Tschüss Schnürlischrift! Jetzt schreiben wir Basisschrift
Nach den Sommerferien heisst es auch im Kanton Zürich: «Ade Schnürlischrift!» Einige trauern ihr nach, andere freuen sich, dass die «Horrorschrift» endlich abgeschafft wird. Marika Passerini, Primarlehrerin und Kursleiterin für die Basisschrift, erklärt im Interview die Vorteile der neuen Schriftart.
Frau Passerini, wie unterscheidet sich die Basisschrift von der Schnürlischrift?
Marika Passerini: Der grundsätzliche Unterschied ist, dass Schüler nur noch mit einer Schrift arbeiten. Bis jetzt hatten wir in der ersten Klasse die Blockschrift und ab der zweiten Klasse die Schnürlischrift. Bei der Basisschrift werden zuerst die Grundformen getrennt geschrieben. Die Buchstaben haben aber bereits einen Form-Verlauf, der später genutzt werden kann, um sie zu verbinden.
Wie genau kann man sich das vorstellen?
Bei Buchstaben, die auf der Grundlinie enden – zum Beispiel ein a, b, i oder u – können Kinder unten einen Bogen anhängen. So nützen sie den Schwung, um weiterfahren zu können. Aber nicht alle Buchstaben können angekoppelt werden, weil sie nicht oben an der ersten Linie beginnen, so wie beispielsweise das S. Bei anderen Buchstaben wie h, l oder t können die Schüler selbst entscheiden. All diese Regeln müssen Kinder lernen.
Welche Vorteile hat die Basisschrift gegenüber der Schnürlischrift?
Die Basisschrift ist angenehmer für die Hand, vor allem bei den Deckungsstrichen der Schnürlischrift. Für kleine Kinderhände sind diese Striche sehr schwierig. Zudem muss ein Schulanfänger ab der zweiten Klasse bereits wieder neue Buchstabenbilder und somit auch neue Bewegungen lernen. Um das zu üben, wendet man erneut enorm viel Zeit auf. Bei der Basisschrift entfällt das. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie trainiert, gleichzeitig zu schreiben und zu denken. Anders als die Schnürlischrift, die verhindert, die Gedanken auf ein Sprachziel zu richten.
Ab wann beginnt das Kind eine persönliche Handschrift zu entwickeln?
Es beginnt bereits in der dritten Klasse. Dann machen Kinder ersten Übungen dazu. Bei einigen Buchstabenverbindungen dürfen Schüler bereits entscheiden, ob sie verbinden. Hier beginnen sie eine eigene Schrift zu entwickeln. Das machen sie nicht bewusst, sondern sie üben und die Lehrerin greift nur dann ein, wenn sie eine Verbindung machen, die wirklich nicht sinnvoll ist.
Eltern-Test: Schreiben Sie Basisschrift?
Dieser Test zeigt Ihnen, wie viel von Ihrer einstigen Schnürlischrift in Ihrer jetzigen Handschrift noch vorhanden ist. Schreiben Sie bevor Sie diesen Text zu Ende lesen das Wort «Verbundenheit» auf ein Blatt. Wenn Sie fertig sind, machen Sie überall da Striche, wo Sie ihren Stift abgesetzt haben. Wenn Sie nur einmal und zwar zwischen dem Anfangsbuchstaben und dem Rest des Wortes abgesetzt haben, verbinden Sie die Buchstaben immer noch so wie in der Schnürlischrift. Die meisten setzen den Stift aber sechs bis sieben Mal ab und liegen damit näher an der Basisschrift.
Für viele Linkshänder war die Schnürlischrift eine Qual. Fällt ihnen die Basisschrift leichter?
Einige Linkshänder haben mir gesagt, dass die Basisschrift eindeutig einfacher ist. Dazu kommt eine Studie aus dem Kanton Luzern, die das bestätigt. Das liegt daran, dass gewisse Buchstaben vereinfacht wurden. Linkshänder werden aber immer einen kleinen Nachteil haben, weil einfach vieles auf Rechtshändigkeit ausgerichtet sind.
Laut einer aktuellen Studie waren bei der Basisschrift mehr Schüler motiviert zu schreiben. Warum?
Es verlangt dem einzelnen Schreiber einfach weniger ab, wenn er nur mit einer Schrift arbeitet.
Und wie stehen die Lehrer zur Basisschrift?
Bei einigen Studenten in meinem Kurs ist die Schnürlischrift noch ein Horrorgespenst von früher, sie sind froh über die Umstellung. Es gibt aber auch viele, die sie lieben, gerade Lehrer. Etwa die Hälfte sagt, dass sie die Schnürlischrift gerne gehabt haben und es ihnen etwas schwer falle umzustellen. Das liegt vielleicht auch an unserer Berufsgattung, die gerne an Gelerntem festhalten. Meistens bekomme ich aber schon am ersten Abend ein positives Feedback, das freut mich natürlich.
Welchen Herausforderungen begegnen Lehrer, wenn sie die Schrift üben?
Einen Buchstaben neu zu lernen ist einfacher, als etwas, das man schon lange macht.. Ich selbst habe am Anfang sehr langsam geschrieben, nur so ging es. Sobald ich aber ein bisschen schneller geschrieben habe, rutschten wieder die anderen Buchstaben rein. Speziell bei meinem Namen, der mit M anfängt, war das so. Es ist ein bisschen wie überall im Leben: es braucht einfach Zeit.
Kritiker befürchten mit der neuen Basisschrift einen Schriftzerfall. Woher kommt diese Angst?
Das verstehe ich. Schrift gehört zur Kultur, Menschen identifizieren sich damit. Ich denke es geht einfach darum, dass Traditionen nicht gerne aufgegeben werden. Viele die nichts mehr mit der Schule zu tun haben, sehen nicht, wie Kinder zum Teil mit der Schnürlischrift kämpfen und dadurch enorm benachteiligt sind.
Zur Person
Marika Passerini unterrichtet seit 30 Jahren als Primarlehrerin. Sie freut sich, ab dem nächsten Schuljahr die Basisschrift einführen zu dürfen. Sie hat bereits viel geübt und die Ausbildung zur Kursleiterin für die Basisschrift gemacht. In ihrem Kurs hat sie schon zahlreichen Lehrern die Basisschrift beigebracht und ihnen Methoden gezeigt, mit denen sie die neue Schrift lehren können.
Diese Kantone schreiben bereits in der Basisschrift
Die Geburtsstätte der Basisschrift ist der Kanton Luzern. Dort ist sie bereits seit dem Schuljahr 2011/12 erfolgreich eingeführt worden. Die Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz (D-EDK) empfiehlt die Basisschrift in allen deutschsprachigen Kantonen der Schweiz. Eine Untersuchung der D-EDK hat gezeigt, dass Lehrer, die Pädagogischen Hochschulen, die Kantone und die Lehrmittelverlage die Basisschrift begrüssen würden. Ob die Basisschrift eingeführt wird, entscheidet aber schlussendlich die Bildungsdirektion des Kantons. Im Kanton Zürich ist es ab dem Schuljahr 2016/17 so weit. In anderen Kantonen wurde die Basisschrift bereits eingeführt, in manchen steht die Entscheidung noch offen oder die Einführung ist in unmittelbarer Zukunft nicht geplant. Einen Überblick mit allen Kantonen finden Sie hier.