Kinderwunsch bis zur Kinderbetreuung. Sehr markant ist zum Beispiel, wie stark Schwangerschaft und Geburt pathologisiert werden, so dass Mütter systematisch in einen Teufelskreis medizinischer Überkontrolle geraten und jegliches Gefühl für Autonomie und Eigenkompetenz verlieren. Ist das Kind auf der Welt, sind Familien neuerdings mit der Vorgabe konfrontiert, dass schon die Kleinsten Bildungschancen verpassen, wenn sie nicht ganz früh in die Krippe gehen. Wenn sich gerade Mütter Zeit für die Familie nehmen wollen, werden sie als rückständig und ihre Beziehung zu den Kindern als zu eng verspottet - als ob das jemand von aussen beurteilen könnte!

Steckt hinter der Verunsicherung von Müttern System?

Wir wittern keine Weltverschwörung, aber es ist eindeutig, dass es viele Profiteure gibt, wenn Mütter entmündigt werden. Die «Medikalisierung» der Schwangerschaft und Geburt macht aus gesunden Menschen profitable Patienten. Die unreflektierte Forderung nach massenhafter Frühbetreuung und möglichst kurzem Erziehungsurlaub entlastet auf den ersten Blick die Staatskassen und nutzt eher den Arbeitgebern als einzelnen Familien. Wer Müttern gezielt das Gefühl der Inkompetenz vermittelt, kann daraus ein Geschäft machen. Das sind nur einige Beispiele.

Wie wünschen Sie sich die Welt, in der Sie als Mutter leben wollen?

Wir haben sicher keine utopischen Vorstellungen. Wir wünschen uns eine entspannte gesellschaftliche Haltung, die das Leben mit Kindern nicht als exotisch und entbehrungsreich wahrnimmt, sondern als normal und unterstützenswert. Dann wäre schon viel gewonnen.

Was müsste sich ändern, damit dieser Traum wahr werden könnte?

Die Liste ist ganz lang. Das freie Hebammenwesen zu stärken, wäre eine Möglichkeit, Frauen eine Wahl für die selbstbestimmte Schwangerschaftsvorsorge und Geburt zu lassen. Die Einführung eines nicht nur symbolischen Betreuungsgeldes, das Familien nach der Geburt unterstützt, könnte Frauen davor bewahren, ihre Kinder aus Existenznot zu früh oder zu lange abgeben zu müssen. Ein stärkeres Bewusstsein dafür, dass stillende Mütter ein elementares Recht darauf haben, ihre Kinder im öffentlichen Raum mit Nahrung und Trost zu versorgen und nicht etwa ihrem obszönen Hobby nachgehen, könnte vielen den Rücken stärken. Für all dies gibt es auch gelungene internationale Beispiele.

Sie haben selbst mehrere Kinder. Wie gestalten Sie heute Ihr Muttersein?

Ich bin inzwischen in der glücklichen Lage, so leben zu können, wie es meinen Werten entspricht. Das war nicht immer so. Ansonsten erlebe ich einen ganz normalen Alltag in einer kinderreichen Familie, der beglückend und anstrengend ist. Ich zähle meine Arbeitsstunden nicht, habe aber das Gefühl, mir die Arbeit einteilen zu können und für die Kinder ansprechbar zu bleiben. Und hoffe, für meine Jüngste demnächst einen guten Kita-Platz zu finden.

Alina Bronsky
Foto: Gudrun Senger

Zur Person Alina Bronsky

Alina Bronsky, 1978 im russischen Jekaterinburg geboren, lebt seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland. Hier hat sie bereits mehrere Bücher verfasst. Ihr Debüt «Scherbenpark» wurde 2013 mit Jasna Fritzi Bauer und Ulrich Noethen in den Hauptrollen verfilmt. Es folgten die Romane «Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche» und «Nenn mich einfach Superheld». Im Herbst 2015 erschien ihr Roman «Baba Dunjas letzte Liebe».

 
Das neue Buch von Alina Bronsky

Buchtipp

Alina Bronkys und Denise Wils Buch: «Die Abschaffung der Mutter: Kontrolliert, manipuliert und abkassiert – warum es so nicht weitergehen darf», ist am 8. März 2016 bei der Deutschen Verlags-Anstalt (DVA) erschienen.

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