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Verhaltensmuster ändern: Wie Sie mit Ihrem Elefanten zu mehr Glück finden

Im neuen Jahr wollen Sie alles besser machen. Haben Sie sich das auch vorgenommen? Verhaltensmuster sind aber gar nicht so einfach zu ändern. Wir haben Nicole Bruggmann, Pädagogische Psychologin und Fachfrau für Selbstmanagement, um Hilfe gebeten. Sie verrät, wie Sie und Ihr Kind die Kraft des Unbewussten für sich nutzen und wieso es sich lohnt, auf den grossen Elefanten in uns zu hören.

Elefant und Kind spielen
Jeder von uns hat einen Elefanten in sich, sagt Nicole Bruggmann, Pädagogische Psychologin und Fachfrau für Selbstmanagement. Bild: Getty Images, Orla

Zum Jahresanfang nehmen sich viele vor, etwas zu verändern, Verhaltensmuster und Gewohnheiten abzulegen. Frau Bruggmann, Sie helfen anderen Menschen dabei, ihren Alltag besser zu machen. Helfen Sie uns! Wie erreichen wir unsere Ziele?

Nicole Bruggmann: Als erstes ist es vielleicht hilfreich, wenn Sie ihre Vorsätze nicht Ziele nennen. Viele Menschen sind zielformulierungsgeschädigt, wenn man das so sagen darf. Sie denken dabei sofort an die Arbeit, die Schule, an etwas Anstrengendes und Unangenehmes. In unserer täglichen Arbeit sprechen wir darum lieber von Wünschen. Das verändert die ganze Wahrnehmung und nimmt den Druck weg. Wir wollen ja ein Verhalten ändern, das uns nicht guttut – das ist etwas Positives.

Wir müssen uns also vom Ziel- und Leistungsdruck lösen.

Unter anderem. Um ein Verhaltensmuster nachhaltig zu verändern, müssen wir zuerst einmal verstehen, wie es entsteht. Unser Handeln wird nämlich von zwei ganz unterschiedlichen Instanzen beeinflusst: Vom bewussten Verstand und vom Unbewussten. Ich spreche in dem Kontext immer vom Reiter, der auf einem grossen Elefanten sitzt. Unser bewusster Verstand ist vernünftig und klug. Er weiss, wohin er will, ist aber darauf angewiesen, dass auch der Elefant, das Unbewusste, sich in Bewegung setzt, wenn er etwas verändern will.

Im Unbewussten werden ab der fünften Schwangerschaftswoche alle emotional wichtigen Situationen gespeichert, die wir Menschen erleben.

Der Elefant, unser Unbewusstes, hat also viel mehr Kraft als unser Verstand? Und als uns lieb wäre …

Ja, das ist der Grund, weshalb wir uns nicht einfach «vernünftig» verhalten können. Unser Unbewusstes speichert alle emotional wichtigen Situationen ab. Dieser Prozess beginnt schon ab der fünften Schwangerschaftswoche. Alle Erfahrungen werden in Form von Sinneswahrnehmungen – Bilder, Gerüche, Töne, Körperempfindungen – im Gehirn gespeichert. Verknüpft mit einer positiven oder negativen Bewertung: Wie habe ich mich in der Situation gefühlt? Ging es mir gut oder eher nicht? Wenn wir in eine ähnliche Situation geraten, wird die Erfahrung und das Gefühl dazu aktiviert. Das löst ein Verhalten aus – eine einfache Überlebensstrategie, die uns seit Urzeiten aus unseren Erfahrungen lernen lässt. Was wir erlebt haben, beeinflusst unser Verhalten also massgeblich: Emotionale Erfahrungen sind unsere Motivation. Sie sind die «Beweggründe» hinter unseren Handlungen. Und das, ohne, dass wir es merken.

Aber man kann den Elefanten dressieren?

Dressieren nicht. Das würde heissen, dass der Elefant etwas Wildes oder Gefährliches ist, das gezähmt werden muss. Das Gegenteil ist der Fall: Dieser Elefant ist unser Freund. Er weist uns darauf hin, was uns guttut und was nicht. Viele psychische Erkrankungen entstehen, weil zu lange nicht auf den Elefanten gehört und das Leben einseitig vernünftig, statt bedürfnisgerecht gestaltet wurde. Wir sollten beide Qualitäten nutzen:  Den Verstand und das Unbewusste. Denn nur, wenn Elefant und Reiter zusammenarbeiten, kommen gute Entscheidungen zustande. Aber der Elefant und der Reiter funktionieren ganz unterschiedlich: Während das Unbewusste sofort und nur auf den aktuellen Zustand reagiert, braucht der Verstand länger, um die Situation zu beurteilen. Er kann aber die Vergangenheit und auch die Zukunft in seine Überlegungen miteinbeziehen und so erkennen, was auch längerfristig wichtige Bedürfnisse befriedigt.

Nur der Verstand kann Vergangenheit und Zukunft in Überlegungen miteinbeziehen.  

Und wie kann ich nun ein Verhalten oder eine Gewohnheit ändern?

Das kommt etwas auf die Situation drauf an. Wenn es lediglich um den Umgang mit einer schlechten Gewohnheit geht, bei der Elefant und Reiter grundsätzlich einverstanden sind mit der Verhaltensänderung, genügt die einfache, aber hocheffektive Technik der Wenn-dann-Vorsätze. Ein Beispiel: Das Kind vergisst immer wieder, den Turnsack in die Schule mitzunehmen. Wir können nun mit ihm den Vorsatz fassen: Wenn ich morgens die Haustür öffnen will, dann überlege ich kurz, ob ich heute Turnen habe und den Beutel mitnehmen muss. Durch diese konkrete und bildhafte Formulierungsart wird im Gehirn das neue Verhalten vorgespurt und das Kind denkt automatisch beim Anblick der Tür an den Turnbeutel. Diese Strategie funktioniert bei kleineren Hindernissen super. Schwieriger wird es, wenn der Reiter weiss, dass er etwas ändern will, aber der Elefant keine Lust darauf hat. Vielleicht weil eine Änderung im aktuellen Moment schlechte Gefühle verursacht. Der Reiter ist willig, aber der Elefant bockt.

Was mache ich dann?

Wir müssen dem Unbewussten klarmachen, was der Gewinn ist. Und zwar in Elefantensprache. Weil unsere Erfahrungen im Unbewussten in Form von Sinneswahrnehmungen – vor allem in bildhafter Form – gespeichert sind, reagiert dieses vorwiegend auf Bilder. Diese Bilder erzeugen wiederum Gefühlsimpulse und lösen damit eine Handlung aus. Neue Bilder können sprachlich erzeugt werden. Deshalb enthält ein elefantengerecht formuliertes Ziel positive Bilder, die Lust machen, es zu erreichen. «Gute Noten zu erzielen, ist wichtig für deine Zukunft» ist zum Beispiel ein völlig abstraktes Ziel. Die Formulierung erzeugt keine Bilder. Besser wäre: Ich verschaffe mir mit vollem Einsatz die Freiheit, den Beruf zu wählen, der mir Freude macht. Wir «zeigen» dem Elefanten so auf, welche seiner Bedürfnisse mit einer Verhaltensänderung längerfristig befriedigt werden.

Gelingt das immer?

Nicht immer. Ab und zu ist es schwierig, einen direkt mit dem Verhalten zusammenhängenden Gewinn zu finden. Dann kann man auch auf einen indirekten Gewinn wie eine Belohnung zurückgreifen. Zum Beispiel kann man mit dem Kind folgendes abmachen: Wenn du gleich nach der Schule eine Stunde lernst, dann kannst du danach zwei Stunden nach draussen gehen zum Spielen. Oder: Wenn du der Ärztin hilfst, diese Untersuchung in Ruhe durchzuführen, darfst du nachher ein grosses Eis essen.

Spannend. Man kann ein Verhalten mit solchen Techniken also tatsächlich ändern.

Ja, aber nicht uneingeschränkt. Veränderungsabsichten gelingen nur, wenn sie vom Unbewussten unterstützt werden. Wenn dabei irgendetwas herausschaut, was dem Elefanten auch wirklich gefällt, wenn nicht kurzfristig, so doch wenigstens langfristig. Hat er gar kein Bedürfnis nach Freiheit, nützt es nichts, ihm mit der Aussicht auf eine freiere Berufswahl das Lernen schmackhaft machen zu wollen. Das Vorgehen zeigt aber, welch grossen Einfluss die Wortwahl und die Sprache haben. Dies gilt nicht nur beim Formulieren von Zielen: Mit unserer Sprache können wir auch das Verhalten unserer Kinder beeinflussen. Wir können Bilder erzeugen, die Handlungsimpulse auslösen. Hier kommt nun noch ein weiterer wichtiger Aspekt ins Spiel: Negationen sind zu vermeiden. Denn sie können nicht abgebildet werden, respektive erzeugen ein Bild des Unerwünschten. Wenn ich Sie bitte, nicht an Schokolade zu denken, haben Sie sofort das entsprechende Bild im Kopf. Es ist daher kontraproduktiv, dem Kind zu sagen «Renn nicht auf die Strasse!», weil wir seinem Gehirn damit das Bild vom Rennen eingeben. Sinnvoller ist, das erwünschte Bild zu erzeugen: «Geh langsam auf dem Trottoir.» Wenn wir das Kind ermahnen mit «Hör auf drein zu schlagen», wird es damit weitermachen, solange nur dieses Bild im Gehirn aktiviert ist. «Geh in dein Zimmer» oder «Komm zu mir» sind bessere Reaktionsmöglichkeiten.

Mit unserer Sprache können wir das Verhalten unserer Kinder beeinflussen.

Dann sollte ich also immer nur positive Formulierungen nutzen …

Genau. Und natürlich muss Ihr Ziel so ausgelegt sein, dass es im eigenen Kontrollbereich liegt. Das schützt uns vor Misserfolgszuschreibungen, für die wir gar nichts können. Das Erreichen des Ziels «Ich bestehe die Prüfung» ist beispielsweise nicht im eigenen Kontrollbereich. Sage ich mir aber «Ich gebe mein Bestes und bereite mich gut vor», dann habe ich mein Ziel auch bei Nichtbestehen der Prüfung erreicht und erlebe Selbstwirksamkeit.

Danke für die Tipps, Frau Bruggmann. Wir versuchen mal, den Elefanten zu reiten!

Viel Glück! Und nicht vergessen: Pflegen Sie Ihren Elefanten liebevoll und hören Sie auf ihn. Unser Unbewusstes hat gute Gründe, wieso es uns in gewissen Situationen immer gleich reagieren lässt, es hat damit irgendwann mal gute Erfahrungen gemacht. Es lohnt sich aber, mit dem bewussten Verstand immer mal wieder zu überprüfen, ob bestehende Verhaltensmuster zeitgemäss und hilfreich sind. Und wenn nicht, wissen Sie jetzt, wie Sie den Elefanten ermuntern können, sich auf neue Erfahrungen einzulassen. So können neue Motive und weitere Antriebskräfte entstehen. Das ist nicht immer einfach, aber so gelingt die Verhaltensveränderung!

Nicole Bruggmann PSI

Nicole Bruggmann (47) ist Leiterin des Instituts PSI Schweiz IPSIS®. Die Pädagogische Psychologin bildet Fachpersonen und Interessierte in der praktischen Anwendung aktueller Erkenntnisse aus der Motivations- und Persönlichkeits-Psychologie aus. Als Beraterin unterstützt sie Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen sowie Institutionen und Unternehmen. Die Basis ihrer Arbeit bilden die PSI-Theorie von Prof. Julius Kuhl und das Zürcher Ressourcen Modell ZRM® von Dr. Maja Storch und Dr. Frank Krause.

Manchmal muss man Hilfe holen

Nicht jede schwierige Situation können wir selber verändern oder bewältigen. Es gibt Hindernisse, die dem Unbewussten als unüberwindbar erscheinen und es in Lähmung und Verweigerung erstarren lassen. In solchen Fällen können wir als Eltern unserem Kind leider nicht selber helfen. Verzweifeln Sie nicht und holen Sie Hilfe. Eine Fachperson kann Ihrem Kind helfen, sich und sein Verhalten besser zu verstehen und allenfalls zu ändern.

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