Wenn Tränen fliessen: Wie Sie Ihr Kind richtig trösten
«So schlimm ist es doch gar nicht», «Da braucht doch keiner zu weinen!», heisst es oft, wenn ein Kind verzweifelt ist. Zwar sind solche Sätze gut gemeint, doch trösten sie nicht. Kinder brauchen Verständnis, wenn sie mit der Welt im Argen liegen.
Sven ist hingefallen, sein Knie blutet. - Leonard schaut seiner Mama hinterher, die sich heute Abend mit einer Freundin trifft. - Ronja ist enttäuscht, weil es regnet und der heiss ersehnte Ausflug ins Wasser fällt. - Und Ayse wütet, nachdem ihr Vater «Nein» zum Fernsehprogramm gesagt hat. In allen Fällen fliessen viele Tränen.
Trösten und Gefühle nicht klein reden
Schnell liegt auf der Zunge, was man selbst als Kind oft gehört hat. «Da braucht doch keiner zu weinen!», ist einer der Sätze, die oft zu hören sind. Trost spendet er nicht, weiss Dr. Michael Simons, Leitender Psychiater der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. «Floskeln wie «Ist doch nicht so schlimm!» oder «Das tut doch gar nicht weh!» führen dazu, dass sich das Kind nicht ernst genommen fühlt, denn es spürt ja den Schmerz», sagt er. Darüber hinaus vermitteln die Eltern ihrem Kind mit diesen Worten: «Du kannst deinem Gefühl nicht trauen!» Je öfter ein Kind diese Erfahrung macht, umso mehr wird es nach und nach seinen Gefühlen mistrauen. Doch um ein selbstsicheres Leben zu führen, braucht es die Gewissheit, sich auf die eigenen Gefühle verlassen zu können.
Beim Trösten Vorwürfe vermeiden
«Warum bist du denn da auch hochgeklettert?», «Hättest du auf mich gehört, dann wäre das nicht passiert!» Zwar ist verständlich, dass Eltern auf diese Weise einem Kind deutlich machen wollen, warum passiert ist, was passiert ist – und wie es Unfälle und Enttäuschungen in Zukunft vermeiden kann. Doch Trost spenden diese Vorwürfe nicht. Zusätzlich zum aktuellen Kummer fühlt sich das Kind nun auch angegriffen und gerät in die Defensive.
Eltern können besonders gut Trost spenden. «Für Kinder sind primär die Eltern wichtigste Quelle des Erlebens von Sicherheit», erklären der Schweizer Psychologe Prof. Guy Bodenmann und Dipl. Psych. Britta Behrends in ihrer Veröffentlichung «Einfühlsame Eltern - Grundlage für eine sichere Bindung und Entwicklung». Doch auch andere Bezugspersonen können Tränen zum Versiegen bringen. Gleichgültig, ob die Tränen rollen, weil es kein Glace gibt oder weil das geliebte Haustier krank ist, wichtig ist, einfach da zu sein für das Kind. Festhalten, umarmen, sanft hin und her wiegen, den Rückenkraulen – körperliche Nähe vermittelt Geborgenheit. «Hier bin ich sicher!» spürt das Kind.
Gefühle ernst nehmen und Lösungen suchen
Spürt das Kind, dass es in seinem Kummer ernst genommen wird, beruhigt es sich schnell. Dem Kind zuzuhören und seine Gefühle zu akzeptieren, signalisiert: «Ich versuche, dich zu verstehen!». Verständnis bedeutet aber nicht, das Kind darin zu bestärken, dass die Situation wirklich schlimm ist. «Dein Knie sieht wirklich schrecklich aus!», dieser Satz würde sicher nicht zur Beruhigung beitragen.
Kinder brauchen Hoffnung, wenn sie – aus welchem Grund auch immer – verzweifelt sind. «Dein Knie blutet. Ich verstehe, dass du deshalb weinst. Zum Glück wird der Schmerz bald weniger. Wenn der grosse Zeiger auf dieser Uhr einen Strich weiter gerückt ist, frage ich dich, ob es bereits besser ist!» Wer so mit seinem Kind redet, hilft ihm, die Situation besser einzuschätzen. Die Angst, der Schmerz könne bleiben oder gar noch grösser werden, schwindet.
Das Kind ermutigen, eine Lösung zu finden, ist der nächste Schritt. «Du bist wütend und traurig, weil du nicht fernsehen darfst. Was kann dir helfen, damit es dir besser geht?» Sicher hat das Kind eine Idee. Auf diese Weise lernt es, dass es Probleme eigenständig lösen kann.
Kummerhilfen
Kuscheltier:
In Notfällen muss das Kuscheltier her! Das Kuscheltier beruhigt als bester und verlässlichster Freund die Nerven. Es hat für jede Sorge Verständnis und behält alle Geheimnisse für sich!
Bunte Pflaster:
«Möchtest Du dieses Pflaster oder jenes?» Die bunten Bilder auf den Pflastern lenken ab. Und ist die Wunde erst unter dem Pflaster verschwunden, ist sie schon fast vergessen …
Ein Lied vorsingen, beruhigt und lenkt ab, wenn Kinder weinen «Klänge, Musik, Stimmen erfreuen das Herz. Ein Musikstück, ein vorgetragenes Gedicht, ein sanfter Klang kann trösten …», schreibt Guy Bodenmann in seinem Buch «Stark gegen Stress». Bei kleineren Verletzungen wirken Verse wahre Wunder. Wer mit den Worten «Heile, heile Segen, sieben Tage Regen, sieben Tage Sonnenschein, wird alles wieder heile sein …» sanft dort streichelt und dann pustet, wo es weh tut, hat oft sein Kind schon gut getröstet. Süssigkeiten zum Trost sollten dagegen nicht zum Ritual werden. Die Gewohnheit, bei Kummer zu naschen, lässt sich wie der darauf folgende Kummerspeck nur schwer ablegen.