Wenn Eltern sich ausgebrannt und erschöpft fühlen
«Ich kann einfach nicht mehr.» – «Ich weiss überhaupt nicht mehr weiter.» Wenn Eltern über einen längeren Zeitraum diese inneren Sätze sprechen, sind sie womöglich von einem Burnout betroffen. Psychologin Rahel Pfiffner vom Elternnotruf erklärt, was betroffenen Eltern weiterhilft.
Burnout ist eine Störung, die sich normalerweise auf die Arbeitswelt bezieht. Sie gilt der Weltgesundheitsbehörde zufolge als «Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet werden kann». Drei Dimensionen kennzeichnen Burnout: ein Gefühl von Erschöpfung, eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Job und ein verringertes Leistungsvermögen im Beruf. Doch betrifft Burnout tatsächlich nur die Arbeitswelt?
«Es gibt auch Eltern, die sich ausgebrannt und erschöpft fühlen», weiss die Psychologin Rahel Pfiffner vom Elternnotruf. Der Corona-Lockdown habe diese Situation noch etwas verschärft. Einige Eltern hätten sich allein gelassen gefühlt, manche hätten auch finanzielle Einbussen erlitten. «Wenn Erschöpfung und Überforderung zu einem Dauerzustand geworden sind, könnte man wohl auch bei Eltern von einem Burnout sprechen.»
Burnout bei Eltern erkennen
Solche ausgebrannten Eltern fühlen sich erschöpft, empfinden eine emotionale Distanz zu den Kindern und eine negative Haltung zu ihrer Elternrolle. Rahel Pfiffner: «Sie haben kaum noch Freude daran, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen. Ihre Belastbarkeit ist gesunken.» Eltern leiden darunter. «Sie haben ein schlechtes Gewissen, weil sie schon bei kleinen Konflikten mit ihren Kindern explodieren. Und sie wissen nicht weiter.» Einen anderen Arbeitsplatz suchen, mehr Pausen einbauen – was im Arbeitsalltag machbar wäre, lässt sich nicht auf den Elternalltag übertragen. Kinder lassen sich nicht wechseln. Und vor allem kleine Kinder brauchen viel Aufmerksamkeit.
Zu hohe Erwartungen
Die Ursachen für ein solches Burnout sind vielfältig. «Viele Eltern haben sehr hohe Ansprüche an sich und die Kinder», nennt die Expertin einen Grund, der ihr in ihrer beruflichen Erfahrung immer wieder begegnet. Diese Erwartungen würden an Familien oft herangetragen. Der normative Druck sei wahnsinnig hoch. Habe ein Kind einen hohen Bewegungsdrang, heisse es schnell: «Dein Kind kann einfach nicht ruhig sitzen». «Eltern fragen sich dann, was sie falsch gemacht haben. Ihnen wird viel angelastet, als wenn Kinder ein Spiegelbild der Verhaltensweisen der Eltern wären.» Der soziale Druck sei sehr kulturspezifisch. Die Verantwortung liege nahezu ausschliesslich auf den Schultern der Eltern. Dazu kommt weiterer Druck. Denn Eltern sind in der Regel auch berufstätig. Da wird Zeit schnell zur verbrauchten Ressource.
Hilfe ist kein Zeichen von Schwäche
«Ich weiss nicht weiter.» - «Ich kann nicht mehr.» «Ich habe so negative Gefühle meinem Kind gegenüber, das kann doch nicht sein.» Wenn Rahel Pfiffner solche Sätze von Eltern hört, rät sie erst mal dazu, die Situation so anzunehmen, wie sie ist. Denn Eltern dürfen ausgebrannt und erschöpft sein. Doch natürlich wollen sie sich nicht weiterhin von den Anforderungen des Alltags zerreiben lassen.
«Was kann ich mir Gutes tun?», so lautet eine der ersten Fragen, die Eltern sich stellen können, um erst mal wieder zu Atem zu kommen. Danach wird es konkreter: Wer kann mich unterstützen? Wer kann mich entlasten? «Eltern glauben oft, es sei ein Zeichen von Schwäche, um Hilfe zu bitten», berichtet Rahel Pfiffner. Sie fragt dann: «Haben Sie selbst schon mal jemanden unterstützt? Wie haben Sie sich dabei gefühlt?» So verstehen Eltern schnell, dass viele Menschen gerne helfen, weil sie sich gut dabei fühlen. «Wenn Eltern es schaffen, Scham zu überwinden und um Hilfe zu bitten, ist bereits ein grosser Schritt getan.» Auch Austausch ist wichtig. Den Partner miteinzubeziehen, macht schon deshalb Sinn, weil meist beide Elternteile am Anschlag sind. Gemeinsam können sie sich von einer Fachstelle beraten lassen, wie sie die Krise bewältigen können.
Weitere wichtige Fragen
● Wo lassen sich Oasen einbauen, in denen wir auftanken können?
● Welche Hilfe ist wirklich nützlich?
● Welche (zeitraubenden) Aufgaben des Tages kann ich getrost weglassen?
● Was läuft eigentlich gut? Positive Bilder beschwingen. Etwas weniger zu grübeln spart Energie.
Eigene Bedürfnisse immer ernst nehmen
Kinder fühlen sich leicht ungeliebt, wenn Eltern ihre wichtigen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Umso wichtiger ist es, mit dem eigenen Kind zu sprechen und die Erschöpfung einzugestehen. «Tut mir leid, dass ich dich soeben angeschrien habe», könnten sie Rahel Pfiffner zufolge sagen. «Ich bin so müde und so gereizt. Das liegt nicht an dir.» Auf diese Weise können Kinder das Verhalten der Mutter oder des Vaters besser einordnen.
Am besten ist es, erst gar nicht das innere Feuer erlöschen zu lassen. Doch wie schaffen Eltern das? Es sei wichtig, von Anfang an eigene Bedürfnisse zu priorisieren, erklärt die Psychologin. Natürlich müssten Eltern gut das Kind versorgen und nach ihm schauen. Doch sie sollten sich selbst dabei nicht vergessen. Sie nennt ein Beispiel: «Ein Baby schläft nachts wenig. Eltern fragen sich dann gleich, was sie falsch gemacht haben. Doch sie sollten sich klar machen, dass es nun mal unterschiedliche Babys gibt. Und sie sollten annehmen, dass das eigene Baby nun mal ein Kind ist, das in dieser Phase seines Lebens nachts oft wach ist.»
Weil aber Schlaf auch für die Eltern wichtig ist, sei die Frage «Was können wir tun, um selbst ausreichend zu schlafen?» notwendig. Vielleicht können sich Eltern abwechseln oder Schlaf zu einer anderen Tageszeit nachholen. Rahel Pfiffner: «Im Zusammenleben geht es immer wieder darum, Räume für die unterschiedlichen Bedürfnisse auszuhandeln.»