Mit Zukunftsforscher Georges T. Roos ins Jahr 2040 blicken
Wie sieht die Welt aus, in der unsere Kinder als Erwachsene leben werden? Georges T. Roos, renommierter Schweizer Zukunftsforscher, schaut 25 Jahre in die Zukunft.
Leonie und Max sind Schatzsucher. Ganz im Hier und Jetzt verhaftet inspizieren sie den Spielplatz. Steine, Blumen, Glitzerpapier – alles wandert in die Hosentaschen. Die beiden strahlen. Werden sie sich das Glück dieses Moments erhalten können? In welche Zukunft wachsen sie hinein? Georges T. Roos, renommierter Schweizer Zukunftsforscher, skizziert ein Bild der Zukunft.
Georges T. Roos, angenommen Leonie und Max würden ein Paar werden – werden die beiden in finanziellem Wohlstand leben?
Georges T. Roos: Sie müssen den Gürtel wohl etwas enger schnallen. Denn wahrscheinlich werden Familien aufgrund der demographischen Veränderungen in 25 Jahren finanziell stärker belastet als heute. Kommen heute noch vier Erwerbstätige auf einen Rentner, werden es 2040 nur noch zwei sein. Höhere Beiträge für die Altersvorsorge und höhere Steuern sind die zwangsläufigen Folgen – zumindest wenn sich die Politik nicht auf eine Erhöhung des Rentenalters einigen kann. Aufgrund des hohen Anteils älterer Menschen in der Gesellschaft und des enormen medizinischen Fortschritts steigen auch die Gesundheitskosten. Das spürt jeder Einzelne durch höhere Prämien für die Krankenkassen und wohl auch an steigenden Steuern.
Wären Leonie und Max ein ganz durchschnittliches Paar, wann würden sie Kinder bekommen?
Die Tendenz geht dahin, immer später Kinder auf die Welt zu bringen. 1970 wurden zwei von drei Kindern von Müttern geboren, die zwischen 20 und 29 Jahre alt waren. Heute ist es nur noch eins von dreien. Weit über die Hälfte der Mütter ist bei Geburt zwischen 30 und 39 Jahre alt. Die Medizin lässt der biologischen Uhr in der Zukunft noch mehr Zeit. Der Trend zu späterer Elternschaft zeigt sich übrigens auch bei den Männern.
Leonie könnte also dem Arbeitsmarkt länger zur Verfügung stehen …
Wahrscheinlich werden Mütter mehr Zeit in erwerbstätige Arbeit stecken als heute. Denn junge Frauen sind bereits heute besser gebildet als junge Männer. Dafür bauen Gesellschaft und Staat die externe Betreuung weiter aus.
Wird es denn genügend Arbeitsplätze geben?
In meinem Grundszenario gehe ich davon aus, ja. Doch es gibt auch andere Szenarien wie die Studie der Oxford University, die für den US-Arbeitsmarkt die Zukunftsaussichten von 700 Berufsgruppen berechnet hat. Demnach ist fast die Hälfte der Arbeitsplätze in den kommenden 20 Jahren bedroht. Intelligente Maschinen könnten die Aufgaben beispielsweise von Buchhaltern, Bankangestellten und mühelos übernehmen. Würde es tatsächlich zu diesem Kahlschlag kommen, würden Familien in eine schwierige finanzielle Situation geraten. Dann stellte sich auch die Frage: «Brauchen wir doch ein bedingungsloses Grundeinkommen?» Mit einem Grundeinkommen hätten Eltern Zeit, sich viel mehr selbst um ihre Kinder zu kümmern.
Wie viele Kinder werden unsere erwachsenen Kinder bekommen?
Die Geburtenziffer lag in den letzten Jahren konstant bei 1,5 Kindern pro Frau. Sie ist zwar nun sehr leicht gestiegen, doch ich gehe davon aus, dass sich diese Zahl nicht signifikant verändern wird. Die Kinder, die in 25 Jahren zur Welt kommen, haben zwar weniger Seitenverwandte wie Geschwister, Cousinen und Cousins, dennoch mehr Bezugspersonen. Viele von ihnen werden ihre Urgrosseltern noch kennen lernen, denen die fortgeschrittene Medizin ein längeres Leben ermöglicht. Auch durch Trennungen und Scheidungen bzw. der darauf folgenden neuen Verbindungen der Elternteile erhalten Kinder eine Fülle von Bezugspersonen: zum Beispiel den neuen Partner von Mama und dessen Eltern, auch die neue Frau von Papa.
Unsere Enkel werden also in einer liebevollen Umgebung aufwachsen?
Ja, davon lässt sich ausgehen. Auch gesundheitlich werden sie sehr behütet sein. Durch die Fortschritte der Medizin lassen sich Erbkrankheiten möglicherweise schon am Embryo heilen. Es wird gesellschaftlich üblich werden, mit Hilfe von sogenannten Health-Trackern Vitalfunktionen wie Blutdruck, Herzschlag und Gehirnströme der Kinder pausenlos zu überwachen und auszuwerten. Überhaupt wird es über die Kinder von morgen unglaublich viele Daten geben, mit derer Hilfe sich auch Neigungen und Talente herausarbeiten lassen. Maschinen-Intelligenz wird aus der unvorstellbaren Datenfülle durch Vergleiche mit Daten vieler anderer Menschen besondere Begabungen entdecken, selbst wenn diese nicht offensichtlich sind. Ebenso wird sie die notwendigen Fördermassnahmen erkennen. Diese gesundheitliche Fürsorge und umfassende Vermessung wird die Kinder sehr prägen. Es besteht die Gefahr, dass sie überbehütet und überbeobachtet sein werden.
Haben unsere Enkel noch Gelegenheit, in der Natur zu spielen?
Die Natur wird gut geschützt, gehegt und gepflegt sein. Ich sehe keine Tendenzen für Raubbau. Auf den Strassen fahren elektrisch oder Wasserstoff betriebene Autos. Immer mehr Plus-Energie-Häuser produzieren mehr Strom als sie verbrauchen.
Welche Chancen auf Glück und Erfüllung sehen Sie in der Zukunft für die Kinder von heute – wie Leonie und Max?
Die wirtschaftliche Lage der Familien wird zwar nicht besser sein als heute, sondern eher schlechter, doch Geld allein macht ja bekanntlich nicht glücklich. Glück und Erfüllung könnten sich in neuen Werten finden, für deren Entstehung es bereits Frühsignale gibt. Ich denke an die Share-Ökonomie nach dem Motto «Teilen statt Besitzen». Wichtige Ressourcen zu teilen, schafft Mehrwert, sowohl im Beruf als auch im Privatleben. Schon jetzt gibt es Nachbarschaftssiedlungen, in denen der Einzelne zwar über relativ wenig privaten Raum verfügt, dafür aber die vielen Möglichkeiten der Gemeinschaftsräume angefangen von gut ausgestatteten Werkstätten, wo Kinder ihre Seifenkisten bauen können, bis hin zum türkischen Dampfbad, in denen sich die Eltern entspannen können. Dabei entstehen auch mehr Beziehungen und Freundschaften untereinander.
Zukunftsforscher Georges T. Roos:
Georges T. Roos ist Gründer des Zukunftsforschungsinstituts «ROOS Trends & Futures» und der «European Futurists Conference Lucerne». Zudem ist er Mitglied des Vorstands von «swissfuture», der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftsforschung, zu deren Beirat die führenden Köpfe der europäischen Zukunftsforschung gehören. Der Vater von zwei Kindern lebt heute in Luzern.
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